Schlagen und Abtun

- | Schweiz 1998 | 90 Minuten

Regie: Norbert Wiedmer

Dokumentarfilm über die in der deutschsprachigen Schweiz immer beliebter werdende Randsportart Hornussen, in dessen Verlauf sich ein gesellschaftlicher Mikrokosmos erschließt. Deutlich wird, wie sehr der Sport institutionalisiert wurde und wie die Sportler nicht nur ihren persönlichen Nutzen suchen, sondern den Spagat zwischen Tradition und Moderne wagen. Ein Film voller hintergründigem Witz, geprägt von der Liebe zum Sujet und zu den Menschen, die bei aller Kritik nie demontiert werden. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SCHLAGEN UND ABTUN
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Biograph Film
Regie
Norbert Wiedmer
Buch
Norbert Wiedmer
Kamera
Peter Guyer
Musik
Felix Hochuli
Schnitt
Stefan Kälin
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Ebenso wie das Schwingen, eine Variante von Ringen und Sumo, ist das Hornussen ein Sport, der nur in der deutschsprachigen Schweiz praktiziert wird. Auch das Hornussen sieht wie eine Kombination zweier Sportarten aus, die eigentlich wenig miteinander zu tun haben: Golf und Baseball. Ein Mannschaftsspiel, bei dem der „Schläger“ den „Nous“, eine 79 Gramm schwere Granulatscheibe, mittels eines langen, elastischen Glasfaserschlägers von einer Abschlagvorrichtung aus über das Spielfeld peitschen muss. Die gegnerische Mannschaft ist mit dem „Abtun“ beschäftigt, indem sie Holzschindeln in die Höhe wirft, um den Flug der Scheibe möglichst früh zu stoppen. Das hört sich ziemlich schweizerisch an und ist es wohl auch. Das bäuerliche Schlagspiel, das bis Ende des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich im Emmental betrieben, 1902 aber durch die Gründung des Eidgenössischen Hornusserverbandes als offizielle Sportart geadelt wurde, ist mittlerweile jedoch mehr als ein Freizeitspaß und kann als Spiegel der wohlhabenden Westschweiz betrachtet werden. Zwei Jahre lang widmete sich der Dokumentarist Norbert Wiedmer dem Hornussen. In 52 durch Schwarzfilm getrennten Momentaufnahmen stellt er vier Sportler in den Mittelpunkt seiner Beobachtungen. Dabei wird rasch deutlich, dass das Leben das Spiel längst eingeholt hat, das im Alltag durchaus hilfreich sein kann, um seine Interessen durchzusetzen und im Beruf erfolgreich zu sein. Äußerst geschickt nähert sich der Regisseur seinen Protagonisten. Langsam, aber stetig verknüpft er Sportkarriere und Lebens- bzw. Arbeitsalltag und verdichtet die Beobachtungen zum Bild einer Gesellschaft, die sich zwischen Tradition und Moderne einzurichten versucht und dabei auch die Widrigkeiten der jeweiligen Arrangements in Kauf zu nehmen bereit ist. Gestandene Hornusser lassen sich für eine Werbekampagne der Folkwatch-Uhren einspannen („Wir sind ein einig Volk von Watchern“) und wird das Sponsor-Logo einer Fast-Food-Kette auf die Schindeln gemalt, wie auch die privaten Geschäfte als Versicherungskaufmann, Bestatter oder Textilkaufmann gepflegt und neben bei vorwärts gebracht werden. Eine besondere Faszination übt dabei die Person eines Forstwartlehrlings aus, der als viel versprechendes Nachwuchstalent gilt, sich aber im Lauf des Films als jugendlicher Straftäter outet, dessen Leben mit einem riesigen Schuldenberg begann.

„Schlagen und Abtun“ führt weder den Sport noch die ihn betreibenden Menschen vor, sondern vermittelt Einblicke in eine eher geschlossene Gesellschaft. Geschickt balanciert der Film mit Witz, viel Sinn für groteske Alltagsituationen, Liebe zum Metier und wunderschönen Aufnahmen einer unbekannten Sportart auf einem schmalen Grat. So ist ein preisgekrönter Film über die Schweiz entstanden, der Menschen jenseits der Postkarten- und Touristenklischees zeigt: Menschen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, die ihre Traditionen bewahren wollen, zugleich aber auch die Zeichen der schnelllebigen Zeit nicht ignorieren können und einen Spagat versuchen, der durchaus liebenswert und verständlich ist und dennoch mitunter dem Aberwitz Tür und Tor öffnet. Ein Glücksfall für das dokumentarische Kino, der eine gewisse Sympathie der Macher für das Thema des Films nicht leugnen kann, dem sie allerdings kritischer als die Hornusser gegenüber treten. Ein Film, dem es auch an Süffisanz nicht mangelt, die jedoch von Respekt und dem Willen zur Erkenntnis getragen ist.
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