Neben Visconti, de Sica, Rossellini und Fellini war Antonio Pietrangeli (1919-1968) ein vergleichsweise weniger bekannter italienischer Regisseur der Nachkriegszeit. Während ihm das Kino Arsenal in Berlin derzeit eine Retrospektive widmet, ist sein Film „Adua und ihre Gefährtinnen“ (1960) in der arte-Mediathek zu sehen – und erlaubt, einen Filmemacher wiederzuentdecken, der in der Verbindung von Gesellschaftskritik mit satirischen Elementen einen ganz eigenen Zugang zum Kino fand. Das Werk um vier beschäftigungslose Prostituierte, die eine Trattoria eröffnen wollen, versteckt wie viele von Pietrangelis Frauenporträts eine scharfe Anklage hinter Leichtigkeit. Arte zeigt es im Rahmen der Filmreihe „Cinema Italiano“.
„Für manche von euch könnte es gar böse ausgehen“, orakelt die Puffmutter. Ein Arbeitstag geht zu Ende, alles ist wie immer, alles wird anders werden. 1958 verabschiedet die italienische Regierung das „Legge Merlin“, ein Gesetz, das der kontrollierten Prostitution ein Ende setzt und die Schließung der „case chiuse“, der staatlich lizensierten Bordelle, veranlasst. „Pech für die, die am nächsten Tag achtzehn werden“, meint Adua (Simone Signoret) in gewohnt schnodderiger Art. In den Puffs der Stadt herrscht Aufbruchstimmung, die letzten Kunden stolpern auf die Straße, Koffer werden gepackt, man tauscht Pläne für die Zukunft aus: eine freut sich schon auf den Milchladen, den sie bald aufmachen wird, weil man da den ganzen Tag sitzen kann, eine andere wirkt ein wenig verloren und wie aus dem Nest geworfen.
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Voller Tatendrang
Adua ist voller Tatendrang. Mit ihren Kolleginnen Milly (Gina Rovere), Lolita (Sandra Milo) und Marilina (Emmanuelle Riva) plant sie, eine Trattoria an der römischen Peripherie zu eröffnen, später sollen sexuelle Dienstleistungen im Obergeschoss hinzukommen.
Das Vorhaben erweist sich als schwieriger als gedacht. Dass das zukünftige Domizil eine ziemliche Bruchbude ist, die zukünftigen Betreiberinnen vermutlich nicht unbedingt die geborenen Köchinnen sind und Adua vergessen hat, Strom und Gas anzumelden, sind dabei noch die geringsten Probleme. Schwerer wiegt ihre berufliche Vergangenheit. Obwohl die vier Frauen genügend Kapital zusammengelegt haben, wird ihnen die Genehmigung für das Lokal verweigert. So bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als das Angebot eines schmierigen Geschäftsmanns anzunehmen, als offizieller Besitzer aufzutreten: für den Preis einer absurd hohen monatlichen Abgabe.
Neorealismus trifft Commedia all’italiana
„Adua und ihre Gefährtinnen“ kreist um ein Thema, das sich, angefangen von dem Debüt „Die Sonne in den Augen“ (1953), konsequent durch das Werk Antonio Pietrangelis hindurchzieht. Seine zahlreichen Frauenporträts – als Höhepunkt seines Schaffens gilt der Film „Ich habe sie gut gekannt“ (1965) – sind komplexe Untersuchungen über die Möglichkeiten und Limitierungen weiblicher Autonomie. Ökonomische Zwänge, Ausbeutungsmechanismen und ungleiche Geschlechterverhältnisse vermochte der italienischen Filmemacher, der als Kritiker und Drehbuchautor begonnen hatte (unter anderem bei Luchino Viscontis „Ossessione“ und „Die Erde bebt“), scharfsinnig in den Blick zu nehmen. In der Verbindung von Gesellschaftskritik, wie sie auch für den italienischen Neorealismus prägend war, mit den satirischen Elementen der Commedia all’italiana fand er dabei eine eigenständige Signatur.
Wie so viele Filme von Pietrangeli ist auch „Adua und ihre Gefährtinnen“ von einer tückischen Leichtigkeit. Die Anfangsschwierigkeiten in der Bewirtung der ersten Gäste sind unterhaltsam und komisch inszeniert, und dass sich ausgerechnet ein Mönch aus einem benachbarten Kloster zum Salatwaschen anbietet, ist natürlich eine schöne Pointe. In der Interaktion der Frauen findet der Film seine lebendigsten Szenen, Pietrangeli gibt aber auch der einzelnen Figur ihren Raum: Adua, die ihre Verletzlichkeit hinter ihrer zupackenden Art verbirgt, die flatterige Lolita, die Alkoholikerin Marilina, die mit ihrer Mutterrolle ringt, und die weiche Milly, die in einem der Gäste einen Mann findet, der sich auch mit ihrer Vorgeschichte eine Ehe vorstellen kann.
Als das Restaurant gut zu laufen beginnt, stellt sich die Frage, ob die vier Frauen überhaupt noch mal in ihren alten Beruf zurückkehren oder nicht lieber als Gastronominnen weitermachen wollen. Dabei bekommen sie die Grenzen ihrer eigenen Entscheidungsgewalt bitter zu spüren.
Etwas Verzweifeltes und Bitteres
Pietrangeli geht es jedoch nicht nur um die Anklage eines patriarchalen Systems, „Adua und ihre Gefährtinnen“ verhandelt eine Vielzahl an Themen: Altern, Mutterschaft, Gemeinschaftssinn, weibliche Solidarität und Freundschaft. Dass der Film nun zeitgleich mit einer umfassenden Retrospektive im Berliner Arsenal in der arte-Mediathek zu sehen ist, könnte dem eher schmalen, hierzulande wenig bekannten Werk von Antonio Pietrangeli (er verstarb 1968 bei einem Badeunfall) zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Von seinem „lächelnderen gefälligeren, manierierteren Neorealismus“, wie Alberto Moravia es in einer Filmkritik nannte, sollte man sich nicht täuschen lassen. Es kommt dahinter etwas Verzweifeltes, Bitteres zum Vorschein.