© Farbfilm/Filmwelt ("Eternal You")

Die Renaissance der Seele

Ein Gespräch mit Hans Block und Moritz Riesewieck über ihren Film „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“

Veröffentlicht am
18. Juni 2024
Diskussion

In dem Dokumentarfilm „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ (ab Donnerstag, 20.6., im Kino) geht es um Möglichkeiten, für trauernde Angehörige über den Tod hinaus greifbar zu bleiben. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz hat hier in bestürzend kurzer Zeit von Chat- und Voicebots bis zu digitalen Avataren viele verblüffende Neuerungen hervorgebracht. Damit sind viele psychische, aber auch gesellschaftliche Fragen verbunden. Es führt nicht nur zu einem neuen Glauben an die Seele, sondern tangiert auch grundlegende Vorstellungen vom Menschsein. Ein Gespräch mit den Regisseuren Hans Block und Moritz Riesewieck.


Die Unsterblichkeit ist ein Versprechen vieler Religionen. Von welchem Leben nach dem Tode erzählt „Eternal You“?

Hans Block: Obwohl es immer mehr Menschen gibt, die in den klassischen Religionen nicht mehr beheimatet sind und auch nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, können viele nicht damit leben, dass nach dem Tod gar nichts mehr ist. Wir brauchen offensichtlich in irgendeiner Weise den Trost, dass es irgendwie doch noch weitergeht. Angesichts der transzendentalen Obdachlosigkeit rücken jetzt Technologieunternehmen auf den Plan, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz etwas anbieten, damit nach unserem Tod doch noch etwas fortexistiert, dass wir in einem Doppelgänger, einem Avatar weiterleben und unsere Angehörigen so mit uns in Kontakt stehen können. Nicht mit irgendwelchen metaphysischen Geistern. Sondern in der Art, dass sie mit uns chatten und sich unterhalten können. Oder dass man sich gar auf einem Bildschirm sieht, so als würde man mit Verstorbenen skypen.

Aber das ist doch eher ein multimediales Archiv oder eine Erinnerungsmaschine?

Moritz Riesewieck: Es gibt inzwischen ganz unterschiedliche Varianten davon, was dieser digitale Wiedergänger sein kann. Da gibt es Bots, mit denen man chatten kann. Die können so texten, wie der Verstorbene vielleicht geschrieben hätte. Es gibt aber auch sprechende Varianten, Voice-Bots, die auch noch die Stimme der verstorbenen Person künstlich zum Leben erwecken. Es gibt sogar Avatare, bei denen auf der Basis eines Fotos oder eines Videoausschnitts die Lippenbewegungen passgenau mitgestaltet werden, also die bekannten „Deepfakes“. Das kann mittlerweile ganz unterschiedliche Formen annehmen; viele davon sind frappierend authentisch. Wir erleben, wie der technische Fortschritt tatsächlich galoppiert. Je mehr Menschen das nutzen, desto schneller verbessert sich die Technologie.

Viele Menschen lassen bereits Bots von sich herstellen (© Farbfilm/Filmwelt)
Viele Menschen lassen bereits Bots von sich herstellen (© Farbfilm/Filmwelt)

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Also von „Frankenstein“ zu „Blade Runner“?

Block: Als wir 2018 mit der Recherche zu „Eternal You“ begannen und das Thema bei Produzenten und auf Filmmärkten vorstellten, hatten wir den Eindruck, dass uns die Leute für verrückt hielten. Das klang nach „Blade Runner“, nach „Black Mirror“, nach Science-Fiction. Niemand konnte sich vorstellen, dass dies irgendwann Realität werden würde. Aber lediglich sechs Jahre später stehen wir an einem komplett anderen Punkt. Diese Visionen sind real geworden. Es gibt Menschen, die mit Verstorbenen digital in Kontakt stehen. Es sind reale Gefühle, die diese Maschinen auslösen, und es gibt reale ethische Probleme, die damit verbunden sind. Wir vermuten, dass dies erst der Anfang eines Epochenwandels ist, dass wir gerade den Beginn eines Menschheitsexperiments beobachten – und dass wir uns wappnen müssen für große neue Fragen in der Zukunft. Der Film versucht, eine Debatte auszulösen und diesen sehr abstrakten Begriff „Künstliche Intelligenz“ konkret werden zu lassen.

