Mit „Dreams (Sex Love)“ als abschließendem Teil seiner Trilogie „Oslo-Stories“ hat der Norweger Dag Johan Haugerud den „Goldenen Bären“ der 75. Berlinale gewonnen. Mit dieser Ehrung für ein bemerkenswertes Filmprojekt hat sich die Internationale Jury unter Vorsitz des US-Regisseurs Todd Haynes bei einem wenig aufregenden Wettbewerb achtsam aus der Affäre gezogen. Weitere Auszeichnungen gingen an noch wenig bekannte Filmemacher aus Südamerika, aber auch an etablierte Darsteller.
Als eine 15-jährige Norwegerin Gefühle für ihre Lehrerin entwickelt, geht diese nach erster Irritation ihre Emotionen entschlossen an. Doch dann schwenkt der norwegische Regisseur Dag Johan Haugerud in seinem Drama „Dreams (Sex Love)“ auf eine Ebene der künstlerischen Reflexion um, bei der seine Hauptfigur ihre Gefühle literarisch verarbeitet. In den Reaktionen von Mutter und Großmutter werden die Grundgedanken des Films über Intimität und Liebe zudem weiterentwickelt. Mit „Dreams (Sex Love)“ hat Haugerud den Schlussteil seiner innerhalb eines Jahres präsentierten Filmtrilogie „Oslo-Stories“ (nach „Sex“ und „Love") realisiert.
Da der dritte Teil in Norwegen bereits im November 2024 in den Kinos lief, war seine Aufnahme in den Berlinale-Wettbewerb eine gelinde Überraschung gewesen. Die Jury unter Vorsitz von US-Regisseur Todd Haynes verlieh dem Film den „Goldenen Bären“, was sich durchaus als Würdigung aller drei Werke verstehen lässt. Zusammengehalten werden die Filme durch vielschichtige Überlegungen zum Wesen von Liebe, Leben und Kunst, eine quasi programmatische Anspielung darauf, wie die Berlinale selbst gerne wahrgenommen werden möchte.
Bereitschaft zum Träumen
Mit der Entscheidung fand die Jury einen nachvollziehbaren Kompromiss in einem Wettbewerb, in dem sich die Kandidaten für die Bären nicht aufgedrängt hatten. Als einer der wenigen Favoriten galt lange die brasilianische Gesellschaftssatire „The Blue Trail“ von Gabriel Mascaro, die den „Großen Preis der Jury“ gewann und unter anderem auch von der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde. Der Film über eine neokapitalistische Gesellschaft, in der sich eine alte Frau dagegen wehrt, wie alle anderen Senioren in ominöse „Kolonien“ verfrachtet zu werden, teilt mit mehreren anderen prämierten Werken die unumwundene Bereitschaft zum Träumen. Eine Botschaft, die in beunruhigenden Zeiten im Kino offensichtlich mehr denn je geschätzt wird.
Auch der mit dem „Preis der Jury“ gekürte argentinische Film „El mensaje“ über ein Mädchen, das auf Druck seiner Pflegeeltern vorgibt, Gedanken von Haustieren wiedergeben zu können, spielt mit dem Traummotiv. Allerdings erschöpft sich der Einfallsreichtum des Werks von Iván Fund allzu schnell in redundanten Road-Movie-Momenten und einer monotonen Trompeten-Melodie; die Auszeichnung für ein laut der Jury „mit Einfachheit glänzendes Werk“ muss als Fehlentscheidung notiert werden.
Angesichts dieser
drei Preise für Filmschaffende, die eher dem Kino-Nischenbereich zugerechnet
werden, setzte die internationale Jury bei den Darstellerpreisen wie zum
Kontrast auf etablierte Kräfte. Geehrt wurden die Australierin Rose Byrne
für ihre am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehende Hauptfigur in „If IHad Legs I’d Kick You“ und der Ire Andrew Scott für seine Darstellung
des Musical-Komponisten Richard Rodgers in „Blue Moon“. Zwei akzeptable
Entscheidungen, die allerdings die Chance verstreichen ließen, weniger bekannte
Akteure mit einem Preis hervorzuheben.
