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Serie: The Boys - Staffel 4

Die Antisuperhelden-Serie gibt sich im Jahr der Präsidentschaftswahl in den USA in ihrer vierten Staffel mehr den je als bitterböse Polit-Farce.

Veröffentlicht am
14. Juni 2024
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Die Menge jubelt ihrem Helden zu – selbst wenn Homelander (Antony Starr) einem Mann öffentlich den Kopf wegschießt. Mit diesem zynischen Akkord endete Staffel 3 der Anti-Superheldenserie „The Boys“. Und man ahnt, dass auch der Gerichtsprozess, der in Staffel 4 nun wegen dieser Selbstjustiz-Hinrichtung gegen den größenwahnsinnigen Anführer der „Seven“ angestrengt wird, die Dinge nicht mehr ins Lot rücken wird. Homelanders Anhängern scheint es schlicht egal zu sein, dass ihr Idol sich nonchalant über Recht und Gesetz hinwegsetzt; die Hirne sind imprägniert von Verschwörungstheorien, die jede Kritik an Homelander, jeden rechtsstaatlichen Einwand gegen sein Tun, als links-woke-jüdische Deep-State-Intrige abtun.

Ein Menetekel in grellen Alarm-Farben

Die Serienverfilmung des gleichnamigen Comics von Garth Ennis und Darick Robertson, die 2019 in der Ära Trump gestartet war, ist in ihrer vierten Staffel in dem Jahr, in dem in den USA wieder eine Präsidentschaftswahl stattfindet und Donald Trump erneut an die Macht kommen könnte, bei aller Lust an der makabren Überzeichnung mehr denn je erschreckend nah dran an der Realität. Ähnlich wie zuletzt Alex Garlands „Civil War“ zeichnen auch die neuen Folgen in grellen Alarm-Farben das Menetekel einer gesellschaftlichen Spaltung an die Wand, die so fundamental ist, dass sie das demokratische System der USA zu zerreißen droht.

Die Hoffnung, die Politikerin Victoria Newman (Claudia Doumit) könne den Rechtsstaat konsolidieren und ein politisches Gegengewicht zu Homelander und der Macht des Konzerns Vought Industries werden, hatte sich schon im Lauf der dritten Staffel mit der Offenbarung, dass Victoria ihrerseits ein „Supe“ mit ganz eigenen Ambitionen ist, zerschlagen; in der vierten Staffel ist sie nun, als Vizepräsidentin nur einen Schritt weit entfernt vom höchsten Amt im Staat, neben Homelander ein weiterer zentraler Antagonist, an dem sich das Team der „Boys“ bei seinem verzweifelten Versuch, die Willkür der Superhelden in Schranken zu weisen, abarbeiten muss.

Neuzugänge: Eine Volksverhetzerin und Frau Superklug

Auch die neue Staffel genehmigt sich wieder diverse schwarzhumorige, krasse Provokationen in Sachen Sex und Gewalt, ist im Ganzen aber mehr auf No-Nonsense gebürstet als noch Staffel 3. Zum bitteren Ernst in der Polit-Farce trägt auch die neu eingeführte Figur Firecracker (Valorie Curry) bei, die von Homelander als Ersatz für die Ausfälle der letzten Staffel für Voughts Superheldenteam „The Seven“ rekrutiert wird. Sie ist nicht nur ein „Supe“, sondern vor allem eine enorm einflussreiche rechtspopulistische Influencerin und Homelander-Anhängerin – und ihre online und bei Conventions versprühte, krude Volksverhetzung klingt verdächtig nach der aus Georgia stammenden republikanischen Abgeordneten und Q-Anon-Anhängerin Marjorie Taylor Greene. Die von Greene unterstützte „Pizzagate“-Verschwörungstheorie wird in der Serie explizit hämisch herbeizitiert.

Für Spannung und Überraschungen sorgt eine weitere neu eingeführte Antagonistin: Neben Firecracker wird auch die Afroamerikanerin Sister Sage (Susan Heyward) von Homelander für die „Seven“ angeworben. Und scheint sich schnell als willige Steigbügelhalterin für dessen Ambitionen zu erweisen: Als clevere Strategin trägt sie gleich in den ersten Folgen kräftig dazu bei, den Konflikt zwischen Homelanders Anhängern und den „Starlighters“, die die mit den „Boys“ liierte Superheldin Starlight unterstützen und Widerstand gegen Voughts und Homelanders Einfluss leisten, so eskalieren zu lassen, dass die öffentliche Ordnung immer instabiler wird. Was Homelander und Co. prompt nutzen, um Stimmung für die „Supes“ als Schützer und Garanten der Sicherheit zu machen. Welche Agenda Sister Sage, eine selbstbewusste Frau, deren Superkraft ihre überragende Intelligenz ist, freilich wirklich verfolgt, bleibt lange im Ungewissen.

Ähnlich dubios und schwer einzuschätzen ist die von Jeffrey Dean Morgan verkörperte, in der vierten Staffel neu eingeführte Figur des Agenten Joe Kessler, der als einstiger Militär- und CIA-Kamerad von „The Boys“-Anführer Billy Butcher (Karl Urban) nach langer Zeit wieder Kontakt zu diesem aufnimmt und ihn zur Zusammenarbeit zu bewegen versucht. Damit wird er zu einem Faktor, der den Bruch zwischen Butcher und dem „The Boys“-Team, der in der dritten Staffel schon aufgeklafft war, zu vertiefen droht.

Die schillernden Charakterzeichnungen bleiben die Hauptattraktion

Neben solchen Neuzugängen vergessen die Serienmacher um Eric Kripke aber auch nicht, die bereits etablierten Figuren weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass die schillernden Charakterzeichnungen noch vor der knalligen Action die Hauptattraktion der Serie bleiben. Die „Seven“-Mitglieder The Deep und A-Train stehen mehr denn je vor der Gewissensentscheidung, inwieweit sie sich Homelanders Dominanz unterwerfen oder sich von ihrem egomanischen Anführer abwenden sollen – wobei nicht zuletzt der Afroamerikaner A-Train interessante neue Seiten zeigt. Im Team der „Boys“ wiederum wird das geschlossene Vorgehen, das eigentlich notwendiger ist denn je, nicht nur durch Billy Butchers Neigung zu Alleingängen bedroht, sondern auch durch persönliche Baustellen anderer Mitglieder.

Und die großen Macho-Antipoden Billy Butcher und Homelander? Während sich um sie herum ein Bürgerkrieg anzubahnen droht, kämpfen sie nicht zuletzt auch mit sich selbst – innerlich zerrissen, wie auch das Land um sie herum zerrissen ist. Fühlen die selbst verschuldete Einsamkeit, den unerbittlichen Zahn der eigenen Vergänglichkeit, und beginnen zu realisieren, dass ihre Ego-Trips sie nirgends hinführen werden, wo so etwas wie Glück oder Zufriedenheit zu finden sein könnte. Und fixieren sich auf den einzigen Menschen, der ihrem Tun doch noch einen Sinn geben könnte: Ryan, leiblicher Sohn von Homelander und Stiefsohn von Billy. Die Liebe und Loyalität des Jungen wird zum neuen Zankapfel. Bleibt zu hoffen, dass sich Ryan als Vertreter der nächsten Generation am Ende, das spätestens mit der nächsten und fünften Serienstaffel herannahen wird, als weiser erweisen wird als beide Vaterfiguren.

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