Die Regisseure Moritz Riesewieck und Hans Block (© Farbfilm/Konrad Waldmann)
Die Regisseure Moritz Riesewieck und Hans Block (© Farbfilm/Konrad Waldmann)

Das Neue an diesen Erinnerungstechniken besteht doch darin, dass sie die Essenz eines Menschen, seine Intelligenz, seine Macken und Launen nach seinem Tod auf einem Datenträger zugänglich machen.

Riesewieck: Studien zeigen, dass viele Menschen, auch wenn sie gar nicht mehr so religiös sind, doch noch an so etwas wie die Seele glauben. Sie haben das Gefühl, dass sie einen geliebten Menschen unter Tausenden wiedererkennen würden, weil sie an dessen Einzigartigkeit glauben. Das schreiben sich auch diese Technologieunternehmen auf die Fahne: eine objektive Wahrheit, die man nach menschlichem Ermessen so vielleicht gar nicht ermitteln kann, anhand der vielen Datenspuren, die über uns im Netz existieren, zu generieren. Dass eine KI, die Unmengen von Daten verarbeiten kann, aus all diesen Datenschnipseln so etwas wie einen Wesenskern herausdestillieren kann. Und dass dieser Wesenskern genau das wiedergibt, was eigentlich schon totgesagt wurde, nämlich die Seele. Wir erleben also gerade so etwas wie eine Renaissance der Seele im Digitalen. Das besitzt durchaus eine religiöse Konnotation und trifft vielleicht vor allem auf Menschen zu, die mit herkömmlichen Religionen nichts mehr am Hut haben. Nach unserem Dafürhalten entsteht gerade eine neue Form der Transzendenz im Digitalen. Das hat uns interessiert.

Der Film zeigt die schnelle Entwicklung von geschriebenen Chats bis zur fast kitschigen Holographie eines verstorbenen Mädchens, das mit seiner Mutter im 3D-Raum schwebt.

Block: Als wir begonnen haben, brauchte man noch Stunden an Material, um eine Stimme zu klonen. Es mussten perfekte Tonstudio-Aufnahmen sein. Mittlerweile reichen ein paar Minuten, um tatsächlich eine unverwechselbare Stimme nachzuahmen. Darauf müssen wir uns einstellen, dass die Technik in einem rasanten Tempo immer besser wird. Die Maschinen werden immer glaubwürdiger Menschen imitieren können. Das stellt uns vor ernste Fragen: Können wir in Zukunft neue digitale Entitäten von einem echten Menschen unterscheiden? Wie kann das ausgenutzt werden – politisch, in intimen Beziehungen oder im Trauerprozess? Da stehen gigantische Veränderungen bevor.

Unternehmen werben mit „Unsterblichkeit“ (© Farbfilm/Filmwelt)
Unternehmen werben mit „Unsterblichkeit“ (© Farbfilm/Filmwelt)

Um bei der südkoreanischen Mutter zu bleiben, die ihrem toten Kind als 3D-Simulation begegnet: Unterstützt diese virtuelle Begegnung den Trauerprozess oder verhindert sie ihn?

