© rbb/Vineta Film (Volker Koepp in "Landstück")

Zwölf Filme von Volker Koepp

Anlässlich des 80. Geburtstages von Volker Koepp hat die ARD zwölf seiner Filme in die Mediathek aufgenommen

Veröffentlicht am
24. Juni 2024
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Seit „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ ist der Dokumentarist Volker Koepp vielen einen Begriff. Anlässlich seines 80. Geburtstages hat die ARD jetzt zwölf seiner wichtigsten Filme in die Mediathek aufgenommen, die vor allem Osteuropa erkunden. Der Mauerfall war für Koepp das Signal, sich mit der Kamera in jene Gegenden östlich der deutschen Grenze aufzumachen, die mancher bis heute nur vom Hörensagen her kennt.


Die ARD-Mediathek hat zum 80. Geburtstag von Volker Koepp am 22. Juni 2024 zwölf seiner Dokumentarfilme ins Streamingprogramm aufgenommen. Der jüngste mit dem Titel „Gehen und Bleiben – Uwe Johnson. Folgen des Krieges“ wurde gerade erst im Dritten Programm des rbb ausgestrahlt, während die ältesten Filme von Ende der 1990er-Jahre stammen.

Dabei handelt es sich um die Filme:

Gegen und Bleiben (2023) – In der ARD-Mediathek

Seestück (2018) - In der ARD-Mediathek

Wiederkehr - Reisen zu Johannes Bobrowski (2017) - In der ARD-Mediathek

Landstück (2016) - In der ARD-Mediathek

Livland (2012) - In der ARD-Mediathek

Berlin – Stettin (2009) - In der ARD-Mediathek

Memelland (2008) - In der ARD-Mediathek

Holunderblüte (2007) - In der ARD-Mediathek

Schattenland - Reise nach Masuren (2005) - In der ARD-Mediathek

Frankfurter Tor (2003) - In der ARD-Mediathek

Herr Zwilling und Frau Zuckermann (1999) - In der ARD-Mediathek

Die Gilge – Flussfahrt in Ostpreußen (1998) - In der ARD-Mediathek


Unter ihnen ist auch der wohl erfolgreichste Film des Regisseurs, „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ (1999). Dieser Film, der die im Titel genannten Protagonisten bei ihren alltäglichen Gesprächen beobachtet, ist für das Werk von Volker Koepp typisch und untypisch zugleich. Typisch ist, wie Koepp die beiden kennenlernt. Der Dokumentarist war in der ukrainischen Stadt Tschernivzi, dem früheren Czernowitz, auf der Suche nach Menschen, die ihm von der Geschichte der Bukowina erzählen konnten, also jener Vielvölkerlandschaft, in der auch viele jüdische Menschen lebten, bis sie von den deutschen Truppen vertrieben und ermordet wurden.

Feierte am 23. Juni 2024 seinen 80. Geburtstag: Volker Koepp (imago/epd)
Feierte am 23. Juni 2024 seinen 80. Geburtstag: Volker Koepp (© imago/epd)

In Gespräche verstrickt

Als Koepp mit seinem Team nach einer Straße fragte, kamen sie mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der ihnen auf Deutsch den Weg ins jüdische Zentrum wies. Es war Herr Zwilling, der Koepp einlud, ihn bei seinem Besuch bei Frau Zuckermann zu begleiten. Koepp und seine Mitarbeiter nahmen denn auch gleich ein erstes Gespräch der beiden auf, suchten aber in den umliegenden Dörfern weiter nach Menschen, die ihnen Auskunft geben konnten.

Erst allmählich entdeckten sie die Vielfalt und die Tiefe der Gespräche zwischen den beiden Alten, und dass in diesen Dialogen all das aufschien, was sie an der Geschichte der Bukowina interessierte. Das führte zu der Entscheidung, sich auf das Duo Zwilling/Zuckermann zu konzentrieren. Das aber ist für die Filme von Volker Koepp eher untypisch, denn diese werden meist aus Gesprächen mit vielen Menschen gewoben, denen der Dokumentarist bei den Dreharbeiten begegnet.

