Das Gruppenporträt junger arbeitsloser Gelegenheitsdiebe und ihrer Frauen. Der Film des britischen Filmemachers Shane Meadows wird zusammen mit dessen Kurzfilm "Where's the Money, Ronnie?" (1995) aufgeführt, in dem vier junge Männer nach einem Überfall verhört werden und jeweils eine andere Wahrheit über den Hergang des Tatgeschehens von sich geben. Beide Filme nähern sich der Realität unverkrampft, frisch und dynamisch. Mit genauer Beobachtungsgabe und viel Lust an schwarzem Humor beleuchtet der Langfilm den Ausbruch eines schüchternen Jungen aus der Clique und seinen Einzug ins "bürgerliche" Leben. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 16.
Smalltime
- | Großbritannien 1996 | 60 Minuten
Regie: Shane Meadows
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Filmdaten
- Originaltitel
- SMALL TIME
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Big Arm Prod./British Film Institute
- Regie
- Shane Meadows
- Buch
- Shane Meadows
- Kamera
- John Arnold
- Musik
- Gavin Clarke
- Schnitt
- David Wilson
- Darsteller
- Dena Smiles (Kate) · Mat Hands (Malcolm) · Gena Kawecka (Ruby) · Shane Meadows (Jumbo) · Jimmy Hynd (Big Willy)
- Länge
- 60 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
„Ich will Filme machen und nicht Geld“, sagt Shane Meadows, Jahrgang 1973, Sohn eines Lastwagenfahrers und einer Pommes-Frites-Verkäuferin. Die Mittelschule mußte er noch vor dem Abschluß verlassen, aber weil er als Jugendlicher, nach dem Genuß Tausender geborgter Videos, unbedingt selbst zum Kino wollte, nutzte er die erste beste Chance und bot sich einer Firma für Lehrfilme als Gelegenheitsjobber an. Dafür durfte er kostenlos eine Videokamera ausleihen. Seine ersten Arbeiten – so geht jedenfalls die Legende – drehte er vormittags, montierte sie nachmittags und zeigte sie abends in einem lokalen Kino. Schon nach zwei Jahren hatte er 25 Kurzfilme realisiert, mit Leuten aus der Nachbarschaft als Darsteller – und einem untrüglichen Gespür für die soziale Realität in der Industriegegend um Nottingham. Mit „Where’s the Money, Ronnie?“ (1995), zwölf Minuten lang, wurde er über die Grenzen seiner Heimatstadt bekannt und erhielt den Auftrag, einen Dokumentarfilm für Channel Four zu drehen. Den Lohn, etwa 4500 Pfund, steckte er dann in seinen ersten langen Spielfilm „Smalltime“ (1996). Damit avancierte Shane Meadows zu einem der originellsten Newcomer des britischen Kinos, was sich 1997 mit „TwentyFourSeven“ (fd 33 117) nachdrücklich bestätigte.„Where’s the Money, Ronnie?“ und „Smalltime“ kommen jetzt im Doppelpack in die Kinos. Der Kurzfilm, flott und frech, läßt vier junge Männer zu Wort kommen, die irgendwie in einen Überfall verwickelt waren, bei dem auch zwei Menschen starben. Der verhörende Untersuchungsrichter bleibt unsichtbar; die Männer geben jeweils ihre subjektive Variante des Tathergangs preis, und in ihre Statements sind sich überstürzende, zum Teil in Zeitraffer aufgenommene Bilder des Überfalls eingeschnitten. Am Ende ist man, die Schuldfrage betreffend, so klug wie zuvor. „Sie entscheiden! Sie haben zugehört!“, fordert ein Insert den Zuschauer auf. Aber eine objektive Wahrheit gibt es nicht. Kurosawas „Rashomon“ (fd 1 875) mag für das kleine, durchgängig blau getönte Mini-Werk Pate gestanden haben, bei dem Meadows selbst als Ronnie zu sehen ist.Auch in „Smalltime“ spielt der Regisseur eine Hauptrolle: den arbeitslosen Gelegenheitsdieb Jumbo, der die Ideale eines Robin Hood auf seine Weise auslegt: Auch er nimmt von den Reichen, zum Beispiel Hundefutter aus dem Lager eines Supermarkts, und gibt den Armen – aber nicht ganz umsonst, sondern zum halben Preis. Schon die ersten Bilder zeigen, worauf Meadows hinaus will: Für ihn ist der subproletarische Alltag kein Stoff für ein pädagogisierendes Melodram à la Ken Loach, sondern für ein selbstironisches, schwarzhumoriges Happening geborener Looser. Vieles wirkt überdreht, schrill und grell, ohne daß der Boden des Authentischen auch nur für eine Sekunde verlassen wird. Die Darsteller, darunter Freunde aus der Kleinstadt Snelton, spielen sich selbst, tragen ihre eigenen Klamotten – meist billige Sportkleidung – , schütten Lambrusco in sich hinein und vermitteln in improvisierten Dialogen eigene Erfahrungen. Außer in Actionszenen wie dem Diebstahl des Hundefutters oder dem Überfall auf einen Hippie-Laden, bei denen die Handkamera hektisch bewegt ist, verharrt das Bild vorwiegend in langen Halbtotalen. Die Technik drängt sich nicht auf, sondern macht sich unsichtbar; sie gibt den Akteuren Raum und Zeit und erfaßt gleichzeitig das jeweilige Umfeld: die Wohnungen, Häuser, Kneipen, Straßen. „Smalltime“ ist als Gruppenporträt angelegt, bei dem Meadows ausgiebig mit Parallelmontagen arbeitet. Während die Männer stehlen und ihr Diebesgut unter die Leute bringen, hocken die Frauen vor dem Fernseher und quatschen. Während Jumbo und seine Geliebte Ruby streiten, weil er Sex will, sie aber nicht, gibt es auch in der Wohnung nebenan, bei Malcolm und Kate, Krach. Das flächige Gruppenporträt verengt sich erst nach und nach auf Malcolm, den schmalsten, schüchternsten der jungen Männer, der zudem noch mit dauernden Rückenverspannungen zu kämpfen hat. Er bereitet seinen Ausbruch aus der Tristesse vor – genau zu jenem Zeitpunkt, an dem seine Kumpel überhaupt nicht damit rechnen. Auch wie sich die Wege der Jungen trennen, zeigt Meadows in parallelen Sequenzen: Jumbo und andere werden nach einem Überfall von der Polizei geschnappt; Malcolm rast nach Hause, lädt Frau, Kinder und Staubsauger in einen Lieferwagen und fährt davon. Am Schluß – die anderen sitzen hinter Gittern – verkaufen Kate und Malcolm in ihrer eigenen Bude Donuts. So und nicht anders sieht sie aus: die Karriere kleiner Leute.„Smalltime“ macht Spaß, weil er vollkommen aus dem Bauch kommt, unverkrampft, frisch und dynamisch. Meadows interessiert sich für das Leben pur, seine Helden sind ihm allesamt liebt und er erhebt sich nicht über sie. Er kennt ihre Bewegungen und Beweggründe, ihre Sprache und ihre Sprüche, und er will weder bessern noch bekehren noch irgendwen oder irgendwas anklagen. Er hält einfach nur die Augen offen und trifft genau den Ton seiner kleinen, großen Welt. Das britische Kino hat es gut.
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