Nicht weiter verwunderlich, dass man zum 100. Geburtstag auf die eigene Geschichte zurückblickt. Und der Walt-Disney-Konzern kann wahrlich stolz auf sein Geleistetes sein. So viele glückliche Kinder (und Erwachsene) dank all der abendfüllend animierten Märchen, von denen zunächst niemand glaubte, dass sie auf der Leinwand verfangen würden. Seien wir ehrlich: Auch heute noch wird dem Animationsfilm nicht die Ehre zuteil, die ihm gebührt. Trotz Pixar und „Toy Story“, trotz Ghibli und „Mein Nachbar Totoro“. Solange es noch „eine Nachricht“ ist, dass ein Animationsfilm im Wettbewerb eines A-Filmfestivals läuft, wird er nicht wirklich ernst genommen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Was war das damals 1951 noch für ein Raunen, weil es ein „Walt Disney“ zur Berlinale geschafft hatte! In die Wettbewerbssektion! Gut, es war die erste Ausgabe der Berliner Filmfestspiele überhaupt, und die Filme wurden damals noch in Genrekategorien ausgezeichnet. Aber die Tatsache, dass unter den „Musikfilmen“ „Cinderella“ den „Goldenen Bären“ einheimste und dabei unter anderem „Hoffmanns Erzählungen“ von Michael Powell und Emeric Pressburger hinter sich ließ, ist zumindest ein Statement. Dass der damals noch übliche Publikumspreis ebenfalls an das von Walt Disney noch höchstselbst verantwortete Trickfilmspektakel ging, beweist: Da hatte jemand den Nerv getroffen, nach dem Krieg, nach „Bambi“, der 1942 den letzten großen Erfolg des Hauses markierte.
Der Klassiker lockt noch immer das junge Publikum
Der Rest
ist, wie man so schön sagt, Geschichte, wie auch Clark Spencer, der aktuelle
Präsident der Walt Disney Animation Studios, nicht ohne Wehmut meinte, als er 2023
diesen alten „Cinderella“-Film nach 72 Jahren erneut auf einer
Berlinale-Leinwand präsentierte. Sichtlich stolz kam der wichtige Funktionär in
diesem Februar auf die Bühne des Hauses der Festspiele, um im Rahmen der
Sektion „Generation Kplus“ und natürlich anlässlich des 100-jährigen Disney-Jubiläums
die frisch restaurierte Version des Filmes an dem Ort vorzustellen, wo vor
nunmehr 72 Jahren sein Siegeszug begann. Für die Berlinale ungewohnt, aber
angesichts von Hunderten von Kindern im ausverkauften Saal nicht weiter
verwunderlich, wurde er in der alten deutschen Synchronfassung gezeigt. Auch
nicht schlecht, einmal die Synchronarbeit von damals zu würdigen, die
sicherlich weltweit ihresgleichen sucht.
Das großteils junge Publikum löcherte anschließend bei der Diskussionsrunde den zunehmend verdutzten Disney-Gewaltigen mit Fragen. Die berechtigte Einlassung, warum denn ein Vater seinem Kind nur den Namen „Aschenputtel“ geben könne oder ob sie noch einen anderen „vernünftigen“ Namen habe, konnte der US-Amerikaner natürlich nicht beantworten. Immerhin trage sie ja auch in der englischen Fassung nur den Namen Cinderella, und im Prolog der deutschen Fassung wird ungelenk und wenig überzeugend vom deutschen Namen abgelenkt, indem die Off-Stimme des Erzählers verkündet: „Nennen wir sie jetzt auch Cinderella.“ Auch die Frage eines Jungen, warum denn auf dem zur Talkrunde groß auf die Kinoleinwand projizierten Werbeplakat Aschenputtel ein blaues Ballkleid trägt, während es im Film doch (neu farbkorrigiert) weiß erstrahlt, konnte der Studioboss nur verwundert zur Kenntnis nehmen. Aufgefallen war es ihm bislang anscheinend nicht. Der restaurierte Film sei ja auch noch nirgends zuvor aufgeführt worden, schmunzelte er.