Riesewieck: Diese Geschichte aus Südkorea hat uns sehr berührt. Eine Mutter, die mitansehen musste, wie ihre siebenjährige Tochter an einer seltenen Krankheit starb, litt seither unter Albträumen, in denen ihre Tochter Vorwürfe erhob, dass sie ihren Tod nicht verhindert habe. Sie hatte diese furchtbaren Bilder aus dem Krankenhaus im Kopf, in denen das Kind an Schläuche gebunden vor ihr lag. In der virtuellen Realität begegnet sie jetzt dem Avatar ihrer Tochter. Das Mädchen steht lebensecht vor ihr. Die Mutter trägt eine VR-Brille und VR-Handschuhe. Sie glaubt tatsächlich, ihre Tochter in die Arme schließen zu können. Sie streckt die Hände aus und greift natürlich ins Leere. Das ist bestürzend zu beobachten, wie die Frau verloren in dem Green-Screen-Studio steht und es den Anschein hat, als ob das Mädchen zurückgekehrt sei. Das Video dieser Begegnung hat im Netz weltweit für Bestürzung gesorgt, weil viele Menschen, unter ihnen auch Psycholog:innen, das als gefährlich empfanden, was sich diese Frau zumutet. Da wird doch mit Gefühlen gespielt, hieß es; da wird ein Trauerprozess gestört. Es kann zu Retraumatisierungen kommen.

Wir wollten deshalb von der Frau selbst erfahren, wie es ihr damit ergangen ist. Sie hat uns erzählt, dass ihr diese Begegnung gutgetan habe. Sie sei die Albträume und die Schuldgefühle losgeworden, und das Mädchen sei aus ihren Träumen verschwunden. Nun kann man natürlich fragen, ob das denn nun per se gut ist, dass sie nicht mehr von ihrer Tochter träumt. In der virtuellen Realität ist sie einer Version des Mädchens begegnet, die ausschließlich positiv sein sollte. Die Entwickler:innen haben sich das wirklich zum Ziel gesetzt, nur positive Erinnerungen bei der Mutter zu erzeugen. Wir fragen uns, ob das wirklich die Art ist, wie wir in Zukunft Menschen erinnern wollen? Wollen wir Menschen auf diese Weise weiterleben lassen, also in einer Art „Disneyisierung“ der Toten? Gleichzeitig müssen wir aber auch der Mutter Gehör schenken, die sagt: „Es hat mir geholfen!“

Entwurf von digitalen Wiedergängern (© Farbfilm/Filmwelt)
Entwurf von digitalen Wiedergängern (© Farbfilm/Filmwelt)

Wie stark ist KI schon in die Psychotherapie eingedrungen?

Riesewieck: Bots werden immer häufiger für Therapiezwecke eingesetzt. Das sind dann oftmals generative Künstliche Intelligenzen, also Bots, die Open Domain sind. Die können über alles Mögliche mit den Patient:innen sprechen. Das wird von vielen Menschen genutzt. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele Menschen sich gegenüber den Bots besser öffnen als gegenüber menschlichen Therapeut:innen, da sie das Gefühl haben, nicht vorschnell für bestimmte Empfindungen verurteilt zu werden. Die US-Soziologin Sherry Turkle hat dazu eine Reihe von Studien gemacht, die zeigen, dass wir immer vulnerabler werden. Zum Teil haben es Menschen richtiggehend verlernt, anderen Menschen in einem Telefongespräch oder persönlich zu begegnen. Die technischen Medien können auch dazu führen, dass wir uns von solchen direkten Begegnungen mit anderen entwöhnen und uns stattdessen immer mehr daran gewöhnen, dass etwas zwischen uns sein muss, das filtert oder hinter dem wir uns verstecken können.

In „Eternal You“ beobachten wir eines der größten Experimente unserer Zeit: Was passiert mit uns und unserem Menschsein, wenn wir die Idee der Endlichkeit aufgeben? Wenn wir mit den Toten weiterleben können, wenn wir sie beleben und die intimen Beziehungen mit ihnen fortsetzen können.

Das ist aber eine Unsterblichkeit für die Nachwelt; ich selbst habe als Toter dadurch doch kein Leben nach dem Tod?

Block: Also tot ist tot. Daran wird sich nichts ändern. Die Bots werden den physischen Tod nicht überwinden. Aber es spendet schon Trost, wenn man weiß, dass nach unserem Tod noch etwas von uns übrigbleibt. Etwas zu hinterlassen, ist ein zivilisatorischer Motor, sei es in Gestalt der DNA in unseren Kindern, sei es als die großen Werke von Dichtern, sei es in Gestalt von wissenschaftlichen Resultaten und Entdeckungen. Es ist eine Form der Unsterblichkeit, etwas zu hinterlassen.

