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Leders Journal (38): Wahlkampf-Politik im Fernsehen

Eine Analyse der TV-Berichterstattung rund um die Bundestagswahl 2025

Veröffentlicht am
05.03.2025 - 15:57:01
Diskussion

In den Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar widmeten sich die deutschen Fernsehsender mit großer Ausführlichkeit den Kandidaten der wichtigen Parteien. Neben den üblichen „Duellen“ mit wenig Erkenntniswert liefen im Ersten auch mehrere Dokumentarfilme, die den Politikern näherzukommen versuchten oder Wählerinnen und Wähler zu Wort kommen ließen. Diese Filme erlaubten einige aufschlussreiche Einblicke, offenbarten aber auch ein grundsätzliches Problem von Formaten, die keine inhaltliche Vertiefung erlauben.


Der Bundestagswahlkampf, der am Sonntag, den 23. Februar, mit der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler zu Ende ging, war kurz, aber heftig. Seine Kürze verdankte sich des Scheiterns der Koalition aus SPD, Grünen und FDP und der vorzeitigen Auflösung des Bundestags. Seine Heftigkeit resultierte aus der Tatsache, dass mit der Migration ein Thema in den Mittelpunkt gerückt wurde, das mit vielen Emotionen aufgeladen ist und wurde. Für das Fernsehen bedeutete der zeitlich eingekürzte Wahlkampf, dass in den letzten Wochen fast jeden Abend über die Wahl gesprochen wurde – in den klassischen Talkshows, aber auch in wahlkampfspezifischen Gesprächsformaten wie beispielsweise dem „Duell“.

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Dieses Fernsehformat stammt aus den USA, Bei ihm treten die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und der Demokraten in einem Fernsehstudio gegeneinander an. Erstmals fand es 1960 statt, als sich im Fernsehbild John F. Kennedy als visuell attraktiver als sein Gegenspieler Richard Nixon zeigte. In Deutschland gab es ein solches „Duell“ erstmals 2002, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf seinen Herausforderer Edmund Stoiber (CDU/CSU) traf. Aber in Deutschland wird die Kanzlerin oder der Kanzler anders als der Präsident in den USA nicht direkt vom Volk, sondern vom Bundestag gewählt. Und es bedarf stets anderer Parteien, um die Mehrheit der Stimmen im Bundestag zu erlangen.

Der Wahlkampf als sportlicher Wettkampf

Das „Duell“ in Deutschland täuscht also eine politische Bedeutung vor, die es real nicht besitzt. Seine Fortdauer seit 2002 verdankt es allein seiner medialen Qualität. Im „Duell“ wird die Bundespolitik radikal personalisiert, indem es die Wahl auf eine Entscheidung zwischen zwei Personen zuschneidet. Zugleich wird der Wahlkampf zu einem sportlichen Wettbewerb umgeformt, bei dem es nicht um Argumente geht, sondern vor allem um die Frage, wer aus dem Duell als Sieger hervorgeht. Hinzukommt eine gewisse Spannung, die dem Duell aus der Mediengeschichte erwächst – eine Auseinandersetzung, bei der es hin und her geht und die Entscheidung meist erst kurz vor Schluss und nach einer dramatischen Wende fällt.

Als sich am 9. Februar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Herausforderer Friedrich Merz (CDU/CSU) zum diesjährigen „Duell“ bei ARD, ZDF und Phoenix gegenüberstanden, war anschließend weniger gefragt, was jeder von ihnen ausgesagt hatte, als vielmehr, wer von ihnen besser abgeschnitten hätte. Es sollte angesichts der gestiegenen Bedeutung der anderen Parteien bei einem „Duell“ nicht bleiben. Ein zweites „Duell“, bei dem Robert Habeck (Grüne) auf Alice Weidel (AfD) treffen sollte, lehnte der amtierende Wirtschaftsminister ab. Er traf Alice Weidel erst am 16. Februar, als sich beide mit Merz und Scholz bei RTL und ntv zu einem „Quadrell“ gruppierten. Der Neologismus signalisierte, dass nun vier und nicht zwei vor den Kameras streiten würden. Nach dieser Logik hätte man die „Schlussrunde“, die am 20. Februar am späten Abend bei ARD und ZDF stattfand, „Oktett“ nennen können. Nahmen doch an ihr acht Politikerinnen und Politikern und zum ersten Mal auch Vertreter von FDP, CSU, Linken und BSW teil. Aber hier kam es zu keinem Zusammenspiel, das ja der musikalische Begriff des Oktetts bezeichnet, sondern zu einem Tohuwabohu, als das man zukünftig solche Runden gleich von vornherein bezeichnen sollte.

