Der US-Schauspieler Alan Arkin war einer der vielseitigsten Darsteller Hollywoods. Von seinem Durchbruch in den 1960er-Jahren an verkörperte er sympathische Identifikationsfiguren wie im Antikriegsfilm „Catch 22“ ebenso glaubhaft wie einen sadistischen Schurken in „Warte, bis es dunkel ist“ und konnte nahtlos zwischen Komik und Drama wechseln. Vor allem in prägnanten Nebenrollen blieb er bis ins hohe Alter in Filmen präsent und bewies mit seinem „Oscar“-gekrönten Auftritt als Großvater in „Little Miss Sunshine“ und als altgedienter Produzent in „Argo“ ungebrochene Spielfreude. Ein Nachruf.
Am Anfang stand das Gefühl, nicht gesehen zu werden, gesteigert zur kindlich-existenziellen Furcht, überhaupt nicht zu existieren. Der Weg des US-amerikanischen Schauspielers Alan Arkin begann schon früh in seiner Kindheit, wie er später berichtete, genährt aus einem Mangel an offen gezeigter Zuneigung durch seine Eltern. Also begann er, sich andere Rollen und Identitäten auszudenken, um wahrgenommen zu werden, mit positivem Effekt vor allem auf seine Selbstwahrnehmung. Das dabei zutage geförderte Talent für Improvisation und den raschen Wechsel zwischen ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten war es dann auch, was Alan Arkin Anfang der 1960er-Jahre zum Durchbruch verhalf – erst in der gerade gegründeten Impro-Talentschmiede „Second City“, dann in Carl Reiners autobiographischem Theaterstück „Enter Laughing“ als strauchelnder Komiker-Aspirant. Und auch als Arkin mit Anfang dreißig im Kino Fuß fasst, kann man in seinen ersten großen Leinwandrollen noch das Gefühl haben, dass er tief aus seinen eigenen Erfahrungen schöpft, wenn seine Figuren versuchen, sich auf fremdem Terrain zurechtzufinden.
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Fulminanter Hollywood-Einstieg
Dabei könnte der Einstieg ins Hollywood-System kaum besser laufen. Bereits der erste Film bietet Alan Arkin die Chance zu glänzen: In „Die Russen kommen! Die Russen kommen!“ (1966), Norman Jewisons satirischem Kommentar zum Kalten Krieg, besetzt der Regisseur den Leinwandneuling als Offizier eines sowjetischen U-Boots, das vor einer kleinen Insel an der US-Küste strandet. Arkin, der als Enkel russisch-jüdischer Einwanderer fließend Russisch spricht, spielt seine Figur Rozanow jenseits der damals gängigen Klischees als beflissenen Besucher, der die peinliche Situation durch die Panne einfach auf bestmögliche Weise lösen möchte. Die dunklen Augen unter den markanten Augenbrauen blitzen eher neugierig als misstrauisch, als Rozanow auf die einheimischen Amerikaner trifft, und auch wenn der Russe die Feinheiten des Englischen weniger gut beherrscht als gedacht, kommt es doch bald zu einer Verständigung mit den vernünftigsten Inselbewohnern, dem Ehepaar Whittaker (Carl Reiner, Eva Marie Saint).
Es ist ein Auftritt voller mimischer Kabinettstückchen, etwa wenn Arkins Rozanow ungeduldig seine Pistole unter den Arm klemmt, als sein Untergebener am Durchsuchen von Mrs. Whittakers Handtasche scheitert, und selbst zur Tat schreitet, oder wenn er seinem Kapitän am Ende des Insel-Abenteuers erleichtert mit der Faust gegen die Schulter boxt. Mit Menschen wie Rozanow auf der russischen Seite, das ist vielleicht die wichtigste Botschaft des Films an die damaligen USA, ist ein Dialog auf Augenhöhe möglich.
