© imago/Everett Collection (Wolfgang Becker mit Kameramann Martin Kukula beim Dreh von „Good Bye, Lenin!“)

Ein Freund & Weggefährte

Zum Tod des großen deutschen Regisseurs Wolfgang Becker (22.6.1954-12.12.2024)

Veröffentlicht am
16. Dezember 2024
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Der eine Film ragt aus dem schmalen Oeuvre von Wolfgang Becker turmhoch heraus: „Good Bye, Lenin!“ zog nicht nur in Deutschland mehr als sechs Millionen Zuschauer in die Kinos, sondern galt sogar den Briten als witzigster deutscher Film „ever“. Weniger sichtbar war seine Arbeit für die Produktionsfirma „X-Filme“, die er 1994 mit auf den Weg brachte. Im Alter von 70 Jahren ist Becker am 12. Dezember in Berlin gestorben.


Der Regisseur Wolfgang Becker schenkte dem deutschen Kino einen dieser ganz besonderen Momente, die den Zeitgeist auf den Punkt bringen. Fortan galt er – wie zum vergifteten Dank dafür – immer nur als Regisseur dieses einen Films „Good Bye, Lenin!“, der 2003 auf der „Berlinale“ eher unauffällig seine Premiere hatte, bevor er mit 6,5 Millionen Zuschauern in Deutschland zu den erfolgreichsten einheimischen Filmen überhaupt wurde. Dabei war es keineswegs ein oberflächlicher Film, sondern ein emotional stimmiges Werk voller elegant inszenierter ironischer Pointen. Von der Filmkritik anfangs eher misstrauisch beäugt, fand die Geschichte des liebenden Sohnes, der für seine aus dem Koma erwachte Mutter eine imaginär fortbestehende DDR erfand, auch in Europa sein Publikum und wurde mit Deutschen und Europäischen Filmpreisen geradezu überhäuft.


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Wolfgang Becker erzählte gerne, dass er erst ein Jahr nach der Premiere bei einer Vorführung in Trastevere in Rom, in die er sich hineingeschlichen habe, das Erfolgsgeheimnis seines Filmes begriffen habe. Er sei in dem Moment in die Vorstellung gekommen, als Alex von seiner „Mama“ spricht und damit den goldenen Kern des Films betont: die Liebe des Sohnes zu seiner Mutter. In dem Moment seien Besucher in Rom so ergriffen gewesen, dass selbst das leise Rascheln des ins Kino schleichenden Regisseurs sie gestört habe.

Im Kino regieren die Emotionen. Das hatte Wolfgang Becker schon bei seinem Abschlussfilm „Schmetterlinge“ (1988) an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin begriffen, der nach einer Kurzgeschichte von Ian McEwan so dicht inszeniert war, dass er nicht nur den Studenten-„Oscar“, sondern gleich auch noch den „Goldenen Leoparden“ in Locarno gewann.

Sohnesliebe lässt in Beckers großem Erfolg „Good Bye, Lenin!“ die DDR wiederauferstehen (© X Verleih)
Sohnesliebe lässt in Beckers großem Erfolg „Good Bye, Lenin!“ die DDR wiederauferstehen (© X Verleih)

Im Schatten von „Good Bye, Lenin!“

Mit dem Aufsehen erregenden „Tatort“-Krimi „Blutwurstwalzer“ und dem Drama „Kinderspiele“ inszenierte er herausragende Filme fürs Fernsehen, bevor er mit seinem ersten Kinofilm für die gemeinsam mit Tom Tykwer, Dani Levy und Stefan Arndt gegründete Produktionsfirma „X-Filme“, „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997), im Wettbewerb der „Berlinale“ endgültig auf sich aufmerksam machte. Der episodenhafte Film galt als Beginn eines an das britische Kino jener Zeit erinnernden neuen realistischen Alltagskinos aus Deutschland und bildete mit seinem schwarzen Humor auch die Basis, auf der „Good Bye, Lenin!“ dann aufbauen konnte.

Der Erfolg dieses einen Films machte Wolfgang Becker dann zu jenem „Ein-Film-Regisseur“, von dem man stets etwas aufregend Neues und besonders Erfolgreiches erwartete, der aber allein durch „Good Bye, Lenin!“ schon endgültig definiert schien. Erst mehr als zehn Jahre später drehte er 2015 mit „Ich und Kaminski“ endlich einen neuen Film: eine Gaunergeschichte aus dem Kunstmilieu nach einem Roman von Daniel Kehlmann. Mit allenfalls passablem Erfolg. Was umso aufmerksamer beäugt wurde, weil Becker bleibend mit der Stimmigkeit und dem Erfolg seines großen Kinohits gleichgesetzt wurde. Selbst die Abschiedszeilen seiner Kollegen von X-Filme erinnern schon in der Überschrift daran: „Good Bye, Wolfgang!“ Doch dann betonen sie die Rolle, die Wolfgang Becker zwischen seinen wenigen eigenen Filmen (genau drei von insgesamt sechs) als Produzent und Mitgesellschafter von X-Filme für sie alle gespielt hat: „Du einzigartiger Freund und Weggefährte. Deine Liebe, Kraft und Kreativität wird uns unendlich fehlen.“

