Neue Welt (1976)

Politthriller | Mexiko 1976 | 101 Minuten

Regie: Gabriel Retes

Mexiko im 16. Jahrhundert: Um ein Massaker an den Indios zu verhindern, greift ein Geistlicher zu einer vermeintlichen Finte, beschwört damit jedoch blutiges Unheil herauf. Ein Film, der die Position der unterdrückten Ureinwohner einnimmt und mit einfachen und recht drastischen Mitteln die Funktionsweise der Conquista beschreibt. Mit historischer Akribie inszeniert, bemüht sich der Film um eine schonungslose Darstellung der Ereignisse und plädiert für religiöse Toleranz, läßt jedoch kaum Spielraum zur Reflexion zu. (O.m.d.U.; Alternativtitel: "Die Herren der neuen Zeit", "Die Herren der neuen Welt")
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Filmdaten

Originaltitel
NUEVO MUNDO
Produktionsland
Mexiko
Produktionsjahr
1976
Produktionsfirma
Conacine/S.T.P.C. de la R.M.
Regie
Gabriel Retes
Buch
Pedro Miret
Kamera
Daniel López
Musik
Raúl Lavista
Schnitt
Eufemio Rivera
Darsteller
Aaron Hernan (Don Pedro) · Tito Junco (Don Fernando) · Juan Angel Martinez (Manuel) · Ignacio Retes (Don Diego) · Jorge Santoyo (Hauptmann)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Genre
Politthriller | Historienfilm

Diskussion
Die neue Welt im 16. Jahrhundert: Die spanischen Eindringlinge stehen dem Problem gegenüber, die besiegten Indios zu christianisieren. Das ist die offizielle Mission. Und wenn dies nicht durch für die Indios unverständliche Worte und Sachverhalte geht, dann eben mit Feuer und Schwert. So geben die Spanier den Indios einen Vorgeschmack auf die Apokalypse. Gleichzeitig werden die Heiligtümer der Ureinwohner zerstört, ihre Völker gejagt und versklavt.

Die Indios revoltieren, sie sind in der Überzahl; die Spanier sind bereit, ihr geraubtes Eigentum (denn darum geht es im Kern, Gott ist da nur ein Vorwand) mit allen Mitteln zu verteidigen. Frail Pedro Francisco de Canas will ein überflüssiges Massaker verhindern. Ein Wunder muß her: Wenn eine Indio-Madonna erschiene, dann könnte man die Indios wohl unter Kontrolle bekommen. Er erpreßt Manuel Ortiz, einen getauften Maler indianischer Abstammung. Er soll eine Indio-Madonna malen und seinen Leuten sagen, er habe sie in einer Vision gesehen. Die Madonna wird in der Tat akzeptiert - nur anders, als sich die Kirchenmänner das vorgestellt haben. Deshalb müssen alle Beteiligten ermordet werden. Blut fließt, eine neue Form des Glaubens ist entstanden.

Nuevo Mundo, neue Welt: Ein neuer Glaube entsteht, ein neues Volk entsteht, eine neue Kultur entsteht. Eine erfundene Kultur, die die Menschen beleben. Retes zeigt, wie Lateinamerika erschaffen wurde - eine Welt, geboren in Blut und Feuer. Die Inszenierung ist grausam realistisch; der Film hat etwas von einer Agonie, die Neue Welt wurde in einem Todestaumel geboren. Kein Zweifel, wer an diesem Chaos schuld ist: die Imperialisten, die ihrer Ideologie alles unterordnen, und die Kirche, die ihren Deckmantel über das Unrecht breitet. Das Verhalten der Kirche in dieser Geschichte ist unchristlich. Folgerichtig gibt es im Film kaum weiße Identifikationsfiguren: am Anfang einmal einen Siedler, der seine Angestellten wie Menschen behandelt. Da der Film die Perspektive der Indios einnimmt, gibt es auch keinen Grund für versöhnliche Gedanken und Bilder. Die Geschichte ist klar, einfach und nachvollziehbar; die Inszenierung ist einfach und für jeden verständlich. Retes läßt keine Möglichkeit aufkommen, daß man ihn mißverstehen könnte. Er liefert jedoch kein politisches Kino im Sinne einer kritischen Reflexion. Systeme und Ideen prallen aufeinander - und als Idee ist die Conquista untragbar. Da gibt es kaum Spielraum zur Reflexion, jeder kritische Ansatz entlarvt ein verbrecherisches System. Ein Teufelskreis, der zeigt, wie eindeutig die Geschichte sein kann.

Frail de Canas und Ortiz sind dabei nur Stellvertreter: Ortiz wird erpreßbar, weil er in seiner Werkstatt nicht nur Heiligenbilder und -statuen für die Christen anfertigt, sondern auch noch heimlich Götterstatuen für sein Volk. Diese Statuetten stellen die Indios heimlich unter die weiten, prachtvollen Gewänder der Madonnen und Apostel, um diese bösen Geister zu vertreiben. Für De Canas ist ein Glaube so gut wie der andere, Hauptsache, am Ende kommen Gott und das Himmelreich dabei heraus. Zwei Opportunisten, denen es eigentlich egal ist, was passiert, solange sie ihre Ruhe haben. Am Ende haben also die Opportunisten die Geschichte gemacht; das ist fatal, aber realistisch.

Und so kommt man vom Kleinen zum Großen, vom Detail zum Panorama: Es geht gar nicht mehr nur um die Conquista, es geht um Politik im allgemeinen. Lateinamerika als blutiger Witz zweier Opportunisten. Das ist zynisch und unsentimental, beunruhigend. Aber diese Beunruhigung ist gut, sie schafft Klarheit. Eine Klarheit in bezug auf die Kultur und ihre Vergänglichkeit. In diesem Licht erscheint Kultur als etwas Relatives, kein Wert an sich. Den Dämpfer braucht man.
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