Wandelbarer Newcomer
In Hollywood ist Alan Arkin mit diesem furiosen Einstieg unmittelbar etabliert, er wird für den „Oscar“ nominiert und gewinnt den „Golden Globe“. Anders als viele Schauspieler hängt Arkin nicht am Theater, wo er zwar seine ersten Erfolge gefeiert hat, aber mit den endlosen Proben und Wiederholungen hadert. Dementsprechend sieht er den Wechsel zur Leinwand als Fortschritt und nutzt die Möglichkeiten nach seinem Debüt zum Experimentieren; dass die Studios nicht recht zu wissen scheinen, was sie mit ihrem potenziellen neuen Star anfangen sollen, kommt ihm sogar entgegen. So ist Alan Arkin 1967 ein faszinierender Leinwandschurke in „Warte, bis es dunkel ist“, in dem er in verschiedenen Verkleidungen der von Audrey Hepburn gespielten blinden Heldin zu Leibe rückt, um an eine mit Heroin gefüllte Puppe zu gelangen. Fern von der sympathischen Erscheinung seines Rozanow, quält Arkins Verbrecherfigur Roat die verschreckte Audrey Hepburn, bis diese sich zur Wehr setzt und Roat bezwingt – allerdings nicht, ohne dass der bereits für besiegt Gehaltene mit einem Hechtsprung noch einmal für einen Schockmoment sorgt.
Historisch eher eine Fußnote ist im Jahr darauf Arkins Version von „Inspektor Clouseau“ im gleichnamigen Film als Ersatz für Peter Sellers, doch das liegt vor allem am schlecht durchdachten Gesamtkonzept der Produktion; Arkins Talent für Slapstick blitzt auch in diesem Film durch. Trösten kann er sich zudem mit seiner zweiten „Oscar“-Nominierung im selben Jahr: In „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ nach dem Roman von Carson McCullers spielt Alan Arkin mit äußerster darstellerischer Präzision den Taubstummen John Singer, der vergeblich aus der sozialen Isolation durch sein Handicap auszubrechen versucht. Auch hier ist es wieder die wache Beobachtungsgabe, mit der Arkin für seine Figur einnimmt, sowie eine spezielle Großzügigkeit, die aber – abgesehen von einigen Momenten mit der Tochter seiner Vermieterin (Sondra Locke) – keine Würdigung erfährt. Singer scheitert an einer Welt, die mit Menschen wie ihm nichts anfangen kann.
Im Clinch mit dem Stand der Dinge
Das Ringen mit bestehenden Ordnungen zieht sich als Motiv durch die gesamte schauspielerische Laufbahn von Alan Arkin, wobei ihm seine Wandlungsfähigkeit erlaubt, nahtlos zwischen der Seite der Rebellion und der der Ordnungsstifter zu wechseln. Ein Chaos sondergleichen findet etwa in „Catch 22“ (1970) statt, der Filmversion der gefeierten literarischen Kriegssatire unter der Regie von Mike Nichols. Mit dem Bomberpiloten Yossarian, der mit wachsender Verzweiflung dem Irrsinn des Zweiten Weltkriegs zu entkommen versucht, indem er verrücktspielt, hat Alan Arkin einen vielversprechenden Part, der in der ausfransenden Struktur des Werks aber nicht recht zur Geltung kommt; zudem bremst der Kassenflop auch seine Erfolgsspur jäh aus. Der zeitweise durchaus denkbare Aufstieg zum Publikumsstar gelingt nicht, doch das hindert Alan Arkin nicht daran, die folgenden fünfzig Jahre seine Vielfalt in einigen weiteren Haupt- und vor allem in zahlreichen Nebenrollen immer wieder zu beweisen. Die Hysterie angesichts einer absurden und belastenden Welt greift er nach „Catch 22“ etwa in „Zwei in Teufels Küche“ (1979) mit köstlichem (und sich in diesem Fall an den Kinokassen auszahlendem) Ergebnis wieder auf, indem er als Normalo-Bürger in eine haarsträubende Agentenintrige hineingezogen wird.
Mit Peter Falk als exzentrischem CIA-Mann bildet er ein so ideales Paar, dass beide 1985 in John Cassavetes’ „Sterben… und leben lassen“ erneut zusammen spielen; leider ein eher schwaches Spätwerk des Regisseurs, der mit dem improvisierfreudigen Alan Arkin womöglich viel hätte anfangen können, wenn sie schon früher aufeinandergetroffen wären.