Die berühmte US-amerikanische Filmgesellschaft United Artists von Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks und Mary Pickford soll das Vorbild für „X-Filme Kreativ-Pool“ gewesen sein, einer Firma, die viele erfolgreiche und künstlerisch anspruchsvolle Projekte vorzuweisen hat. Becker war an deren Entwicklung stets interessiert und oft auch direkt beteiligt. Lange Zeit bildete er das emotionale Zentrum dieses besonderen Verbundes aus drei Regisseuren und einem Produzenten.

„Das Leben ist eine Baustelle“ übertrag Muster des britischen Kinos ins Deutsche (© Senator Film)
„Das Leben ist eine Baustelle“ überträgt Muster des britischen Kinos ins Deutsche (© Senator Film)

Eine fast 40-jährige Karriere

Doch zurück zu „Good Bye, Lenin!“. Was ist eigentlich schlecht daran, wenn ein Filmkünstler nur ein übersichtliches, aber einzigartiges Werk vorzuweisen hat? Wolfgang Becker stellte in seiner fast 40-jährigen Karriere nur genau sechs abendfüllende Spielfilme fertig. Sie sind alle hervorragend gearbeitet und jeder für sich denkwürdig. Einer ragt allerdings turmhoch heraus. Dieser Film hat das deutsche Kino nachhaltig verändert und ist schon deswegen nicht ostalgisch, weil weder Drehbuchautor Bernd Lichtenberg noch der Regisseur Wolfgang Becker aus der ehemaligen DDR kamen. Becker wurde in Hemer in Westfalen geboren. Trotzdem hatte er wie kaum ein anderer verstanden, dass mit dem Untergang der DDR auch der Verlust einer Lebensleistung einherging.

Genau diese stellt Alex für die Mutter mit Mut und Ideenreichtum wieder her, als sie im Juni 1990 nach 8 Monaten im Koma wieder aufwacht. Die Ärzte warnen vor zu viel Aufregung. Das bringt den jungen Mann auf die Idee, der geliebten Mutter vorzugaukeln, es sei gar nichts Besonderes geschehen. Und so entsteht aus lauter Liebe ein komplexes Lügengespinst, das ihr, die sich vorerst aus ihrem heimischen Krankenzimmer nicht hinausbewegen kann, das Leben erleichtern soll. Und da Erzählungen am Krankenbett nach einiger Zeit nicht mehr ausreichen, müssen immer mehr Menschen helfen, die Potemkin’sche DDR aufrechtzuerhalten. Mit seinem Freund Denis bastelt Alex sogar eigene Ausgaben der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“, in der beispielsweise der Kosmonaut Sigmund Jähn zum Nachfolger von Erich Honecker gewählt wird.

Die auf diese Weise vorgegaukelte „Fake-DDR“ gerät darüber immer mehr zur verdrehten Fantasie einer besseren Welt, so wie die Mutter sie sich eben gewünscht hätte. Mit Daniel Brühl als Sohn und der DEFA-Schauspielerin Katrin Sass gelang Becker eine freche, vielschichtige Tragikomödie zur Wiedervereinigung fast im Stile von Billy Wilder. Dessen deutsch-deutscher Klassiker „Eins, zwei, drei“ lässt grüßen.

2015 meldete sich Becker mit „Ich und Kaminski“ zurück (© imago images/Everett Collection)
2015 meldete sich Becker mit „Ich und Kaminski“ zurück (© imago/Everett Collection)


Ein Vermächtnis für die X-er

Leider gab es zu wenige solcher Geschichten im deutschen Film. Tragischerweise hatte Becker, der in seinem mit Erinnerungsmaterialien vollgestopften Appartement in Kreuzberg stets lange an neuen Projekten tüftelte, erst nach einer weiteren langen Pause gerade wieder begonnen, sich erneut mit dem Mauerfall zu beschäftigen und nach einem Roman von Maxim Leo filmisch zu untersuchen, wie weit eine gut gemeinte Lüge tragen kann. In seinem nun unvollendeten Projekt „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ gilt ein erfolgloser Videothekenbesitzer (Charly Hübner) 30 Jahre nach der Wende fälschlicherweise als eigentlicher Verursacher des Mauerfalls. Der Film ist abgedreht. Vielleicht können ihn die Freunde von X-Filme, getreu ihrer ursprünglichen Firmenidee, ja doch noch nach Beckers Plan fertigstellen. Als nachgelassenes Erbe des mit 70 Jahren nach schwerer Krankheit verstorbenen Wolfgang Becker. Sonst müssten wir uns für immer mit seinem Meisterwerk „Good Bye, Lenin!“ begnügen. Dessen Ausrufungszeichen am Ende des Titels allzu oft übersehen wird.

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