Der großen Zahl der Minuten, die das öffentlich-rechtlichem Fernsehen dem politischen Gespräch in den zurückliegenden Wochen widmete, steht umgekehrt proportional zum Ertrag all der Sendungen – denn diese erbrachten einen reduzierten Bestand an sprachlichen, gestischen und mimischen Ausdrucksformen fast aller Beteiligter. Das hat auch mit einer gewissen Vorsicht zu tun: In Wahlkampfzeiten agieren Politikerinnen und Politiker vorsichtiger als sonst schon; sie fürchten Fehler, die schnell Stimmen kosten können. Also proben sie die Situationen, in denen sie im Fernsehen erscheinen. Sie trainieren, wie sie sich gegenüber den Kameras zu zeigen haben. Selbst spontan wirkende Gesten und überraschend gemeinte Sätze verdanken sich ausgedachten Drehbüchern und klassischen Dramaturgien. So geschah nichts Überraschendes, stattdessen lief in einer Endlosschleife die Simulation eines politischen Gesprächs ab.

Was zum Scheitern der Koalition führte

Dass Politik im Fernsehen auch anders erscheinen kann, daran erinnerten zwei dokumentarische Fernsehfilme in den letzten Tagen vor der Wahl auf sehr unterschiedliche Art und in höchst unterschiedlicher Qualität. Da war zuerst der Film „Die Vertrauensfrage – Wer kann Deutschland reagieren?“ von Stephan Lamby und Christian Bock, der im Ersten am 10. Februar zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurde. Der Titel täuscht ein wenig über das hinweg, wovon der Film handelt – weniger von der vorzeitigen Wahl als von dem, was erst zu ihr führte, also dem Scheitern der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. In der Recherche, wie die Lage in dieser Koalition eskalierte, zeigte sich die Stärke von Lamby und Bock, über die verzwickte Sachlage durch die Montage unterschiedlicher Aussagen aufzuklären.

Als Christian Lindner zum wiederholten Male vor Lambys Kamera erklärt, er habe von den Plänen seiner Partei, die Koalition zum Scheitern zu bringen, nichts gewusst, ist er im Film längst eines Besseren belehrt. Dass er auf seiner Aussage beharrt, obwohl ihm Stephan Lamby, der als Interviewer stets freundlich wirkt, Brücken zu einem Eingeständnis baut, verschlimmert die Lage nur noch. Sichtbar wird ein Politiker, der sich in seinen Strategien so verheddert hat, dass er keinen Ausweg mehr weiß als stur bei den längst fadenscheinigen Argumenten zu bleiben. Das Ende der politischen Karriere von Christian Lindner, das er selbst am Abend der Wahl live im Fernsehen verkündete, zeichnete sich hier bereits ab.

Lamby, der den Film auch produzierte, geht ungewöhnliche Wege für seine Interviews. Mit Friedrich Merz spaziert er an einem See im Sauerland entlang, und Olaf Scholz befragt er nach dessen Trainingseinheiten auf einem Trockenruderboot. Andere begleitete er bei ihren Gängen durch die Ministerien und Parteizentralen. Allen führt er dieselbe Szene des Wahlsiegs von Trump auf einem Fernsehgerät vor. Das strukturiert seine Filme gut und hilft ihm bei der Montage. Aber es wird auch klar, dass er den etablierten Politikern Merz und Scholz damit näherkommt als etwa Sahra Wagenknecht (BSW) oder Alice Weidel. Beide wischten die durchaus freundlich vorgetragenen Einwände des Interviewers deutlich resoluter weg als Merz und Scholz.

Die Lage im Land

Stephan Lamby betreibt einen hohen Produktionsaufwand für besondere Situationen, denen er dann besondere und für den Politikbetrieb ungewöhnliche Bilder abgewinnt. Anders die Produzenten der Dokumentation „Was bewegt Deutschland?“, die ihr Augenmerk vor allem auf ihre prominenten Protagonisten richten: Jessy Wellmer und Ingo Zamperoni, die in ihrem Hauptjob die „Tagesthemen“ moderieren. Bei diesem Film, den die ARD am 17. Februar ausstrahlte, handelt es sich um eine Presenter-Reportage, in der die, die hier etwas zu reportieren haben, wichtiger erscheinen als das, über was sie etwas berichten. So sieht man die beiden, mal allein, mal zu zweit immer wieder, wie sie durch Deutschland reisen, um an insgesamt elf Orten Menschen zu fragen, wie sie die Lage im Land einschätzen.

Angesichts der Länge von 60 Minuten ist klar, dass dem Film wenig Zeit für die Themen und die Gespräche bleiben, wenn jedes Mal die Presenter gezeigt werden müssen, wie sie im Auto sitzen, durch Straßen gehen und Häuser betreten. Die selbstgewählte Form zwängt so die Inhalte ein, um die es doch gehen sollte. Die Reporterin und der Reporter werden so zu den Darstellern ihrer selbst, so wie die Politikerinnen und Politiker längst die Rollen, die sie zu spielen haben, verinnerlicht haben.

