© Majestic (Leni Riefenstahl in "Riefenstahl" von Andres Veiel)

Ohne Scham und Schuld

Leni Riefenstahl wird 95

Veröffentlicht am
29. August 2024
Diskussion

Leni Riefenstahl hat vier Filme für das Dritte Reich gedreht. Sie hat sich unter Absehung der politischen Realitäten von einem totalitären Regime kaufen lassen, dessen Avancen, wenn man ihr denn glauben will, sie missverstand, dessen heroisches Eigenbild sie aber teilte. Sie hat sich inzwischen mehr als 50 Jahre darin geübt, nicht einmal das begreifen zu wollen.


Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie Windhunde, so wünschte sich Hitler den deutschen Mann. Die deutsche Frau blieb zumindest bis zum Kriegsbeginn auf ihre reproduktiven Fähigkeiten beschränkt - es sei denn, sie war für Reich und Führer nützlich. Leni Riefenstahl war nützlich, und Zähigkeit und Härte kann man ihr gewiß nicht absprechen. Gegen familiären Widerstand setzte sie eine Tanzausbildung bei Mary Wigman durch und feierte Erfolge als Solotänzerin. Nach einem Unfall wurde sie Schauspielerin in den Bergfilmen von Arnold Fanck, lernte bergsteigen und fuhr Ski. Als Regisseurin übte sie sich in Durchsetzungsvermögen, Logistik und Geschäftsführung. Schon für "Triumph des Willens" (1934) dirigierte sie ein Heer von Mitarbeitern und erhielt Verträge, die allein ihr die Rechte an ihren Filmen sicherten. Nach dem von ihr selbst als bloße "Wochenschau" kritisierten Parteitagsfilm "Sieg des Glaubens" (1933) setzte sie für "Triumph des Willens" ebenso wie für "Olympia" (1938) zahlreiche Aufbauten, Erdaushübe und andere technische Konstruktionen durch, um die Kameras für ihre Bildideen bestmöglich zu plazieren. Nach dem Krieg führte sie zahllose Verleumdungsprozesse, unternahm mehrere Afrika-Reisen und begann als 70jährige zu tauchen.


AN DER MACHT TEILHABEN

Die Widersprüche zwischen ihrem Leben, ihren Filmen und Selbstzeugnissen schreiben die Geschlechterfrage unmittelbar in die Wahrnehmung ihrer Geschichte und Filme ein. In den Nachkriegskontroversen um ihre Person brachen diese Widersprüche einerseits in denunziativem Klatsch und sexuellen Zoten auf, führten andererseits aber auch zu einer entpolitisierten Neuaufnahme ihrer Filme. Vor allem in den USA wurde sie in den 70er Jahren gerade als "KünstlerIN" wiederentdeckt und anderen Regisseurinnen wie Agnès Varda oder Mai Zetterling ebenbürtig zur Seite gestellt. Daß sich Leni Riefenstahl in den naturbeherrschenden Männerwelten von Bergsteigern, Skifahrern, Expeditionsteilnehmern und Tauchern ebenso gut bewegte wie unter Kriegstreibern und Kriegern, spielte für ihre "rein ästhetische" Wiederentdeckung ebensowenig eine Rolle, wie es für die damalige "Frauensolidarität" offenbar wichtig war, daß sie selbst für die Frau nur drei Rollen kennt, wie Georg Seeßlen schreibt: die des "freiwilligen Opfers", die "der Amazone" und die "der brünstigen Tänzerin, die sich dem Sieger hingibt".

Auch Riefenstahls eigene Wahrnehmung ist zutiefst sexualisiert. Ihre Verneinung von politischem Interesse und Verstand geht einher mit einer Erotisierung jeder ihrer Filmproduktionen für das Dritte Reich. Ihre 1987 erschienenen Memoiren kommen der Frage nach der historischen Situation immer wieder mit dem sexuellen Begehren der auftraggebenden Männer entgegen. Riefenstahls Selbstentwurf ist der einer willensstarken Frau, die sich pausenlos gegen "getriebene" Männer wehren muß, und zwar zugleich sexuell, ökonomisch und ästhetisch (allein als "Künstlerin"). In dieser vulgären Geschlechterpsychologie wird nicht nur unterschlagen, daß sie den politischen Wünschen totalitärer Machthaber bestens entsprach, sondern auch, daß sie ihren Nutzen daraus zog, an deren Macht zu partizipieren. Ohne Bündnis mit der Diktatur wären ihre Bilder nicht möglich gewesen.

