Seit 20 Jahren hat er keinen Film mehr gemacht: Terrence Malick, Regisseur von „Badlands“
(fd 20 728) und „In der Glut des Südens“
(fd 22 049). Dennoch besitzt er eine weltweite Fangemeinde, die das Internet schon Monate vor der Premiere von Malicks neuem Film mit Fragen und Diskussionen füllte. Wird sich „Der schmale Grat“ neben dem anderen Kriegsfilm der jüngsten Zeit, Spielbergs „Der Soldat James Ryan“
(fd 33 341), behaupten können? Ob geschäftlich, das muß sich noch herausstellen; aber künstlerisch ist es keine Frage mehr. War Spielbergs Antikriegsfilm im Kern auch ein Loblied auf die Tapferkeit der Veteranen, so ist Malicks Film eine philosophische Einkreisung der existentiellen Situation des Menschen in einer entmenschlichten Umgebung. Beide beschäftigen sich mit dem Zweiten Weltkrieg, beide beschreiben Ereignisse an vorderster Front – und könnten doch verschiedener nicht sein. Kann man in Spielberg den Realisten sehen, der auch noch das kleinste Detail eines unmenschlichen Kampfes Mann gegen Mann „richtig“ und „wirklichkeitsnah“ auf die Leinwand bringen wollte, so tritt einem in Malick ein Regisseur gegenüber, dessen Ziel es zu sein scheint, die Zerstörung der Unschuld durch den Menschen und dessen selbstverursachtes Leiden am Beispiel einer Infanterie-Einheit in geradezu mythische Dimensionen zu transzendieren.Die Handlung ist dem 1962 publizierten Roman von James Jones entliehen, der zwei Jahre nach seinem Erscheinen schon einmal verfilmt wurde („Sieben Tage ohne Gnade“, Regie: Andrew Marton, fd 13 636). Beschrieben wird darin die blutige Schlacht der Amerikaner gegen die Japaner auf der Pazifikinsel Guadalcanal im Jahr 1943 und insbesondere die verlustreiche Einnahme einer strategisch wichtigen Anhöhe durch die amerikanische Infanterie, genauer gesagt durch die „C-for-Charlie-Company“. Wer von Malick eine getreue Verfilmung des Romans erwartet, wird enttäuscht; er benutzt die Figuren und Konstellationen des Buches vielmehr, um sie in eine weitläufige Umschreibung des Kampfeinsatzes zu integrieren, in der jeder einzelne nur punktuelle Bedeutung hat, während Malicks philosophierende Perspektive zum eigentlichen Thema und Mittelpunkt des Films wird. Wenn man will, gibt es noch fünf Personen, an denen man sich festhalten kann: die beiden Soldaten Witt und Bell, Sergeant Welsh, Captain Staros und Lieutenant Colonel Tall. Die Stars – von John Travolta bis George Clooney – tauchen nur in winzigen Chargenrollen auf. Lieutenant Colonel Tall ist der ehrgeizige, rücksichtslose Antreiber hinter den Linien, gegen den Staros mehrmals vergeblich aufbegehrt. Die Anhöhe muß eingenommen werden, auch wenn die Einheit dabei draufgehen sollte. Eine Stunde des fast dreistündigen Films dauert der Kampf. Doch das Entscheidende, das Malicks Film ausmacht, vollzieht sich in dem Rest der Zeit.Beginnend mit dem Unruhe stiftenden Bild eines lauernden Krokodils und mächtig drohendem Orgelklang à la „2001 – Odyssee im Weltall“
(fd 15 732), läßt sich „Der schmale Grat“ danach erst einmal Zeit zur Kontemplation über ein paradiesisches Idyll, das weit jenseits unserer Erfahrungswelt liegt und das Malick während des Films immer wieder als Bezugsgröße zitiert, um die horrende Arroganz und Bestialität dieses Krieges in die richtige Proportion zu rücken. Die letzte Stunde nach dem Kampfgeschehen ist eine Darstellung der Folgen und Auflösungserscheinungen, die das Monstrum Krieg bedingt. Was am Anfang als Haltepunkt, als Trost oder als Ideal dienen konnte, zerfällt in seine prosaischen Bestandteile und wirft die Überlebenden auf sich selbst zurück. „Dieses große Unheil, woher kommt es, wie hat es sich in unsere Welt gestohlen? Wie haben wir das Gute verloren, das uns gegeben war?