Das ist schade für viele der Gesprächspartner, die sie in der gesamten Republik angetroffen haben und von denen manche durchaus widersprüchlich sind. Da führt ein Mitglied der Grünen in Bayern den Protest gegen ein geplantes Flüchtlingslager, plädiert ein FDP-Mitglied und Unternehmer für Flüchtlinge und ihre Integration und begründet ein ehemaliger Kriegsdienstverweigerer, weshalb er seine Verweigerung zurückgezogen und sich zum Reservedienst in der Bundeswehr gemeldet hätte. Es gibt aber auch erwartbare Statements, die gut in die Zeit passten: Ein aus der Türkei stammender Betriebsrat führte die Krise des Automobilkonzerns, in dem er und seine Söhne beschäftigt sind, auf Fehler des Managements zurück. Und eine Unternehmerin beklagte, dass die Deutschen viel zu oft krank seien und so an ihren Arbeitsplätzen fehlten.

Das ergab in der Summe eine überaus widersprüchliche Bilanz der bundesdeutschen Verhältnisse und ging doch in die Irre. Denn hier argumentierten alle vernünftig. Die, die möglicherweise anders denken, wurden nicht diskriminiert, sondern ihre Gegenargumente bedacht und als legitim anerkannt. In diesen Gesprächen waltete also jene republikanische Vernunft, die im Film die Philosophin Svenja Flasspöhler einforderte, dass man mit denen, die man als „politische Gegner“ bezeichnete, das Gespräch suchen solle.

An den eigenen Parolen berauscht

Aber wie ist mit den rechtsextremen Anhängern und Politikern der AfD umzugehen? Es war in den Wahlkampfreden wie auch bei den Auftritten in den Fernsehdiskussionen zu beobachten, wie sich etwa Alice Weidel an ihren eigenen Parolen berauschte und so weiter radikalisierte. Das gipfelte vielleicht in einem hassgetriebenen Satz, den sie am Wahlabend formulierte, dass man die neue Bundesregierung unter einem Kanzler Friedrich Merz, der sich der AfD als Koalitionspartner verweigerte, „jagen“ werde. Wellmer und Zamperoni gingen dem in ihrer Dokumentation nicht nach, vielleicht auch, weil es von ihnen mehr als geduldiges Zuhören verlangt hätte.

Neben diesem inhaltlichen Problem gab es ein formales. Die Bilder des Films waren so durch das Format der Presenter-Reportage geprägt, dass es kaum Beobachtungen in der Wirklichkeit selbst gab. Immer wieder zeigten Bilder einer Drohne die Aufsicht der Orte, an denen die beiden ihre Gespräche führten, aber selten andere Totalen oder gar Naheinstellungen, in denen die jeweilige Gegend als Landschaft und als sozialer Raum erkennbar wären. Wie soll man aber die Drohnenbilder deuten? Wofür stehen sie? Sie zeigen nichts außer einer gewissen Dynamik des Filmbilds selbst, der übrigens auch der Schnitt gehorcht, der alle vier Sekunden von einer Einstellung zur nächsten springt. Vielleicht sollen die Aufsichtstotalen andeuten, dass der Film gleichsam über den Dingen stünde?

Durch den Verzicht auf beobachtende Momente mutiert die Reportage zu einer Talkshow auf Rädern. Dazu passt, dass Ingo Zamperoni als letzten Gesprächspartner Ulrich Wickert zur politischen Lage befragte. Denn der 82-jährige Buchautor übte 15 Jahren jene Funktion aus, die Zamperoni seit über acht Jahren und Wellmer seit über einem Jahr wahrnehmen – die Moderation der „Tagesthemen“ der ARD. Was Wickert sagt, war denn auch weniger wichtig, als dass er es in dieser Reportage sagte. Denn damit bewies er die Kontinuität eines gesellschaftlichen Nachdenkens, dem sich die Nachrichtensendung wie ihr Personal verpflichtet fühlen.

Es bräuchte mehr als Häppchen-Gespräche

Aber besteht nicht ein gesellschaftliches Problem darin, dass sich viele Menschen diesem öffentlichen Nachdenken, das von der beschriebenen Vernunft bestimmt ist, längst verweigern? Diese Menschen aufzusuchen und mit ihnen zu sprechen, würde in solchen Häppchen-Gesprächen nicht in den gegenwärtigen Talkshows gelingen. Hier bedürfte es solcher Anstrengungen, wie sie einst Dokumentarfilmer unternahmen, als sich etwa Thomas Heise für seinen Film „Stau - Jetzt gehtes los“ (1992) über längere Zeit mit rechtsradikalen Jugendlichen in Halle traf. Filme, in denen das gesprochene Wort nur Teil einer umfassenderen Beobachtung der jeweiligen Lebens- und Arbeitsverhältnisse ist und die gegenwärtige Lage erst in Kenntnis der historischen Entwicklung bestimmt wird. Und in denen das Filmbild mehr als nur das Dokument eines Talks oder mehr als eine visuelle Geste ist, die Omnipräsenz und Dynamik signalisiert.


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