Tagebuch einer Verlorenen

Romain Antony | 10.01.2024

Angeregt durch das hervorragende Buch von Daniel Kehlmann "Lichtspiel" (Rowohlt Verlag, Hamburg 2023 ISBN 9783498003876, 480 Seiten, 26,00 EUR) über G. W. Pabst und die Zeit des Nationalsozialismus, habe ich mir zwei Stummfilme von Pabst angeschaut. Lesenswerte Rezensionen unter: https://www.perlentaucher.de/buch/daniel-kehlmann/lichtspiel.html (letzter Aufruf 09.0124) Infos zu G. W. Pabst: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wilhelm_Pabst https://www.deutsche-biographie.de/gnd118942387.html#ndbcontent (letzte Aufrufe 09.01.24) Den Georg Wilhelm habe ich auch weggelassen, weil Pabst sich lebenslang immer G.W. Pabst genannt hat. Zum Film: Welche Schande! Die Tochter Thymian (Louise Brooks) bringt ein uneheliches Kind zur Welt. Keine kirchlichen Weihen, keine Erbberechtigung, später eingeschränkte berufliche Möglichkeiten für das Kind, keine gesellschaftliche Akzeptanz und die Großeltern müssen Getuschel über sich ergehen lassen und mit sozialer Ächtung leben. Da will man als wohlsituierte Familie seine Tochter doch lieber verstoßen und den Kontakt abbrechen, auch wenn man selbst als angesehener Apotheker in Doppelmoral lebt. Doch Thymian kämpft sich nach oben, von den kujonierenden, quälenden Strukturen im Erziehungsheim über das Bordell bis zur Gräfin. Mit Einfluss und finanziellen Mitteln ausgestattet, rettet, bewahrt sie ihre drei Halbgeschwister und ein Willküropfer aus dem Heim vor sicherem Niedergang. Das Gesellschaftssystem bestimmt, was normal ist, und sanktioniert, was den herrschenden Moralvorstellungen widerspricht. Sexuelle Freizügigkeit und hedonistische Impulse verlagern sich vom bürgerlichen Kollektiv in die Niederungen der Unkontrollierbaren, die ausgeschlossen bleiben. Ihr müsst "leider" draußen bleiben. G.W. Pabst hält seiner Zeit und seinem Filmpublikum (cf. auch "Die Büchse der Pandora" und "Die freudlose Gasse" mit Greta Garbo und Asta Nielsen) den Spiegel vor. Aber auch er und sein Stummfilm scheitern an der Vigilanz der Sitten- und Moralwächter. Das "Tagebuch einer Verlorenen" wurde kurz nach Erstaufführung verboten. cf. auch den Blog: www.filmekommentieren.wordpress.com