Happiness (1998)

Drama | USA 1998 | 140 Minuten

Regie: Todd Solondz

Einblicke in das Leben einer Familie in einem Vorort von New Jersey: Drei Schwestern - eine Hausfrau, eine jung gebliebene Träumerin und eine Bestsellerautorin - treffen sich regelmäßig, deuten untereinander die Verzweiflung über ihre jeweilige Lebensführung jedoch nur an und geben sich gute Ratschläge. Eine stilistisch konsequent gestaltete Studie über verdrängte Verletzungen und unüberwindbare Verhaltensmuster. Durch die radikale Reduzierung filmischer Mittel wird ein fast körperlich spürbarer psychologischer Realismus erreicht, der, auch dank der brillanten Darsteller, die seelischen Defizite seiner Protagonisten wesenhaft erfaßt.
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Filmdaten

Originaltitel
HAPPINESS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Good Machine International
Regie
Todd Solondz
Buch
Todd Solondz
Kamera
Maryse Alberti
Musik
Robbie Kondor
Schnitt
Alan Oxman
Darsteller
Jane Adams (Joy Jordan) · Elizabeth Ashley (Diane Freed) · Dylan Baker (Bill Maplewood) · Lara Flynn Boyle (Helen Jordan) · Ben Gazzara (Lenny Jordan)
Länge
140 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Daß ein Film mit dem Titel „Happiness“ nicht lauter glückliche Menschen zeigen würde, war zu befürchten, erst recht angesichts des Debütfilms von Todd Solondz, „Willkommen im Tollhaus“ (fd 32 220). Darin bemühte sich eine als unattraktiv beschimpfte Schülerin, von Mitschülern und Erwachsenen respektiert, ja geliebt zu werden, was Solondz als absolut aussichtslos darstellte. Daß er nach diesem Debüt seinen Stil derart konsequent fortführt, ja verfeinert, ist allerdings überraschend. In „Happiness“ zeigt er einen ganzen Reigen Erwachsener bei ihrem Streben nach „happiness“, nach Glück. Nicht das Glück als Fügung ist damit gemeint, sondern ein im amerikanisch-calvinistischen Sinne auszulegender Zustand von Glückseligkeit am Ende eines langen Weges: „The Pursuit of Happiness“, der als eherne Verheißung auch in der Verfassung verankert ist. Der Titel mag insofern sarkastisch klingen, der Inhalt bitter wirken, aber Solondz nimmt sein Thema durchaus ernst: was jene „happiness“ heute für Menschen bedeutet, wie sie sich ihren Weg dorthin bahnen – und wie man es ganz sicher nicht schafft.

Diesmal versucht Solondz eine Art Längsschnitt durch die Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht erneut eine jener Mittelstandsfamilien, wieder aus New Jersey, deren Harmoniesucht die meisten US-Sitcoms bedienen und deren Ängste die meisten TV-Movies. Es geht um drei Schwestern, die, so unterschiedlich ihre Ansichten auch sein mögen, dennoch tapfer den familiären Umgang pflegen, indem sie sich immer wieder unter einem Dach vereinen: Trish, die aufopferungsvolle Hausfrau, Joy, die Träumerin, und Helen, die Bestseller-Autorin. Weit entfernt von jeder simplen Typen-Einteilung, wird Trish trotz eigenen Frusts von pädagogischem Impetus angetrieben und ist mit einem als Psychiater gut getarnten Psychopathen verheiratet; hat Joy ein Selbstvertrauen gegenüber Männern entwickelt, das ihr aber sowohl gegenüber den Schwestern abhanden kommt als auch beim Zusammentreffen mit einem sehr dubiosen Taxifahrer; ist Helen unfähig, ihre mühsam antrainierte, stoische Arroganz von ihrem Gefühl der Leere zu trennen. Die Konflikte werden längst nicht mehr offen ausgelebt. Die Schwestern haben einen subtilen Kodex aus Andeutungen und stummen Blicken sowie einem Lächeln zur rechten Zeit entwickelt, das mal gutmütige Zustimmung heuchelt, mal offene Herablassung meint. Hier brilliert besonders Lara Flynn Boyle, die den Regisseur bereitwillig an ihrem Image aus Glamour und Schönheit kratzen läßt. Als Helen wird sie regelmäßig von einem obszönen Anrufer belästigt, den man seinerseits als soziales Wrack kennenlernt. Anders als seine übrigen Opfer verlangt es Helen alsbald nach einem Treffen mit ihm: Die vielen strahlenden Muskelmänner, von denen sie umringt ist, langweilen sie, so wie ihr ganzes schönes Leben. Auch die Eltern leben in vordergründig geordneten Verhältnissen, in hellen, schicken Interieurs, doch ihr Dasein wird bestimmt von Scheidungs- und Todessehnsucht.

„Happiness“ ist eine Art Sequel, denn es illustriert, mit welchen Verwundungen Erwachsene herumlaufen müssen, die eine ausweglose und düstere Kindheit wie die im Vorgängerfilm gezeigte hinter sich haben. Alles, was zwischen den Schwestern abläuft, nährt sich aus einem einmal etablierten System von Dominanz und Unterwerfung, das sich nicht mehr abstreifen läßt. „Willkommen im Tollhaus“ zeigte die Keimzelle, ein skrupelloses Ringen um Vormachtstellungen im gesellschaftlichen Mikrokosmos von Elternhaus, Schule und Vorort. „Happiness“ macht klar, daß dieses Streben kein Ende hat, in Sackgassen mündet und selbst unter den vermeintlichen Gewinnern Opfer fordern kann. Denn, auch dies wird hier deutlich, gesellschaftlicher Aufstieg ist meist affirmativ, stets den Regeln des jeweiligen sozialen Raums unterworfen. Solondz’ Verlierer sind nicht nur diejenigen, die sich diesen Spielregeln entziehen, sondern auch die anderen, die sich ihnen voll und ganz widmen. Solondz selbst entzieht sich den Spielregeln des Kinos. Er läßt die Kamera am liebsten dann laufen, wenn nichts passiert, wenn sich Figuren schweigend gegenübersitzen, wenn ein Satz ins Mark getroffen hat, wenn Schweigen als erlebte Unmöglichkeit von Verständigung unerträglich wird. Dazu kommen einige Szenen und Dialoge, die sich mit Tabus befassen, die hinter gutbürgerlichen Fassaden gepflegt werden: Masturbation, Päderastie, Inzest. Solondz’ Kunst ist es, gerade in solch heiklen Momenten gängige Dramaturgien zugunsten eines Realismus zu vernachlässigen. Keine szenische Verdichtung, keine musikalische Überhöhung steht dem Zuschauer bei, während die Filmfiguren ihre Niederlagen erleiden, und nicht einmal deren Reaktionen führen zu einer Auflösung, da sie meistens steinern sind. Gerade in dieser Reduktion der filmischen Mittel aber, durch diesen radikalen psychologischen Realismus, durchdringt Solondz seine Themen mit geradezu körperlich spürbarer Unmittelbarkeit, die er auch seinen wunderbar agierenden Schauspielern zu verdanken hat. Entscheidend ist auch seine besondere Begabung für skurrilen Humor, die selbst in den dunkelsten Momenten des Films noch aufscheint.
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