Perfekter Team-Player
Dafür profitieren andere Filme von den Improvisationen von Arkin mit seinen jeweiligen Partnern, etwa die stilbildende Buddy-Cop-Komödie „Der Superschnüffler“ (1974) mit James Caan oder die schwarze Komödie „Ein Mann – ein Mord“ (1997), in der Arkin als Psychiater einen labilen Auftragsmörder (John Cusack) vom Töten abzubringen versucht. Als ähnliche Stimme der Vernunft ist er bereits in der Krimiparodie „Kein Koks für Sherlock Holmes“ (1976) als Sigmund Freud aufgetreten, der den Detektiv (Nicol Williamson) nicht nur wegen dessen Drogenabhängigkeit behandelt, sondern obendrein die Moriarty-Obsession als kindliches Trauma entlarvt. Versuchen Alan Arkins Figuren in diesen Filmen, ihre Mitmenschen zu dominieren, sind sie in anderen Fällen ebenso glaubwürdig als Vertreter einer alten Zeit, die wie durch Zufall überlebt haben: So ist er in „Glengarry Glen Ross“ (1992) vermeintlich der Unscheinbarste und Schwächste in einer Gruppe von der Entlassung bedrohter Immobilienmakler (unter anderem gespielt von Jack Lemmon und Al Pacino), kommt aber gerade durch seine Unscheinbarkeit davon, während seine Konkurrenten sich gegenseitig ausmanövrieren. Im Science-Fiction-Drama „Gattaca“ (1997) ist er als Detektiv mit Trenchcoat und Schlapphut ein ähnlich leicht zu unterschätzender Fremdkörper in der auf kalte Perfektion getrimmten Zukunftswelt.
Mit seinen Stärken als Team-Player bleibt Alan Arkin ein gesuchter Schauspieler in Independent- wie Mainstream-Filmen, zudem führt er mehrmals selbst Regie (erstmals 1971 bei „Kleine Mörder“) und schreibt neben seinen Memoiren auch mehrere Kinderbücher. Die dunklen, lockigen Haare sind schon länger einer Glatze gewichen und die Energie der frühen Jahre etwas gedrosselt worden, als er mit 72 Jahren 2006 schließlich die Rolle findet, die ihm doch noch den „Oscar“ einbringt: In der liebenswerten Road-Movie-Komödie „Little Miss Sunshine“ reiht er sich als heroinnehmender Großvater in die skurrile Familie ein, die das siebenjährige Nesthäkchen Olive (Abigail Breslin) zum Kinder-Schönheitswettbewerb kutschieren will. Kratzbürstig und ohne Scheu vor beleidigender Direktheit, beweist der Opa gegenüber seiner Enkelin auch eine unerwartete Zärtlichkeit, was Alan Arkin noch einmal die Gelegenheit gibt, seine Bandbreite zu zeigen.
Der „Oscar“ hält ihn mit weiteren (groß)väterlichen Rollen im Geschäft, eine letzte Nominierung erhält er noch für „Argo“ (2012) als alter, mit allen Wassern gewaschener Hollywood-Produzent Lester Siegel. Dieser unterstützt die CIA bei der Befreiung von sechs US-Amerikanern aus dem Iran der Islamischen Revolution, indem diese als Teil eines Filmteams ausgegeben werden, setzt das Täuschungsmanöver mit viel Herzblut in Szene – und kann sein Bedauern darüber, dass das vorgetäuschte Filmprojekt nicht real ist, am Ende nur schwer zügeln. Ein Mann, der seine Arbeit inbrünstig liebt und nicht von ihr lassen kann, das fasst Lester Siegel ebenso zusammen wie den Schauspieler Alan Arkin. 2020 ist er in „Spenser Confidential“ ein letztes Mal in einem Film zu sehen, 2022 im Animationsfilm „Minions – Auf der Suche nach dem Mini-Boss“ noch einmal als Sprecher zu hören. Am 29. Juni 2023 starb Alan Arkin 89-jährig in Carlsbad in Kalifornien.