Riefenstahls mentale wie materiale Bilder vertrugen sich mit den politischen Selbstdarstellungswünschen der Nazis auch deshalb so einvernehmlich, weil beide Strategien und Ziele teilten. So unterschiedlich im Konkreten die Formen der NS-Kulturproduktion von der bäuerlichen Blut-und-Boden-Malerei bis hin zu den High-Tech-Spektakeln der Lichtdome auch waren, so arbeiteten sie doch ideologisch Hand in Hand, um die Wirklichkeitswahrnehmung der Massen auch massenhaft zu lenken. Die Komplexität von Politik wurde auf drei einfache Formeln reduziert: Führer, Volk und Vaterland. Der Führerkult, die theatrale Inszenierung der Gemeinschaft und die Typisierung und Funktionalisierung des Individuums aber sind ebenso Verfahren der Riefenstahlschen Filme wie sie generell Strategien nationalsozialistischer Propaganda gewesen sind.

Im Gegensatz zu der Vorstellung von der Einmaligkeit faschistischer Kunst lag das Einmalige der "Kunst" des deutschen Nationalsozialismus eher in der vereinheitlichenden Funktionalisierung des Diversen, das die Weimarer Zeit hinterlassen hatte. Auf der einen Seite griffen die Nationalsozialisten tief in die Mottenkiste eines völkischen Traditionalismus, auf der anderen nutzten sie Fortschrittsglauben und Technikeuphorie. In diesem Spektrum sind auch die Riefenstahlschen Filme weniger einzigartig, als es nicht nur von ihr selbst immer wieder behauptet wird. Im filmhistorischen Vergleich fallen am ehesten noch ihre Tonmontagen auf, geschickte Verknüpfungen von Musik, Sprecherstimmen und jubelnden Massen, während in ihren Bildern intermediale und historische Bezüge offensichtlich sind. Der typisch nationalsozialistische Rückgriff auf den Klassizismus, vor allem in der Skulptur, läßt sich in ihren Filmen ebenso nachweisen wie Bild- und Montagetraditionen der filmischen Avantgarde der 20er Jahre. Wie in zahlreichen anderen nationalsozialistischen Filmen finden sich auch bei ihr der Widerspruch zwischen Moderne und spießigster Deutschtümelei (man denke an das erwachende Nürnberg in "Triumph des Willens"), die Monumentalität, ein versteinernder Blick, der alle Bewegung in einer toten Ordnung bannt, die Geste des Grandiosen, die schicksalhafte Unterwerfung unter die Naturgewalt, die Mythologisierung von Geschichte. Doch im Verbund mit dem Skandalon ihrer Person halten Riefenstahls Filme das Terrain nationalsozialistischer Selbstdarstellung allein besetzt.

Während die Bilder ihrer beiden Filme "Triumph des Willens" und "Olympia" die Gedächtnisse der Nachgeborenen füllen, sind die rund 2000 Kulturfilme der Nationalsozialisten, unter denen sich mit Riefenstahls Filmen durchaus vergleichbare "Meisterwerke" finden, fast vergessen. Einzig der Name Walter Ruttmann taucht hin und wieder auf. Der aus der Tradition der Neuen Sachlichkeit kommende Ruttmann (vgl. fd 11/95) der kurz auch Mitarbeiter Riefenstahls war, feierte in seinen Filmen für die Nationalsozialisten (u.a. "Metall des Himmels", 1935; "Mannesmann", 1937 oder "Deutsche Waffenschmieden", 1940) vor allem die kriegswichtige Schwerindustrie. Obwohl auch Ruttmanns Filme Preise im Ausland erhielten, fielen sie der deutschen Nachkriegsamnesie zum Opfer, der stattdessen die mit propagandistischen Kornmentartexten wesentlich sparsamere Riefenstahl zur besten Exporteurin der Vergangenheit wurde. Mit ihr, die die Eindeutigkeit des faschistischen Worts durch eine nicht minder penetrante Vereindeutigung der Bilder ersetzte, ließ sich jenseits ihres historischen Kontextes behaupten, daß "Kunst" bei den Nazis möglich war.


SYMPTOMATISCHES WEGSEHEN

Sie selbst hielt nach dem Krieg die Parteitagsfilme unter Verschluß, während sie die entnazifizierte Fassung von "Olympia" international erfolgreich vermarktete. Martin Loiperdinger hat den Beginn des Films analysiert. Er zeigt Veränderungen in der Reihenfolge und musikalischen Begleitung beim Einmarsch der Nationen auf und benennt ihr politisches Gewicht. Die Eröffnung des Films, so sagt er, ist die "Eingemeindung der Teilnehmernationen in ein ideales Universum körperlicher Auslese, das unter nationalsozialistischen Vorzeichen steht". Olympische Idee und nationalsozialistischer Geist gehen ineinander auf.