Zudem spielt die Landschaft in „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ nicht die Rolle, die sie in den meisten Koepp-Filmen einnimmt. Die ARD hat ihre Retrospektive nicht zu Unrecht „Menschen und Landschaften“ genannt. In den meisten Filmen von Volker Koepp fallen die Totalen auf, in denen die Landschaften erfasst werden, die er für den jeweiligen Film durchquert und erkundet. Es sind wohlkalkulierte Einstellungen, die Kenntnis der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts ebenso verraten wie die der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Michael Succow in "Seestück" (Salzgeber)
Michael Succow in "Seestück" (© Salzgeber)

Gut vorbereitete Aufnahmen

Generell sind die meisten Bilder seiner Filme konzeptuell kalkuliert und in ihrer Tiefenwirkung präzise durchkomponiert. Improvisationen und Zufälligkeiten, wie sie vor allem dem „Direct Cinema“ der 1960er-Jahre eigen war, sind bei Koepp äußerst selten. Die Bildsprache seiner Filme ähnelt sich auch dann, wenn sich die Formate (vom klassischen Academy-Format bis zum Fernseh-Breitwandformat von 16:9) oder die Aufnahmetechniken (vom 35mm-Film zu Video) ändern.

Sein visuelles Alphabet hatte Koepp zusammen mit seinem ersten Kameramann Christian Lehmann noch zu DEFA-Zeiten entwickelt; es trug auch der Tatsache Rechnung, dass das damals übliche 35mm-Material teuer war, so dass gut vorbereitete Kameraeinstellungen auch eine ökonomische Notwendigkeit darstellten. Das änderte sich auch dann nicht, als Thomas Plenert Anfang der 1990er-Jahre die Kameraarbeit übernahm. In den letzten Jahren drehte Volker Koepp seine Filme mit Uwe Mann, der auch die Bilder des jüngsten Films „Gehen und Bleiben – Uwe Johnson“ aufnahm. Und siehe da: Die Filmsprache blieb dieselbe.

Die Landschaftsaufnahmen, so sehr sie mit ihrer Tiefe, den Übergängen zwischen Himmel und Erde und feinen Farbverläufen auch beeindrucken, sind allerdings kein Selbstzweck. Denn es geht Koepp um die Geschichte, die diese Landschaften prägte. Durch jede Naturidylle, die in solchen Einstellungen auch gefeiert wird, schimmert stets auch die Gewaltgeschichte durch, die sich an diesen Orten ereignet hat.


Verbindung zur Historie

Die Verbindung zur Historie stellt Koepp auf zwei Ebenen her. Da ist zum einen sein – meist selbst gesprochener – Off-Kommentar, der historische Fakten in eine kleine Erzählung einbettet, die literarische Zitate von Schriftstellern wie Johannes Bobrowski enthalten kann, mitunter aber auch von persönlichen Erfahrungen grundiert ist. Oder der die Geschichte der jeweiligen Filmidee rekonstruiert. Volker Koepp ist ein persönlicher Erzähler, kein allwissender. Seine Wertungen prägen die geschichtlichen Darstellungen des Films. Sie sind aus seiner Lebensgeschichte erwachsen und gleichsam persönlich verbürgt.

Zum anderen aber gibt es viele Gespräche, die Koepp in diesen Landschaften führt, und in denen diese stets eine wichtige Rolle spielen. Die Menschen, mit denen er spricht, können Fachleute sein wie der Biologe Michael Succow, der in den Filmen „Landstück“ (2016) und „Seestück“ (2018) über die Veränderungen spricht, die durch die Industrialisierung der Landwirtschaft oder durch den Ausbau des Schiffsverkehrs ausgelöst werden. Das können Bewohner sein, die diese Landschaften bewirtschaften und die von den ökonomischen Zwängen berichten, in denen sie sich befinden, egal ob sie sich um einen biologischen Anbau bemühen oder nicht. Oder es sind Historiker, die sich mit der Geschichte der jeweiligen Gegend beschäftigt haben und oft verblüffende Bezüge zwischen Natur und Gesellschaft herstellen.

Begegnungen mit Menschen: "Seestück" (Salzgeber)
Begegnungen mit Menschen: "Seestück" (© Salzgeber)

Nach dem Fall der Mauer hat Koepp seinen Blick bezeichnenderweise nicht nach Westen gerichtet, sondern den Osten Europas befahren. Die Orte und Gegenden wählte er aber nicht nach den jeweiligen Nationalstaaten aus, sondern nach Formationen, die sich gleichsam quer zu den heutigen Nationalstaaten im Lauf der letzten 500 Jahre entwickelt haben. So durchfährt er in „Masuren“ (2005) den Norden von Polen auf der Suche nach den geschichtlichen Spuren, die jene wechselhafte Inbesitznahme dieser Gegend durch Deutschland, Russland und Polen hinterlassen haben. Der Untertitel des Films „Die Gilge“ (1998) kündigt bereits an, welche Landschaft hier erkundet wird: „Flussfahrt in Ostpreußen“, einer Gegend also, die nach 1945 zu einer erst sowjetischen und nun russischen Exklave wurde. Und der Film „Livland“ (2011) durchmisst eine Landschaft, die sich heute Lettland und Estland teilen.