“ Dies ist eine der vielen Fragen, mit denen Malick sein Publikum entläßt. Es sind diese Selbstgespräche und Meditationen im Hintergrund des Geschehens, die den Atem des Films ausmachen. Die Stimmen von acht Soldaten, meist die von Witt und Bell, dienen Malick dazu, die episodische Struktur seines Films zu einen und ihn in einer großen Ellipse zum Anfang zurückkehren zu lassen, zu einem Anfang allerdings, in dem das Bild des bedrohlichen Krokodils, an das man sich erinnert, nun eine definierbare Bedeutung besitzt.Schon in „Badlands“ hat Malick den sachlichen, unemotionalen Stil optisch irritierend durchsetzt mit lyrischen Einstellungen vereinzelter Menschen in einer faszinierend schönen Umwelt, mit Bildern der Entfremdung und der Desolation – eine Eigenheit, die dann in „In der Glut des Südens“ zum beherrschenden Merkmal seiner Inszenierung wurde. Gleichzeitig bediente er sich stets des Off-Kommentars, um eine Perspektive zu bekräftigen, für deren Konstituierung ihm die optischen Mittel nicht auszureichen schienen: der Verlust der Unschuld in einer von Autorität und Gewalt bestimmten Umwelt. (Ja, Malicks Filme erinnern auch ein bißchen an die Blumenkinder der 60er Jahre). An dieser „Technik“ hat sich durch die 20jährige Abstinenz nichts geändert. Zwischen Szenen blutigen Kriegsgeschehens gibt es immer wieder Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint: poetische Bilder des sich im Wind wiegenden Grases, exotischer Vögel und bizarrer Baumgestalten. Es ist, als ob die Soldaten, die da in einen fast aussichtslosen Kampf getrieben werden, eine zweite Seele hätten – die eine, die sich dem Feuer des Feindes entgegenwerfen muß, und die andere, die in der unwirklichen Schönheit eines verlorenen Paradieses zurückbleibt. Diese Gespaltenheit wird nachdrücklich unterstützt durch die Monologe im Hintergrund, deren Meditationen die Realität der Ereignisse zuweilen in halluzinatorischen Surrealismus verwandeln. Genau diese Ambivalenz macht Malicks Unverwechselbarkeit aus, die „Der schmale Grat“ – wie auch seine beiden früheren Filme – von allem unterscheidet, was sonst aus Hollywood auf die Leinwand kommt.Auch für ein Publikum, das die Verquickung von Realismus, Poesie und Metaphorik als Ausdruck einer faszinierenden individuellen Fantasie akzeptiert, wird sich „Der schmale Grat“ jedoch nicht als makelloses Werk darstellen. Malick hat angeblich 300.000 Meter Film belichtet und mußte sich während langer Tage und Nächte im Schneideraum von dem meisten Material trennen. Ganze Rollen – wie die von Bill Pullman und Lukas Haas – wurden eliminiert, andere – wie die von Adrien Brody – auf wenige Minuten gekürzt. Es mag in Malicks Absicht gelegen haben, sich nicht im herkömmlichen Sinn auf wenige profilierte Hauptfiguren zu konzentrieren, sondern mit der Austauschbarkeit der Rollen den entpersönlichenden Einfluß des Krieges und die Universalität des Zerstörerischen zu untermauern, deren stete Gegenwärtigkeit und deren Konsequenzen sein Film auf vielfältige Weise aufzeigt. Dennoch muß bezweifelt werden, daß er von Anfang an darauf aus war, Personen so abrupt aus der Handlung zu entlassen, wie es jetzt der Fall ist. Besonders im letzten Drittel des Films wird spürbar, daß Entwicklungen und Motivationen fehlen. Hatte man sich als Zuschauer über zwei Stunden hin an den langsamen Fluß der Bilder und den kontemplativen Rhythmus des Kommentars gewöhnt, so fallen im – immer noch eine dreiviertel Stunde langen – Schlußteil harte Übergänge und offensichtliche Verkürzungen um so deutlicher auf. Nur mühsam hält der Film das Gleichgewicht, und nur mit viel Fantasie läßt sich abschätzen, was Malick für dieses Schlußkapitel einmal vorgeschwebt haben mag. So hat man es bei „Der schmale Grat“ mit dem höchst seltenen Fall eines überlangen Films zu tun, dem man die Freiheit gewünscht hätte, noch länger zu sein. Vielleicht erhält Malick ja einmal – wie unlängst Bertolucci für „ Der letzte Kaiser“
(fd 26 488) – Gelegenheit, aus dem Schnittmaterial eine weitere Stunde hinzuzufügen.