Das Mobbing-Opfer Cinderella triumphiert
Eloquent konnte der 60-Jährige sich indes einer kritischen Frage einer Schülerin erwehren, ob denn der Film noch zeitgemäß sei, weil er doch ein naives Frauenbild zeige, das die Erfüllung der Heldin in der Heirat eines Prinzen sieht. Hierzu zitierte er seine Geschäftsleitungskollegin Jennifer Lee, deren absoluter Lieblingsfilm ausgerechnet „Cinderella“ sei, und zwar schon allein aus dem Grunde, weil sie in der Kindheit ebenso wie „Aschenputtel“ Opfer von Mobbing gewesen sei. Im Film habe sich „das Opfer“ selbstbewusst emanzipiert und aus freien Stücken den Mann gewählt, den es liebt. Man kann das Märchen, das Pate stand für den sogenannten „Cinderella-Komplex“, also durchaus auch gegen den Strich als Emanzipationsgeschichte lesen.
Der Film sorgte in jedem Fall bei seiner neuerlichen Weltpremiere für Begeisterungsstürme, auch bei einem Publikum, das sicher inzwischen anderes gewöhnt ist als mit Hand gezeichnete Trickfilmfiguren. Das Erstaunen war beim jungen Publikum denn auch groß, dass tausende Einzelzeichnungen von Figuren und Hintergründen nötig waren, um dieses virtuose audiovisuelle Märchenspektakel zu realisieren.
In UHD kommt das generalüberholte Märchen auch ins Heimkino
Während in den USA dem Film in diesem Jahr auch eine neuerliche Kinopremiere zuteilwurde, blieb die Berlinale-Aufführung trotz des Erfolgs bislang ein Solitär. Schade. Aber zumindest das Firmenjubiläum scheint die deutsche Disney-Filiale dazu bewegt zu haben, dieses Meisterwerk auch hierzulande fürs Heimkino in der 4K-Restaurierung herauszubringen. Das ist alles andere als selbstverständlich, hat doch Disney/Pixar Deutschland bisher kaum einen seiner Animationsfilme (von „König der Löwen“ einmal abgesehen) als UHD veröffentlicht.
Nun also erstrahlt der Film in neuem, in der Tat nie gesehenem Glanz. Die Detailzeichnungen sind nachgeschärft, Kontraste verbessert, die Digitalisierungsschäden der früheren DVD-/Blu-ray-Transfers wettgemacht. Disney bringt „Cinderella“ zudem als Combo (UHD und Blu-ray) heraus – also alles gut auch für die, die sich (noch) keinen 4K-Player leisten wollen? Mitnichten! Leider hat der deutsche Disney-Arm Kosten und Mühen gescheut und als Blu-ray einfach die alte Scheibe von 2012 (mit der verhunzten Restaurierung von 2005) dazugelegt. Das bedeutet, die „Berliner Fassung“ ist lediglich auf der 4K UHD vorhanden, während sie in dem Combo-Pack aus den USA auch auf der Blu-ray (ja, selbst auf der DVD!) vorhanden ist. Sie ist für den 1. August avisiert. Das hat auch zur Folge, dass auch das Bonusmaterial der neuen Blu-ray nicht enthalten ist. So zum Beispiel der spielfilmlange, unter anderem durch Einblendungen der Diskutanten visualisierte Audiokommentar von vielen Studiogewaltigen, der bereits zur ersten Restaurierung 2005 angefertigt wurde und seither auch auf der Blu-ray von 2012 fehlt.
So bleibt
also, dank der diskutablen Entscheidungen des deutschen Verleiharms, ein
schaler Geschmack bezüglich dieser Jubiläumsausgabe. Vielleicht ja aber auch
doch ein Argument für die Aufrüstung des Heimkinos auf 4K oder die Hoffnung,
dass der Film auch wieder einmal in unsere Kinos kommt – nicht nur auf der
Berlinale!