Seit 20 Jahre führt das Trickfilm-Magazin "Karambolage" auf arte den
Deutschen wie den Franzosen vor Augen, dass die kulturellen Unterschiede
zwischen beiden Ländern zwar groß, aber auch lustig und vor allem nicht
in Beton gegossen sind. Vieles ist von Zufällen geprägt und wandelt
sich im historischen Verlauf - manchmal bis fast ins Gegenteil. Auf der
sprachlichen Ebene sind die Grenzen zudem fließend.
Zu den ungewöhnlichsten Sendungen im deutschen Fernsehen gehört das 12-minütige Magazin „Karambolage“, das gerade seinen 20. Geburtstag feierte. Es wird vom deutsch-französischen Kultursender Arte produziert und wöchentlich ausgestrahlt. Seine Ursprungsidee verkörpert wie keine andere Sendung den Geist von Arte. Denn Woche für Woche werden kulturelle und sprachliche Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich thematisiert oder in eine Rätselform gekleidet.
Ein anderer Blick
Mal geht es um besondere Personen, die für die Geschichte
beider Länder wichtig sind. In der zweiteiligen Jubiläumsausgabe (Teil
I, Teil
II) geht es um Madame de Stael, die von Napoleon aus
ihrem Heimatland Frankreich vertrieben wurde und nach Deutschland floh, wo sie die
deutsche Literatur, Malerei und Philosophie kennen und lieben lernte. Ihr Buch
„Über Deutschland“ räumte
mit dem in Frankreich verbreiteten Bild von Deutschland auf, dass es sich um
eine unzivilisierte, komfortlose und raue Provinz handle. Die erste Ausgabe
ließ Napoleon verbieten; erst die zweite fand 1814 Leserinnen und Leser und
veränderte den Blick auf das Nachbarland.
Mal geht es in „Karambolage“ um Gebrauchsgegenstände aller Art, um Verkehrsschilder, Speisen und Getränke, aber auch um besondere Kleidungsstücke, die man im jeweiligen Nachbarland nicht kennt. Mal geht es um Begriffe, die es so nur in der jeweiligen Sprache gibt und die auf eine ähnliche Art und Weise porträtiert werden. Die Gegenstände wie die Begriffe werden in kurzen Animationsfilmen vorgestellt, deren Zeichnungen dem Kommentartext folgen. Die Bilder und Texte sind von einer gewissen Ironie geprägt, die Magazin wie Publikum vor einem nationalen Überschwang des je Eigenen oder Fremden bewahren soll. „Karambolage“ nimmt sich und seinen Unterricht in kultureller Differenz nicht ganz ernst und zollt so dem Gedanken Tribut, dass geschichtliche Entwicklungen auch von Zufällen geprägt sind, weshalb die einen diese Süßspeise lieben und die anderen halt eine andere.
Was macht den Unterschied?
An den Beiträgen von „Karambolage“ fasziniert, dass sie wie
kaum eine andere Fernsehsendung dazu anhalten, genau auf die Bilder zu schauen,
die hier gezeigt werden. Denn vieles von dem, was in dem jeweils anderen Land
fremd ist, wird einem erst auf den zweiten oder sogar dritten Blick klar.
Dieser genaue Blick ist besonders beim wöchentlichen Rätsel
gefordert. Es besteht aus einer 30 Sekunden währenden Einstellung, meist eine
Totale (im Freien) oder eine Halbtotale (in Innenräumen), die in der Regel
viele Gegenstände, Fahrzeuge und Menschen erfassen. Die Aufgabe besteht darin,
das Bilddetail zu erkennen, an dem man das Land identifizieren kann, in dem die
statische Einstellung gedreht wurde. Das Auge braucht meist einige Zeit, um das
detailreiche Bild zu durchmustern, und selbst Menschen, die sich in beiden
Ländern bestens auskennen, übersehen mitunter das, was den Unterschied
ausmacht.
Wer sich dabei selbst beobachtet, stellt beispielsweise fest, dass das menschliche Auge anders als etwa ein Digitalscanner das Bild nicht systematisch in Linien abschwenkt, sondern dass es von einzelnen Punkten angezogen, eher in zufälligen Bögen über die Bildfläche wandert. Diese Selbstbeobachtung verrät einem nebenbei auch, wie die Wahrnehmung von Filmbildern generell funktioniert, eben nicht als eine umfassende und systematische Erfassung dessen, was das Bild in seiner Totalität enthält, sondern als eine Suche nach einem Bilddetail, von dem der Blick angezogen wird und von dem er zum nächsten springt.
Im steten Fluß
Wie das Auge beim Betrachten der Filmbilder schult „Karambolage“ mit seinen Animationsfilmen auch das Sprachbewusstsein, denn in ihnen wird sehr oft auch die sprachgeschichtliche Genese der jeweiligen Begriffe und Benennungen rekonstruiert. Sprache wird so als etwas erfasst, was nicht statisch verharrt, wie manche Kulturskeptiker glauben, sondern was stets in Bewegung ist. Das erklärt nebenbei auch, dass die Nationalsprachen vieles von dem aufnehmen, was aus anderen Ländern und Sprachen stammt. Diese Sprachwanderungen vom Französischen ins Deutsche und umgekehrt räumen auch mit der Vorstellung einer Reinheit von Kulturen oder von Identität auf.
Auf einer Veranstaltung in Köln aus Anlass des Jubiläums berichtete Claire Doutriaux, die das Magazin vor 20 Jahren gründete und bis vor Kurzem leitete, dass durch die sozialen Medien die Sendung eine größere Verbreitung erhalten habe, dass aber zugleich auch der Druck von Nationalisten beider Seiten zunähme, die sich über dieses oder jenes empörten. Vor allem der spielerische Umgang mit den kulturellen Tatbeständen scheint bei denen, die von einer gleichsam gusseisernen Vorstellung nationaler Identität ausgehen, so etwas wie eine allergische Reaktion auszulösen. All diesen nationalistischen Protesten zum Trotz geht „Karambolage“ weiter. Zudem gibt es auch einen Ableger ins Spanische.
Hinweise
In Deutschland ist „Karambolage“ jeweils Sonntag um 18.25 Uhr zu sehen, in Frankreich wird es um 20.35 Uhr ausgestrahlt. In der Mediathek sind viele der Sendungen auf der „Karambolage“-Webseite versammelt. Eine ganze Reihe der Kurzfilme ist auch auf DVDs erschienen. Außerdem ist beim der Knesebeck Verlag „Karambolage – Das Beste vom Besten: Das Buch der deutsch-französischen Eigenarten“ erschienen.