Einleuchtende Preisträger fanden die Juroren dagegen in dem Chinesen Huo Meng für seine detailgenaue und sorgfältige Regie des Mehrgenerationen-Bauerndramas „Living the Land“ und im Rumänen Radu Jude für das Drehbuch zu „Kontinental ’25“, einer wortreich-streitbaren Erkundung über (nicht nur rumänische) Gegenwartsprobleme aller Art.
Ein Novum setzte die Jury beim Preis für eine besondere künstlerische Leistung. Dieser ging an das gesamte Kreativteam bei „The Ice Tower“, eine versponnen-traumähnliche Reflexion der Französin Lucile Hadzihalilovic über den „Schneekönigin“-Stoff und das Kino, was dem Kunstwillen des Films tatsächlich eher gerecht wird, als es ein Preis für eine Einzelleistung unter den Gewerken gewesen wäre.
Neben den Wettbewerbspreisen wurde bei der Gala am 22. Februar auch die neue Sektion „Perspectives“ für Filmdebüts berücksichtigt. Hier ging der erste Preis an den Mexikaner Ernesto Martínez Bucio mit „The Devil Smokes (and Saves the Burnt Matches in the Same Box)“. Auch dies ein Film mit zwischen Realität und Fantasie verschwimmenden Ebenen, in dem fünf Geschwister mit ihrer schizophrenen Großmutter zurechtkommen müssen.
Der Dokumentarfilmpreis ging an „Holding Liat“ um den Kampf für die Freilassung einer von der Hamas gefangen gehaltenen Geisel und den Willen, sich den Glauben an Frieden und Menschlichkeit nicht rauben zu lassen. Wenn man so will, auch das ein Film über Träume und die Hoffnung, sie Wirklichkeit werden zu sehen.
Die wichtigsten Preise der 75. Berlinale 2025
Goldener Bär
„Dreams (Sex Love)“ von Dag Johan Haugerud
Großer Preis der Jury
„The Blue Trail“ von Gabriel Mascaro
Jury-Preis
„El mensaje“ von Iván Fund
Beste Regie
Huo Meng für „Living in Land“
Beste Leistung in einer Hauptrolle
Rose Byrne in „If I Had Legs I’d Kick You“
Beste Leistung in einer Nebenrolle
Andrew Scott in „Blue Moon“
Bestes Drehbuch
Radu Jude für „Kontinental ’25“
Preis für eine herausragende künstlerische Leistung
Das kreative Ensemble von „The Ice Tower“
Bester Dokumentarfilm
„Holding Liat“ von Brandon Kramer
Bester Film Perspektives
„The Devil Smokes (and Saves the Burnt Matches in the Same Box)" von Ernesto Martínez Bucio
Bester Kurzfilm
„Lloyd Wong, Unfinished“ von Lesley Loksi Chan
Goldener Bär für das Lebenswerk
Mitglieder der Internationalen Jury waren Todd Haynes, Nabil Ayouch, Fan Bingbing, Bina Daigeler, Rodrigo Moreno, Amy Nicholson, Maria Schrader.
Bester Film Generation 14pluds
„Christy“ von Brendan Canty
Bester Film Kplus
„The Botaniker“ von Jing Yi
Preise der Ökumenischen Jury
Wettbewerb: „The Blue Trail“ von Gabriel Mascaro
Panorama: „The Heart Is a Muscle“ von Imran Hamdulay
Forum: „Holding Liat“ von Brandon Kramer
FIPRESCI-Preise
Wettbewerb: „Dreams (Sex Love)“ von Dan Johan Haugerud
Perspektives: „Little Trouble Girls“ von Urška Djukić
Panorama: „Under the Flags, the Sun“ von Juanjo Pereira
Forum: „The Memory of Butterflies“ von Tatiana Fuentes Sadowski
Heiner-Carow-Preis
„Palliativstation“ von Philipp Döring
Caligari-Preis
„Fwends“ von Sophie Somerville
Gilde-Filmpreis
„Paternal Leave“ von Alissa Jung
Amnesty International Filmpreis
„Die Möllner Briefe“ von Martina Priessner