„Es war eine pornografische Beziehung“, erzählt „Sie“ in die Kamera. Wer nun glaubt, dass der Film die landläufige Definition des Begriffs „Pornografie“ - die primitiv aufreizende Darstellung sexueller Handlungen - in Bilder und Worte umsetzen würde, der sieht sich, je nach Erwartungshaltung, schon bald enttäuscht oder angenehm überrascht, dass man dem anrüchigen Wort auch geradezu philosophische Aspekte entlocken kann. „Eine pornografische Beziehung“ - das ist nicht die übliche Liebesgeschichte mit Kennenlernen, Umwerben, Verführen, Glück und Leid, Trennung ,Versöhnung und Happy End. „Sie“ und „Er“ begegnen sich an einem Punkt, an dem all diese Stationen schon abgehakt sind. Ihnen, die sich über eine Anzeige gefunden haben, geht es um die Erfüllung ihrer sexuellen Sehnsüchte, fern jeder beziehungsimmanenter Machtstrukturen. „Sie“ hat schon vor dem ersten Rendezvous ein Hotelzimmer gebucht. „Und wenn ich dir nicht gefallen hätte?“, fragt „Er“ verunsichert. „Zu spät“, antwortet „Sie“, die nach längerem Alleinsein beschlossen hat, ihre Fantasien auszuleben, sich den Luxus zu erlauben, sie selbst zu sein. So treffen sie sich ein halbes Jahr lang ein- bis zweimal wöchentlich immer in derselben Pariser Absteige, ohne einander Namen, Beruf und Alter preiszugeben. Selten geht man nach dem Liebesakt noch aus, nie darf „Er“ „Sie“ nach Hause bringen. Als „Sie“ sich dann doch verliebt und ihm ihre Liebe gesteht, bricht er nach einem kurzen Eingehen auf ihre Gefühle die Beziehung ab.Von Anfang an hält die Inszenierung den Zuschauer auf Distanz. Es beginnt mit einer - später immer wieder aufgegriffenen - scheinbar dokumentarischen Sequenz, in der „Sie“ und „Er“ einem (unsichtbaren) Interviewer, ihre in Details divergierende Sicht der Dinge erzählen, was zusätzlich verwirrt: So behauptet „Er“, dass sie sich durch eine Annonce in einer Sex-Gazette kennen gelernt, „Sie“ will den Kontakt durch das Internet hergestellt haben. Dann taucht die Kamera, die das „Zwei-Personen-Kammerspiel“ in ästhetisch ausgeklügelte Scope-Einstellungen kadriert, in die Erinnerungen der Protagonisten ein, beobachtet sie beim ersten Zusammentreffen im Café, begleitet sie ins Stunden-Hotel, verweilt aber vor der Zimmertür, während die beide aus dem „Off“ ihre Eindrücke erzählen: „Er“ ist etwas ernüchtert, „Sie“ fand es „richtig gut“. Mit jeder Begegnung kommen sich die beiden näher, und auch die Kamera nimmt einen immer intimeren Standpunkt ein, ohne dabei eine voyeuristische Perspektive zu wählen. Und doch gibt es Momente, in denen man fast den Eindruck hat, einem Gespräch zu lauschen, das gar nicht für einen bestimmt ist. In diesen Augenblicken vergisst man dank der Schauspielkunst schnell, dass man im Kino sitzt: Nathalie Baye spielt nach „Si je t’aime, prends garde à toi“ und „Schöne Venus“
(fd 34 173) erneut mit beeindruckender Intensität eine Frau, die sich ihre sexuellen Wünsche erfüllt, und Sergi Lopez wirkt in seiner schüchtern-zurückhaltenden Art manchmal wie ein verschmitzter Junge.Die einfühlsame Inszenierung drängt keine Identifikationsmuster auf, regt vielmehr zum Nachdenken über das Wesen von Liebe und Sexualität in ihren vielfältigen Erscheinungsformen an. Es werden keine Botschaften verkündet, keine Urteile gefällt, und doch bleibt der Film nicht im Unverbindlichen stecken, weil immer wieder Alltag und (Lebens-)Philosophie in einen Zusammenhang gestellt werden. So werden die Akteure in der Begegnung mit einem alten Mann mit der Einsamkeit des Alters und einer erloschenen Liebe konfrontiert. Und als „Sie“ ihm offenbart, mit ihm alt werden zu wollen, kann „Er“ sich seiner Tränen nicht erwehren. Ein Mann, der bei einer Liebeserklärung weint - das ist im heutigen Kino der „coolen“ Typen eine Seltenheit und ein anrührendes Erlebnis. Genauso, wie das Missverständnis, das schließlich zur Trennung der Liebenden führt, mitleiden lässt, teilt man die Traurigkeit, die aus ihren Augen spricht, als sie ihn wieder sieht, aber nicht anspricht. Und doch ist keine Verbitterung in ihrem Ausdruck, der eher die Zufriedenheit einer gelebten Liebe spiegelt. Vielleicht trifft eine kleine sprachliche Differenz zwischen der französischen und der deutschen Sprache genau die Stimmung des Films: Während in der synchronisierten Fassung vom „Liebesakt“ die Rede ist, spricht „Sie“ in der Originalversion stets vom „Akt der Liebe“. Das hört sich weniger nüchtern oder gar technisch an, eher wie das Zelebrieren der wahrhaftigsten Gefühle, zu denen der Mensch fähig ist.