Die Propaganda der Leni Riefenstahl besteht vor allem darin, von den offensichtlichen "Inhalten" jener plebeischen NS-Propaganda, die auf Flugblättern, im Radio, in den Zeitungen und vor allem in Lokalen und auf der Straße tobte, abzusehen und die Idee der völkischen Gemeinschaft so "erhaben" in Szene zu setzen, daß sie dem Kunstsinn der bürgerlicheren Kreise entsprach. Die Konstruktion des Feindbildes war weniger ihre Sache als die Verfertigung des Bildes vom nationalsozialistischen (Herren-)Menschen. Doch das erste folgt dem zweiten (etwa in Form der antisemitischen Spielfilme) nicht nur einfach nach, es wurde von ihm direkt vorbereitet. In "Olympia" ist jenes symptomatische Wegsehen vorweggenommen, das Riefenstahl schon damals mit vielen teilte und wie jene bis heute als Unschuld deklariert. Rein rechnerisch läßt sich die Propagandafunktion von "Olympia" nicht aurweisen; die deutschen Athleten stehen nicht im Vordergrund, eine sich an der Hautfarbe festmachende Rassenideologie wird nicht vertreten, Juden kommen gar nicht vor. Riefenstahls Rassismus ist ein anderer. Er grenzt nach anderen Kriterien ein und aus. Pathetisch feiern ihre Filme eine körperliche Stärke, die die Schwachen in einem Zweiklassenbiologismus aussortiert. Ihre Abwesenheit bei Riefenstahl ist nur die Kehrseite ihrer Anwesenheit in jenen Filmen, die sie einzig aus dem Grunde zeigten, um ihre Vernichtung zu legitimieren. Riefenstahls Kult des "schönen" Körpers fügte sich in seiner Mischung aus Selbstdisziplin und ekstatischer Hingabe an eine höhere Ordnung nahtlos in die Ideologie des Nationalsozialismus ein und ist bis heute das zentrale Ideologem, dem sie auch sich selbst zur Gänze unterworfen hat. Ihr von Leibesübungen beherrschter Lebensstil demonstriert die Macht jener Körperbilder über ihr eigenes Sein, das Riefenstahl in stereotypen Mantras als ein Leben nur für die Schönheit beschwört, das von Politik nichts weiß.


KÖRPERBILDER OHNE INDIVIDUALITÄT

Riefenstahls Nachkriegsbiografie ist die Geschichte der Einübung und Verselbständigung jener Entlastungsformeln von der Politik, der eine Filmografie der unvollendeten Projekte korrespondiert. Offiziell wurde sie von den Alliierten als Mitläuferin eingestuft und bekam die Rechte an ihren Filmen sowie Kopien zurück. Doch nur "Tiefland", dessen Dreharbeiten schon 1940 begonnen hatten, stellte sie in den 50er Jahren fertig. Kein anderer Film wurde beendet. Die Nachkriegsgeschichte Riefenstahls steht unter der Herrschaft ihrer überwiegend polemischen Rezeption, deren Spektrum von der Verdammung bis zu Lobeshymnen reicht. In Deutschland fand eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit ihren Filmen vor den 70er Jahren nicht statt, und als sie endlich begann, reagierte sie auf Debatten in den USA, die ihre Fotoarbeiten bereits miteinbezogen.

Betrachtet man die Fotos der Nuba von Kau, fallen die ungebrochenen Selektionsmechanismen des Riefenstahlschen Blicks schnell auf: sie zeigt weder ältere Menschen noch Babys, alles, was zur materiellen Kultur zählt, fehlt, Anbau, Viehzucht, Nahrungszubereitung kommen nicht vor. Stattdessen sieht man die Manipulation junger Körper durch Bemalung und Tätowierungen, Kampfrituale junger Männer und den den Kämpfen folgenden Tanz. Nie zielen die Fotos auf Individualität. In den Porträts bilden die Masken, Narben, Frisuren, Schmuckstücke und Farbaufträge auf die Körper nur Varianten eines invarianten Musters, das sich im Ornament erschöpft. Die Gruppen-Aufnahmen addieren sich nach der Anzahl der Abgebildeten. Zwei statische Körper werden gegen drei in Bewegung gesetzt. Oft verschmelzen die Körper mit ihrem diffusen Umraum, lösen sich Körper und Natur im Korn der Fotografie in ihren Grenzen zueinander auf. So wird der individuelle Körper entweder dem "Natürlichen" zugeschlagen oder tritt nur als bloße Funktion in Erscheinung.

