Viola da Gamba, das ist eine um eine siebte Saite erweiterte Viola, die deren Klangfülle nach den tiefen Tönen hin vergrößert. Als Ahnherr dieses Instruments gilt der im 17. Jahrhundert in Frankreich lebende Sainte Colombe, von dem man weder Geburts- noch Todesdatum, ja noch nicht einmal seinen Vornamen kennt. Obwohl er und sein Meisterschüler Marin Marais (1656-1728) zu den innovativsten Komponisten der französischen Barock-Musik gehörten, wurden ihre Werke im Bewußtsein (besonders auch der französischen) Musikliebhaber verdrängt von den populären deutschen und italienischen Barock-Komponisten. Und so hatte Alain Corneau anfangs auch vor, einen Musik-Film zu drehen, bei dem Monteverdi, Versailles und der ganze Pomp dieses von Franzosen so sehr geliebten und fast verinnerlichten "Grand Siede" im Mittelpunkt standen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Pascal Quignard kristallisierte sich dann aber immer mehr der Gedanke heraus, sich mit jenen jansenistischen Künstlerkreisen zu beschäftigen, die sich dem höfischen Leben verweigerten, sich gänzlich zurückzogen oder aber ihre Musik neuen Publikumsschichten zugänglich machten. Diese mit dem Aufstieg des Bürgertums zusammenhängende Tendenz war damals in der gesamten Kunst Westeuropas zu beobachten."Die siebte Saite" erzählt die Begegnung zweier Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Hier der introvertierte Sainte Colombe, der sich nach dem frühen Tod seiner Frau noch mehr in seine Musik "einschließt". Dort der lebenslustige und karrierebewußte Marin Marais, der mit allen Mitteln das erreichen will, was Sainte Colombe immer wieder barsch ablehnt: am Hofe Ludwig XIV. zu spielen. Obwohl Sainte Colombe sich anfangs weigert ("Ihr macht lediglich Musik, aber Ihr seid kein Musiker."), läßt Marin nicht locker und überredet den Meister mit Hilfe von dessen ältester Tochter Madeleine schließlich doch noch, ihn zu unterrichten. Als Marin sein Ziel erreicht hat, läßt er Madeleine fallen und kehrt erst später, mittlerweile verheiratet und am Hofe zu Ruhm und Geld gekommen, an ihr Sterbebett zurück. Und auch mit Sainte Colombe kommt es zu einer letzten Begegnung, bei der die Musik die beiden zwar nicht versöhnt, aber auf einer metaphysischen Ebene doch vereint.Alain Corneau, der sich bisher vorwiegend in eher "veräußerlichten" Genres (u. a. "Wahl der Waffen", fd 23 176, "Fort Saganne") getummelt hat, kehrt hier zu der Stille seines letzten Filmes "Nächtliches Indien"
(fd 28 667) zurück und entwirft mit den Mitteln der modernen Cinematographie ein zeitgenössisches "Gemälde" einer vergangenen Epoche, das die Bilder, die Musik und das Leben jener Zeit auferstehen läßt. Über den in überwiegend blau-grauen Tönen gehaltenen Bildern mit ihren rot-orangenen Farbtupfern liegt immer jener melancholische Klang der Viola Gamba, bei dem Jede Note so endet, als ob sie stirbt". Das trifft genau die Gemütslage Sainte Colombes, der seine Töchter mit unnachgiebiger Härte erzieht und seine Zuneigung nur in kleinen seltenen Gesten zeigt. Seine ganze Liebe fließt in die Erinnerung an seine schmerzlich vermißte Frau, die ihm immer wieder als "Geist" erscheint. Aus diesen "Begegnungen" und der Musik, die er nur für sie komponiert, scheint er die Kraft zum Weiterleben zu schöpfen. Jean-Pierre Marielle, einer der profiliertesten französischen Nebendarsteller, arbeitet wunderbar die Nuancen einer in Einsamkeit und Schmerz gefangenen Figur heraus, in der doch irgendwie eine unendliche Zärtlichkeit verborgen ist. Ihm gegenüber steht die "verlebte" Gestalt Marins, aus dessen Sicht der Film in einer Rückblende seine Geschichte erzählt. Wenn sich im Epilog das aufgedunsene, schwer atmende Gesicht Gerard Depardieus ins Bild schiebt, dann steht das völlig konträr zu der Schönheit des Klangs der im Hintergrund aufspielenden Viola, die alle Modulationen der menschlichen Stimme vom Schluckauf bis zu den sanften Atemzügen eines schlafenden Kindes beherrscht. Es ist die Leidenschaft, mit der sich die beiden der Musik hingeben, die ihre zwiespältigen Charaktere letztlich verständlich macht und es dem Zuschauer ermöglicht, ihnen Sympathie entgegenzubringen. Das Wagnis, daß Corneau einging, indem er den jungen Marais von Depardieus Sohn Guillaume, einem noch relativ unerfahrenen Schauspieler, darstellen ließ, erweist sich als Fallstrick. Doch zum Glück haben die beiden keine gemeinsame Szene, so daß die erdrückende Präsenz des Vaters sich mehr in der Phantasie des Zuschauers abspielt. Aber Depardieu jr. wirkt in einigen Szenen doch sehr hölzern und mimisch überfordert. Ihm hilft jedoch Anne Brochet, die ihren Part mit strenger Schönheit und großer Ernsthaftigkeit spielt, über viele Klippen hinweg. Das Erstaunlichste an Corneaus Inszenierung aber ist, daß sie trotz aller Ruhe eine innere Spannung entwickelt, die den Zuschauer geradezu gefangennimmt. Vom ersten Moment an arbeitet sie mit Eleganz die Schönheit der Bilder, der Musik und der Worte heraus, so daß selbst die düsteren Momente noch zu einem Genuß werden. Corneau, der seine Kamera fast unbeweglich auf den Personen verharren läßt, zwingt sie dadurch, sich dem Zuschauer zu offenbaren. Diese Konzentration auf das Wesentliche gibt dem Film auch seine Ruhe, die eine Kraft ausstrahlt, die man zu spüren scheint und die sich selbst auf diejenigen überträgt, für die die Musik der Viola Gamba eine neue Hörerfahrung ist. Aber irgendwie schafft es Corneau, Ohren und Augen zu öffnen, den Zuschauer, -hörer einzutauchen in die Erfahrung des sinnlichen Erlebens, wie man sie heute im Kino kaum noch erlebt.