„The Limey“ (herabsetzender Slang-Ausdruck für Engländer) ist ein Film mit vielen Facetten, in erster Linie aber eine Hommage auf Terence Stamp, dessen Bewältigung der stoischen Figur eines englischen Gangsters in Los Angeles der Wiederentdeckung eines fast vergessenen großen Schauspielers gleichkommt. Steven Soderberghs Film spielt in der Gegenwart, ist aber randvoll mit Anspielungen auf die 60er-Jahre. Er verwendet Szenen aus Ken Loachs 1967 entstandenem Film „Poor Cow – Geküßt und geschlagen“
(fd 15 810), in dem der blutjunge Terence Stamp zu sehen ist, und integriert sie als Bestandteil der Handlung. Gleichzeitig lenkt er den Blick zurück auf die Zeit von „Easy Rider“
(fd 16 524), dessen Held Peter Fonda als Gegenspieler exponiert wird. Als ehemaliger Rock’n’Roll-Promotor thront Fondas Terry Valentine in einer architektonisch neureich-bizarren Monstervilla über den Canyons von Beverly Hills. Seinen aufwendigen Lebensstil verdient er mehr mit Rauschgift-Deals als mit ehrlicher Arbeit. Stamp hingegen, der in Soderberghs Film – wie auch schon in „Poor Cow“ – Wilson heißt, besitzt offenbar kaum mehr als die paar Sachen, die er am Leib trägt. Wilson hat in seiner Heimat eine neunjährige Haftstrafe abgesessen und nach der Entlassung vom Unfalltod seiner Tochter in Los Angeles erfahren. Er glaubt nicht an einen Unfall, fliegt nach L.A. und versucht, die Wahrheit herauszufinden. Bei der Spurensuche stößt er bald auf Terry Valentine. Mit ebenso viel Gelassenheit wie verstecktem Zorn erledigt Wilson sein Vorhaben, den Tod seiner Tochter zu rächen.Das wäre eigentlich schon die ganze Story, hätte Soderbergh nicht abermals zu einer verschachtelten Erzähltechnik gegriffen, deren formales Puzzlespiel dem Gangsterstück und seinen Figuren erst Tiefenschärfe verleiht. Was bereits in „Out of Sight“
(fd 33 323) verblüffte, aber letztlich auf dem Niveau intelligenter Montagetechnik blieb, gehorcht in „The Limey“ einem ausgetüftelten gedanklichen Konzept und fordert den Zuschauer von den ersten Szenen an auf, nicht allein der Kontinuität der Ereignisse zu vertrauen, sondern auch den Kontradiktionen und Analogien, die sich aus dem Geflecht von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ergeben. Obwohl Soderberghs Film gelegentlich auf drei oder vier Erzählebenen gleichzeitig angesiedelt ist, wirkt der Film dadurch nicht kompliziert. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, neben den Vorgängen der fortschreitenden Handlung auch Gedanken, Erinnerungen und Charakterbilder der Personen aus dem Szenengeflecht herauszufiltern, wird Soderberghs kunstfertiger, aber keineswegs künstlich wirkender Stil rasch zum reinen Vergnügen. Das Tollste an der Sache ist, dass sich der Film in jedem Stadium des Geschehens fortwährend selbst in Frage stellt. Keinen Schritt tut die Story nach vorn, ohne dass das Erreichte sogleich aus einer anderen Perspektive gesehen oder durch zusätzliche Informationen relativiert wird. Dass sich dabei im Kopf des Zuschauers auch noch zahllose Bezüge auf den Zeitgeist und die Filme der 60er-Jahre einstellen, ist beabsichtigt und erhöht den Reiz, Soderberghs ausgeklügelter Erzähltechnik zu folgen.Auch wenn hier und da eine beziehungsreiche Ablenkung in eine andere Richtung führt, bleibt doch Terence Stamps Wilson die beharrlich präsente Hauptfigur und das Hauptinteresse des Films. Sieht es zunächst so aus, als folge dieser starrköpfige Engländer seiner Neugier und seinem Racheplan mit deterministischer Entschlossenheit, so wird Wilson allmählich immer mehr mit der Erkenntnis konfrontiert, dass sein eigenes Verhalten für das Schicksal seiner Tochter mitverantwortlich war. Das stoppt nicht die Ausführung seiner Pläne, lässt ihn aber in gewisser Weise verwandelt den Rückflug antreten. Ähnlich verhält es sich mit Terry Valentine, den der sonst leicht einsilbig wirkende Peter Fonda voll genüsslicher Bravour als einen kalifornischen Lebemann mit kurzer Gedächtnisspanne anlegt, der im Verlauf der Handlung ebenfalls gezwungen wird, die Fassade seines selbstgefälligen Gebarens abzulegen.Mit jedem Film, den Steven Soderbergh seit seinem Debüt „Sex, Lügen und Video“
(fd 27 906) gemacht hat, profilierte er sich immer deutlicher als einer der interessantesten amerikanischen Regisseure. Sein einziges Manko liegt darin, dass er alle Projekte vom Stilistischen angeht – und sich insofern durchaus von Film zu Film weiterentwickelt. Er kann auch fesselnde, mehrschichtige Figuren entwerfen. Was ihm jedoch fehlt, ist der Blick für eine relevante, bewegende Story. Irgendwie sind alle seine Filme seltsam kalte, intellektuell stimulierende Geschichten, denen der letzte zündende Funke oder – pathetisch gesagt – die Überhöhung ins Allgemeinmenschliche fehlt, durch die sie sich im Gedächtnis des Zuschauers als große, unvergessliche Filme verankern könnten. Mit „The Limey“ kommt er diesem Ziel schon näher. Aber leider immer noch nicht nah genug.