Die Kontinuitäten in den Körperbildern Riefenstahls sind evident, sowie überhaupt eines ihrer markantesten Kennzeichen ihre historische Dauer ist. Unmittelbar entstammen sie jenen sozialen Bewegungen, die wie die Verbände der Jugendkultur oder die Lebensreformer den Körper vom Zwang der wilhelminischen Verklemmtheit befreien wollten und schließlich vom Nationalsozialismus entweder zerstört oder eingemeindet wurden. Auf dem Weg vom "Wandervogel" über die Arbeitersportvereine in die "Kraft durch Freude"-Betriebssportgruppen wurde der einzelne Körper in den einzigen Körper verwandelt, der den Nazis etwas galt: der Volkskörper. Als Teil des Volkskörpers aber wurde dem einzelnen Körper die Freiheit genommen, die zu erobern er einmal angetreten war. Am Ende aller Bewegung stand die todessehnsüchtige Körper-Versteifung der nationalsozialistischen Kampfeswut, die Synthetisierung von Sport und Krieg. Heute finden sich die geschlechtslos-verschlossenen Körper der Leni Riefenstahl erneut im Umfeld des Massensports: in der Werbung, in sogenannten Life-Style-Magazinen, aber auch in Teilen der Techno-Kultur. Immer noch folgen der kalten Rationalität einer ausschließlich auf Warenproduktion und Konsumtion ausgerichteten Gesellschaft individuelle Sinndefizite nach, aus denen der Wunsch nach körperlicher Transgression und gemeinschaftlicher Ekstase entspringt. Verbünden sich solche Wünsche aber erst einmal mit den mittelständischen Werten von Sauberkeit, Ordnung, Größe und Harmonie, münden sie, wie die Nationalsozialisten in historischer Einmaligkeit demonstriert haben, in die Gewalt gegen alles, was diesen Werten nicht entspricht. In diesem kulturhistorischen Kontext einer Disziplinierung des Leibes haben die Filme der Leni Riefenstahl ihren Platz.

Leni Riefenstahl hat vier Filme für das Dritte Reich gedreht. Sie hat sich unter Absehung der politischen Realitäten von einem totalitären Regime kaufen lassen, dessen Avancen, wenn man ihr denn glauben will, sie zwar als sexuelle mißverstand, dessen heroisches Eigenbild sie aber teilte. Sie hat sich inzwischen mehr als 50 Jahre darin geübt, nicht einmal das begreifen zu Wollen. Sie hat in ihren Filmen dem Führerprinzip gehuldigt und die Gemeinschaft der Schönen und Starken propagiert. Sie hat dabei auf Wünsche, Bilder und Ideen rekuriert, die ihr vorausgingen und die ihr nachfolgen werden. Nach dem Krieg hat sie sich jeder Geste verweigert, die sie stillschweigend in die Demokratie hätte überführen können. Leni Riefenstahl hat sich nie öffentlich geschämt oder auch nur irgendeine Art von Einsicht gezeigt. Im Gegenteil, keine Zeitungsmeldung war ihr zu gering, um auf sie nicht mit einem Prozeß zu reagieren, keine Kritik war ihr zu unqualifiziert, um gegen sie nicht Recht behalten zu wollen. So hat sie sich zur Märtyrerin, zum ewigen Opfer stilisiert und sich selbst in ihre Vergangenheit eingeschlossen. Am 22. August wird sie 95 Jahre alt.


LITERATUR

Thomas Elsaesser: Leni Riefenstahl: The Body Beautiful, Art Cinema and Fascist Aesthetics. In: Sight & Sound, Vol.3, N.2, 1993

Hilmar Hoffmann: Mythos Olympia. Autonomie und Unterwerfung von Sport und Kultur. Berlin/Weimar 1993

Martin Loiperdinger: Halb Dokument, halb Fälschung. Zur Inszenierung der Eröffnungsfeier in Leni Riefenstahls Olympia-Film "Fest der Völker". In: Medium Jg.18, Nr.3, 1988

Almut Müller und Gregor Pottmeyer: Faschismus und Avantgarde. Leni Riefenstahls "Triumph des Willens". In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft Nr.22, 1996

Leni Riefenstahl: Memoiren. 2 Bde. Frankfurt/Berlin (2.Aufl.) 1995

Georg Seeßlen: Leni Riefenstahl. Die phallische Frau des Faschismus und ihre Wiederentdeckung. In:

Ders.: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur. Berlin 1994

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