Das Leben bejahende Filme haben Seltenheitswert im heutigen Hollywood. Selbst die Soap Operas des Fernsehens sind nur noch voll von Intrigen und verletzten Gefühlen. Paradoxerweise gelingt es den Filmemachern am besten, dem Leben auch etwas Lebenswertes abzugewinnen, wenn es ums Sterben geht. Brad Silberlings „Stadt der Engel“
(fd 33 236) vermochte es, sein Publikum nach todtrauriger Story aufgerichtet in den Alltag zu entlassen. Ähnliches gilt auch für Martin Brests „Rendezvous mit Joe Black“, eine sehr freie Neuverfilmung des in deutschen Kinos unterschlagenen Mitchell-Leisen-Films „Death Takes a Holiday“ aus dem Jahr 1934. 65 Jahre alt – wie jener Film – ist William Parrish, Chairman von Parrish Communications, eine Art Rupert Murdoch der alten Schule, der sein Unternehmen auch dann noch nicht an ein modernes Kartell verkaufen will, als ihm seine letzte Stunde geschlagen hat. Mitten in der Nacht ist er mit Schmerzen in Brust und Arm aufgewacht. Doch nicht die Herzattacke ist es, die ihn am meisten verstört, sondern eine Stimme, die seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen scheint. Am folgenden Tag gehört zu der Stimme auch ein Körper. Es ist der Körper eines attraktiven jungen Mannes, der tags zuvor Parrishs Tochter Susan in einem Coffee Shop kennengelernt hatte und wenige Augenblicke später Opfer eines Autounfalls geworden war. In dieser „Verkleidung“ erscheint der Tod persönlich in der opulenten Villa des Medienmoguls und lädt sich ungeniert zum Abendessen ein. Parrish reagiert nur kurzfristig verwirrt auf das leibhaftige Auftauchen des unabweisbaren Gastes, stellt ihn als seinen Freund Joe Black vor und schlägt ihm, bald wieder gefaßt, einen Handel vor: Er erklärt sich bereit, dem Gast so viel vom Leben der Menschen zu zeigen, wie dieser wissen will, verlangt aber als Gegenleistung, daß seine Familie unbehelligt bleibt.Das ist die Exposition eines Films, von dem man annehmen könnte, er sei eine Komödie. Zumal sich der mysteriöse und im Körper des jungen Erdenmenschen etwas ungelenke Gevatter Tod an Parrishs Schritte heftet wie ein Schatten. Er besteht darauf, an den Aufsichtsratssitzungen des Konzerns teilzunehmen, nistet sich in Parrishs Privatleben als nicht mehr wegzudenkendes zweites Ich ein und zeigt sich fasziniert von den kleinen und großen Absurditäten des Menschenlebens. Auch kann er den herrlichen, ungeahnten Gefühlen nicht widerstehen, die jedesmal in ihm wach werden, wenn ihm Susan, des Tycoons Tochter, über den Weg läuft. Doch Martin Brest ist an den komödiantischen Elementen nur am Rande interessiert, schon gar nicht an der Satire, die jeden Augenblick in Mitchell Leisens Film auf der Lauer lag. Brest sieht in dem Stoff vielmehr eine Gelegenheit, das Publikum mit der Gedanken- und Gefühlswelt zu konfrontieren, die in einem Menschen aufbricht, der sehenden Auges und wachen Geistes die Grenzen seiner Existenz wahrnimmt. Irritierenderweise rückt deshalb in „Rendezvous mit Joe Black“ sehr bald alles zur Seite, was die nacherzählbare Handlung ausmacht. Dafür nehmen die Gespräche zwischen den Personen breiten Raum ein und entwickeln sich im Verlauf des Films immer deutlicher von Konversationen zu Meditationen. Brest hat die äußere Hülle der aufwendigen Hollywood-Fabel und der alten Komödienhandlung übernommen, interpretiert deren Thema aber auf sehr individuelle Weise. Er räumt alles weg, was nach Slapstick oder behendem Dialogwitz schmecken könnte, und optiert für eine melancholische Paraphrase über die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Er läßt den personifizierten Tod in ein Milieu gleißender Saturiertheit einbrechen, irdische Macht und Besitz zu angenehmen, aber wenig hilfreichen Äußerlichkeiten reduzierend. Mehr als an der Feudalität des Palazzos, in dem Parrish residiert, zeigt sich der neugierige Tod an banalen Genüssen interessiert, wie etwa an dem Geschmack von Erdnußbutter. Einer alten sterbenden Frau aus der Karibik, die intuitiv sein wahres Gesicht erkennt, zollt er mehr Respekt als den Karrieristen im Umfeld des Medienmoguls, der auch beruflich als zum Aussterben verurteilter Idealist charakterisiert wird. Es ist nicht nur das private Dasein des erfolgreichen Geschäftsmanns, das sich seinem Ende nähert, sondern ebenso die Ära gewissenhafter Unternehmer, deren Fortbestand selbst die kleinen raffinierten Interventionen Joe Blacks auf Dauer nicht werden sichern können. In diesen Kontext rückt Brest die eigentliche zentrale Perspektive der Story, der er viel Zeit zur Entwicklung läßt und die er in langen und