Erkundungen in Osteuropa

Alle diese Filme handeln von deutscher Geschichte, ohne dass sie je in Deutschtümelei abgleiten oder gar die Vorstellung einer Wiederinbesitznahme ehemaliger Ostgebiete propagieren würden. Stets ist in diesen Filmen der Terror gegenwärtig, mit dem Nazi-Deutschland diese Gebiete überzogen und die jüdische Bevölkerung nahezu ausgelöscht hat. Frau Zuckermann und Her Zwilling gehören zu den wenigen, die dem Mordprogramm, das auch in der heutigen Ukraine wütete, entkommen sind.

Koepps Erkundungen in Osteuropa sind aber nicht auf die Vergangenheit fixiert. Weil er die Menschen stets auch nach ihren aktuellen Lebens- und Arbeitsbedingungen befragt, erfährt man in seinen Filmen beispielsweise mehr über die soziale Lage in der Ukraine als in vielen Korrespondentenberichten. Obwohl Koepp in der Ukraine vor Putins Überfall im Februar 2022 gedreht hat, spürt man die Gefahr, die vom großen Nachbarn Russland ausgeht.

Ein Motiv seiner Suchbewegungen durch Osteuropa liegt in der eigenen Geschichte begründet. Ihr geht er in dem Film „Berlin – Stettin“ (2009) nach. Koepp wurde 1944 in Stettin geboren, jener heute polnischen Stadt, die seit 1945 Szcezin heißt. Seine Mutter floh mit ihm und seinen Geschwistern im März 1945 vor der Roten Armee, die Polen von Nazi-Deutschland befreite, nach Broda nahe Neubrandenburg. Im Film liest eine Frau einen Brief vor, den sie als Mädchen an ihre Verwandte schrieb und in dem sie davon berichtet, wie Frauen 1945 in Broda von russischen Soldaten vergewaltigt wurden. Eine dieser Frauen ist die Mutter des Regisseurs.

"Berlin - Stettin" (Edition Salzgeber)
"Berlin - Stettin" (© Edition Salzgeber)

Der Film vollzieht die Bewegung der Flucht in umgekehrter Richtung nach und hält an unterschiedlichen Orten dieser Reise fest, wie sich die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen in den Jahren nach dem Kriegsende verändert haben. Zugleich berichtet Koepp von Erfahrungen, die er zu DDR-Zeiten machte, als er gegen den Einmarsch der „Warschauer Pakt“-Staaten in die Tschechoslowakei protestierte. Einer seiner Kommilitonen, der spätere Schriftsteller Thomas Brasch, kam deshalb ins Gefängnis. Koepp wurde angedroht, von der Filmhochschule zu fliegen.


Wie sich die Zeiten wandeln

Im Off-Kommentar von „Berlin – Stettin“ berichtet er auch vom Antisemitismus, der sich zu dieser Zeit gegen eine Kommilitonin richtete. Am Ende des Films spricht er ausführlich mit einer Studentin und einem Studenten, die in Szcezin Politikwissenschaften studieren, perfekt Deutsch sprechen und europäisch denken. Man kann das als ein hoffnungsvolles Zeichen deuten.

Koepp führt seine Gespräche vor der Kamera auf eine besondere Art. Seine Fragen sind meist kurz, können banal sein wie etwa „Wie geht’s?“ oder enthalten Komplimente. Was bei vielen anderen zu belanglosen Gesprächen führt, erbringt bei Koepp oft einen überraschenden Ertrag. Die Menschen öffnen sich und berichten historisch Relevantes wie Privates und Familiäres. Es ist, als hätten sie nur darauf gewartet, dass ihnen jemand dieses Interesse und diese Neugier entgegenbringt. So entstehen situativ angelegte Gespräche mit einer unglaublichen Intensität. Diese ist auch dann zu spüren, wenn Koepp seinen Gesprächspartnern Jahre oder Jahrzehnte später für einen neuen Film wiederbegegnet. Die Gespräche sind dabei deutlich zeitlich situiert, so dass auch eine zufällig vorbeilaufende Katze oder ein plötzlicher Regenguss (beides in „Gehen und Bleiben“) auf einmal eine Rolle spielen können.

