Eine Straße namens Avenida Brasil

Dokumentarfilm | Brasilien 1989 | 85 Minuten

Regie: Octávio Bezerra

Beobachtungen auf der "Avenida Brasil", Brasiliens Hauptverkehrsader, die den Flughafen mit dem Zentrum von Rio de Janeiro verbindet. Ein Dokumentarfilm mit inszenierten Teilen, der soziale Ungerechtigkeit anklagt; ein Abbild gesellschaftlicher Widersprüche und ein Schreckensbild unglaublichen Elends und krasser Gewalt. (O.m.d.U.; TV-Titel: "Avenida Brasil") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UMA AVENIDA CHAMADA BRAZIL
Produktionsland
Brasilien
Produktionsjahr
1989
Produktionsfirma
Octávio Bezerra Producoes
Regie
Octávio Bezerra
Buch
Octávio Bezerra
Kamera
Miguel Rio Branco
Musik
Bruno Nunes · Edson Maciel · Geo Benjamin
Schnitt
Severino Dadá
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Die "Avenida Brasil" durchquert auf ihrer Route vom Flughafen ins Zentrum von Rio de Janeiro den Elendsgürtel, der um die Megalopole wuchert. Der Film beobachtet das auf und entlang dieser Hauptverkehrsader pulsierende Leben, das in seinen unbeschreiblichen Kontrasten als Mikrokosmos der heutigen brasilianischen Gesellschaft gelten kann. Lebenswege, die im tagtäglichen Kampf ums Überleben die sozialen Brüche nicht überwinden können und unweigerlich in Gewalt und Verbrechen münden. Szenen unvorstellbaren Elends in den Favelas, Bandenkämpfe und Polizei-Razzias, Angst und Schrecken m einer Welt, "wo das Leben nichts wert ist", wie es im Untertitel der schockierenden Reportage heißt. In der ersten Sequenz wird einer aus dem Auto gezerrt und über den Haufen geschossen. Wie ein Stück Vieh wird ein Erschossener in der letzten Sequenz beiseite geschafft. Dealer und Diebe, Profikiller und Prostituierte berichten von ihren gewaltsamen Überlebensstrategien; Anwohner schildern ihr Ausgeliefertsein an die Atmosphäre von Gewalt. Endlos wälzt sich der Strom der Fahrzeuge voran und trägt die Reichtümer des Landes mit sich fort. Kinder gehen auf dem Straßenstrich das Geld für harte Drogen anschaffen, um für einen Moment allem Elend zu entrinnen und ernüchtert desto tiefer darin zu versinken. Ein tödlicher Kreis. Lakonisch heißt es über einen Jungen, der ermordet am Strand aufgefunden wird, er sei unbeliebt gewesen: sein Körper war von 20 Schüssen durchsiebt.

"Die Gesellschaft bereitet das Verbrechen vor. Der Verbrecher führt es (nur) aus." Octavio Bezerra wendet die These des englischen Kulturhistorikers Thomas Henry Buckle (gest. 1862) zu einer aktuellen Anklage gegen ein Gesellschaftssystem, das extreme soziale Ungleichheit manifestiert. Im anhaltenden Dilemma, das eine ganze Bevölkerung an den Abgrund treibt, sieht er die 500jährige Koloni(ali)sierung Lateinamerikas fortwirken. Etwa ein Fünftel des Films wurde nachgestellt (darunter die Erschießung aus der Eingangssequenz), obschon Schuß und Gegenschuß fortlaufend Authentizität suggerieren. Als Live-Krimi nachinszeniert wurde gleichfalls eine Verfolgungsjagd durch die Polizei, die im Hubschrauber einem Bankräuber nachsetzt. Die Spannung zwischen Dokument und "dokumentarischer" Inszenierung wird durch den irritierend offenen Kommentar noch gesteigert. In demselben Tonfall, mit dem ein Radiosprecher für ein sorgloses Leben in Luxusappartements wirbt, wird auch die aktuelle Mordstatistik verlesen. Eine aggressive Mixtur, konterkariert von gutgelaunter Pop-Musik. Ein Spiegelbild gesellschaftlicher Widersprüche, dessen vereinfacht absolutierte Spaltung in arm und reich nicht ganz unproblematisch ist, wie die einzige von einem Schauspieler verkörperte Figur eines "Propheten der Freundlichkeit" zeigt, der mit einem Palmwedel durch die vollgestopften Straßen zieht. Aufschlußreich wäre ein Vergleich zur Langzeitbeobachtung "Viva Rio Viva - A vida e um cinema" (1988) von Pierre Hoffmann, die nicht das ausweglose Elend der Cariocas, sondern deren Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellt.
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