leisen Einstellungen und Dialogen einkreist wie ein Pathologe, dem Ahnung nicht sogleich Gewißheit bedeutet: das allmähliche Sich-Öffnen der Menschen im Angesicht des Todes, die Offenlegung einer inneren Schicht, die jahrzehntelang hinter Hemmungen und Konventionen verborgen war, und die Einsicht, daß Menschen nur selten das sind, was der äußere Schein von ihnen vermittelt.Die Mehrheit der amerikanischen Kritiker war nicht bereit, Brest bei diesem Konzept zu folgen. Sie mißverstanden den Film auf Grund falscher Erwartungen als „Komödie unter einem Schleier metaphysischer Sentimentalität“. In der Tat scheint es weder für ein heutiges Publikum noch für professionelle Filmkritiker leicht zu sein, die Geduld aufzubringen, um Brests Entsensationalisierung eines in den Grundzügen höchst breitenwirksamen und kommerziellen Stoffes mitzuvollziehen. Die „Sensation“ heutigen Filmverständnisses ersetzt er durch „Sensationen“ im eigentlichen Wortsinn, nämlich Empfindungen und Emotionen. Seine Figuren entwickeln sich weniger durch Taten als durch Gefühle. Und die kommen – auch im Angesicht des Todes – nicht leicht an die Oberfläche. Die pauschale Psychologie unserer Populärliteratur und unseres repetitiven, kurzatmigen Unterhaltungskinos scheint Brest mit Recht zu hassen. Davon zeugte schon sein Film „Der Duft der Frauen“
(fd 30 096), und davon legt „Rendezvous mit Joe Black“ noch deutlicher Zeugnis ab. Brest hat Geduld mit seinen Charakteren. Die Kamera wartet auf sie, zwingt sie nicht stets zum Agieren und Sprechen, sondern gönnt ihnen Ruhe zum Atmen, begnügt sich oft auch nur mit Blicken und Gesten. Das Spiel der Darsteller ist so zurückgenommen und leise, daß man vor jeder Veränderung des Originals – sei es auch nur durch Synchronisation – Angst haben muß, weil sie das fragile Gleichgewicht verschieben oder zerstören könnte. Es ist ein fatales Mißverstehen des Films, wenn die langsam an die Oberfläche drängenden Gefühle mit Sentimentalität verwechselt werden und sich dem womöglich noch die Brandmarkung alles Sentimentalen als schlecht hinzugesellt. Falls Brest sich dem billigen Effekt hingibt, so passiert das überwiegend in den Randzonen der Story, die ihn (vermutlich auf Grund ihrer Konventionalität) wenig zu interessieren scheinen. Beeinträchtigt wird der Gesamteindruck allerdings durch die Besetzung der Hauptrolle mit Brad Pitt, der zwar in den ersten 15 Minuten als sympathisch-spontaner junger Mann seine Pflicht erfüllt, auf Parrishs Tochter Eindruck zu machen, danach aber den Dimensionen der Rolle kaum gewachsen ist. Jeder seiner Auftritte suggeriert das Empfinden, daß sich Pitt in einer Komödie ungleich wohler gefühlt hätte. Deshalb zentriert sich der Film im Lauf der Zeit mehr als beabsichtigt auf das Verhältnis des Vaters zu seinen Töchtern, wobei das jeder Situation gewachsene Spiel von Anthony Hopkins weniger überrascht als die erstaunlich einfühlsame Claire Forlani, die auch in der Partnerschaft mit Brad Pitt stets die Szene beherrscht. Der Film mag dadurch etwas von dem ursprünglich anvisierten Weg abkommen, gewinnt sich aber gleichzeitig ein mindestens ebenso relevantes Feld.Genau betrachtet, ist Brests Leistung um so höher zu veranschlagen, als er mit einem Stoff arbeitet, der – immer noch erkennbar – von Anfang an gar nicht auf die Dimension ausgerichtet war, die er unter Brests Händen annimmt. So liegen unzweifelhaft die langen kontemplativen Sequenzen, die im fertigen Film im Vordergrund stehen, im Kampf mit etlichen kommerziellen Zugeständnissen und einem gelegentlichen Hang zur pathetischen Überbelastung des Stoffes, von denen schwer vorstellbar ist, daß der sonst so sensibel arbeitende Regisseur sie für unentbehrlich gehalten hätte. Manches, was bei der Produktion Material und Geld gekostet hat, konterkariert mehr die Intimität, auf die Brest hinzielt, als daß es dem Film bei jenem Publikum nützen könnte, das zu dem ansonsten so behutsamen und bedächtigen Stil keinen Zugang findet. Wie häufig bei leicht verletzlichen Filmen wie diesem erwirbt sich auch die Musik kein Ruhmesblatt, weil ihr emotionaler Verdoppelungseffekt konventionelle Höhepunkte zu schaffen versucht, wo ruhiges Ausatmen angebrachter wäre. Zum Schluß jedoch vermag sich Brest auch gegen solche Klischees wieder zu behaupten, indem er die orgiastische Geburtstagsparty für den 65jährigen Medientycoon zum Schauplatz des Todes und der Versöhnung umfunktioniert. Die Erkenntnis, daß Menschen in ihrem Innern auch den Tod besiegen können, ist das Feuerwerk wert, das er am nächtlichen Himmel abbrennen läßt.