In den letzten Jahren mehren sich in Koepps Filmen die Momente, in denen er auf Themen zurückkommt, etwa in „Wiederkehr“ (2017) zur Literatur von Johannes Bobrowski. In diesem Film findet Koepp das Arbeitszimmer des Schriftstellers im lettischen Willkischken, das begeisterte Leser dorthin gerettet hatten, als seine Bestandteile in Berlin auf dem Müll landen sollten. Über die lettische Gegend, in der Bobrowski seine Kindheit verbrachte, hatte er eine Reihe von Gedichten geschrieben, die Koepp einen Zugang zu dieser besonderen Flusslandschaft verschafften. In „Wiederkehr“ fügt er zu diesem Bild aus der Gegenwart des Jahres 2017 eines aus einem seiner älteren Filme hinzu, das dieses Arbeitszimmer in den 1970er-Jahren in Ostberlin zeigt. So berühren sich Filme und Zeiten.

Hans-Jürgen Syberberg in "Gehen und Bleiben" (Salzgeber)
Hans-Jürgen Syberberg in "Gehen und Bleiben" (© Salzgeber)

In den letzten Jahren hat Koepp häufiger auf sein eigenes altes Material zurückgegriffen. Dadurch öffnen sich weite Zeitbögen, die beispielsweise die körperlichen Veränderungen festhalten, die Menschen im Laufe der Jahre durchleben, aber auch den Wandel von Einstellungen sichtbar machen. Koepps Filme erfassen so fast nebenbei auch die Wandlungen, die sich nach 1989 in den Dörfern und Städten der ehemalige DDR vollzogen und die dort lebenden Menschen prägten. Was auf den ersten Blick wie ein Zufall anmutet, verdankt sich der Kontinuität seiner Arbeit.


Unter hohen Himmeln

Es sei nicht verschwiegen, dass nicht alle Filme von derselben Qualität sind. Mitunter tut sich der Regisseur schwer, etwa wenn er wie in „Frankfurter Tor“ (2003) an einem einzigen Ort verweilt. Auch missglücken ihm mitunter Gespräche oder sind wenig ergiebig. Als Beispiel mag seine Begegnung mit dem Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg dienen, den er im Johnson-Film „Gehen und Bleiben“ befragt. Mitunter drehen seine Filme auch eine thematische Kapriole zu viel oder wird ein eher belangloses Gespräch im Film belassen, auch wenn es von dessen Substanz ablenkt. Dennoch erschöpfen die meist zwei Stunden und länger dauernden Filme nicht, denn es gibt in ihnen so unendlich viel zu sehen und zu hören. Man muss sich nur auf sie einlassen.

Die Filme von Koepp, die jetzt in der ARD-Mediathek zugänglich gemacht werden, sind Ruhmesleistungen des öffentlich-rechtlichen Systems, dessen Sender, etwa rbb, MDR, SWR oder WDR sie mitermöglicht haben. In dem verdienstvollen Buch „Unter hohen Himmeln. Das Universum Volker Koepp“ von Grit Lemke kann man einiges über die Produktionsgeschichte der Filme erfahren, beispielsweise auch, welchen Einfluss Barbara Frankenstein als engste Mitarbeiterin seit Ende der 1990er-Jahre dabei hat. Gleichzeitig kritisieren Koepps Filme all die aktuellen Dokumentationen derselben Sender, die alles doppelt und dreifach benennen, ihre beliebigen, oft nur auf Affekt ausgerichteten Bilder sowie die Ungeduld in den Gesprächen, die auf eine schnelle Antwort und eine starke Meinung ausgerichtet sind.



Die Filme von Volker Koepp in der ARD-Mediathek


Gegen und Bleiben (2023) – In der ARD-Mediathek

Seestück (2018) - In der ARD-Mediathek

Wiederkehr - Reisen zu Johannes Bobrowski (2017) - In der ARD-Mediathek

Landstück (2016) - In der ARD-Mediathek

Livland (2012) - In der ARD-Mediathek

Berlin – Stettin (2009) - In der ARD-Mediathek

Memelland (2008) - In der ARD-Mediathek

Holunderblüte (2007) - In der ARD-Mediathek

Schattenland - Reise nach Masuren (2005) - In der ARD-Mediathek

Frankfurter Tor (2003) - In der ARD-Mediathek

Herr Zwilling und Frau Zuckermann (1999) - In der ARD-Mediathek

Die Gilge – Flussfahrt in Ostpreußen (1998) - In der ARD-Mediathek

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