Während der Recherchen haben wir viele Menschen getroffen, die von sich selbst Bots gemacht haben. Wenn man plötzlich mit einer tödlichen Krankheit konfrontiert ist, wenn einem der Arzt sagt, dass man nur noch wenige Monate zu leben hat, weiß man nicht, was das in einem auslöst. Oder wenn ein Elternteil stirbt und noch zwei Kinder hat, die nun ohne ihn aufwachsen. Könnten sie mit einer Avatar-Mama oder dem Avatar-Papa nicht weiter im Gespräch bleiben? Mittlerweile ist das technisch möglich. Ob wir uns das wünschen sollten, weiß ich nicht. Aber es gibt Gründe dafür, dies zu tun. Ohne dass der natürliche Tod damit überwunden wäre.

Eine Mutter kann ihrem toten Kind als Simulation wiederbegegnen (© Farbfilm/Filmwelt)
Die Beziehung von Mutter und Kind kann über den Tod hinaus erhalten werden (© Farbfilm/Filmwelt)

Eine andere Seite dieser Medaille ist das Geschäft mit der Trauer, mit der Angst vor dem Tod und der Sehnsucht nach unsterblichem Nachruhm. Das zeigt „Eternal You“ auch sehr deutlich.

Block: Wir haben uns lange gefragt, warum Unternehmer auf diesem Feld tätig sind. Warum entwickeln sie diese Apps und Programm? Ein Grund ist tatsächlich eine fast kindliche Neugier, etwas zu entwickeln, was es so noch nicht gab, eine Verspieltheit, die klassische Garage im Silicon Valley. Man bastelt an etwas herum, was es so noch nicht gibt und präsentiert das Ergebnis voller Stolz, ohne vorher geprüft zu haben, was es für Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann. Die Vermarktung des Todes ist besonders perfide, weil man es hier mit verletzten, seelisch aufgewühlten Menschen zu tun hat, die vielleicht alles geben würden, um noch einmal ein letztes Gespräch mit dem Verstorbenen zu führen. Ein rumänischer Unternehmer erzählte uns, dass er schon 30.000 Personen auf seiner Warteliste habe, obwohl sein Produkt noch gar nicht fertig sei. Oft realisieren diese Unternehmer gar nicht, was für eine gigantische Verantwortung sie haben. Da ist ein junger Mann, der an Krebs erkrankt ist und will, dass etwas von ihm bleibt. Eine Mutter, die ihr totes Kind zurückhaben will. Ein Ehepartner, dessen Gegenüber nach 40 gemeinsamen Jahren gestorben ist. Für die damit verbundenen Bedürfnisse gibt es nun technische Lösungen. Die Unternehmer reflektieren selten über die Komplexität der damit zusammenhängenden Dinge. Oft haben wir die Standardantwort gehört: „Wir als Entwickler sind nicht für die Kunden verantwortlich. Jeder ist erwachsen und reif genug, selbst zu entscheiden, ob man das machen möchte oder nicht. Wenn man sich dafür entscheidet, dann muss man auch mit den Konsequenzen leben.“ Doch darf man es sich wirklich so einfach machen?

Es gibt in „Eternal You“ eine Stelle, wo es darum geht, dass ein Mensch mit suizidalen Tendenzen einen Chat-Bot um Rat gefragt hat. Der Chat-Bot riet nicht dazu, eine Suizid-Hotline anzurufen oder sich Hilfe zu holen. Im Gegenteil: Er hat den Menschen in seinen Selbstmordabsichten bestärkt und in dem Vorhaben unterstützt, was dann tatsächlich zum Tod dieses Menschen geführt hat. Mit diesen Maschinen ist eine gewaltige Machtposition und auch eine Gefahr verbunden. Das muss politisch reguliert werden. Wir hoffen, mit unserem Film eine politische Debatte anzuregen, um an bestimmten Stellen Riegel vorzuschieben.

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