© William Klein

Filmklassiker: „Wer sind Sie, Polly Maggoo?“

Langfilmdebüt des US-amerikanischen Fotografen William Klein, der die Auswüchse der Mode- und Reklamewelt und eines leerlaufenden Fernsehbetriebes satirisch auf die Spitze treibt

Veröffentlicht am
15. März 2023
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Mit dieser Satire auf die Modebranche präsentierte der Fotograf und Maler William Klein 1966 ein fulminantes Langfilmdebüt: einen eklektischen Mix in kontrastreichem Schwarz-Weiß, der mit Elementen von Surrealismus, Kubismus und Ansätzen des Cinéma Verité spielt. Die Auswüchse der Mode- und Reklamewelt werden dabei satirisch auf die Spitze getrieben. Aktuell ist der Film im Rahmen einer kleinen William-Klein-Filmreihe in der arte-Mediathek zu entdecken.


Backstage verrichtet der Couturier letzte Handgriffe mit einer Blechschere. Seine Mitarbeiter ziehen am Gewand eilig noch ein paar Muttern fest. Das Model kann sich kaum bewegen; sein Körper steckt in einer Skulptur aus ineinander verschachtelten Blechschablonen mit messerscharfen Kanten. Draußen hat sich bereits eine Schar Moderedakteurinnen eingefunden; auf zwei Ebenen sitzt die schreibende Zunft eng zusammengepfercht, wie in einem Hühnerstall. „Natürlich nicht sehr bequem, aber sei’s drum“, raunt es zweideutig aus der ersten Reihe, als die Show begonnen hat.


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Doch dann betritt Miss Maxwell – eine Referenz an die berühmte Modejournalistin Diana Vreeland – den Raum: „Admirable! Magnifique!“, ruft sie entzückt, „Magnifique“ echot es im Chor. Die Modewelt ist mal wieder revolutioniert, der Designer Isidore Ducasse hat nichts weniger als die Frau neu erschaffen. Für den Moment gilt er nicht nur als „Erzengel der Roboter“, sondern wird auch als „der Newton des Knies, der Houdini der Hüfte, der Bártok des Busens, der Picasso des Beckens“ und als „Frank Lloyd Wright des weiblichen Körpers“ gepriesen. Sein nächstes ambitioniertes Vorhaben: das Ganze in Kupfer. Aber zurück zum Blech. Als eine der schillernden Stars des Defilees glänzt das Model Polly Maggoo.

Sixties-Schönheit Polly (© William Klein)
Sixties-Schönheit Polly (© William Klein)

Satire auf die Fashionwelt

In der fulminanten Anfangssequenz von „Wer sind Sie, Polly Maggoo?“ (1966) ist bereits alles da, was die Modewelt bis heute in ihren Extremen kennzeichnet: Extravaganz, Schauwerte, die Hysterie und die Gier nach Neuem, das Beschwören von Superlativen, das Spiel mit der Macht, die Objektifizierung des weiblichen Körpers. Der Fotograf und Maler William Klein, 1926 als Sohn ungarischer Eltern in New York geboren und als US-amerikanischer Soldat nach Paris gekommen, kannte das Business aus nächster Nähe. Noch bis kurz vor der Entstehung des Films arbeitete er als Modefotograf für die Pariser „Vogue“. Und wie seiner Figur Ducasse, der seinen Namen mit dem legendärem surrealistischen Schriftsteller Lautréamont teilt, wurde William Klein die Revolution seines Fachs nachgesagt.

Klein war einer der ersten Modefotografen, die ihre Models außerhalb eines Studios fotografierten. Auf seinen Fotos sind sie häufig an den Bildrand gedrängt zu sehen. Auch die Stellung von Händen und Füßen brach mit den Konventionen, die sich bis dato an Posen aus dem klassischen Ballett orientiert hatten. In seinem ersten Langfilm, dem später Arbeiten mit politischen Themen und Porträts über Muhammad Ali, Little Richard und Eldridge Cleaver folgten, parodiert William Klein die Modewelt in Form eines eklektischen Mixes.

Mode-Zirkus (© William Klein)
Mode-Zirkus (© William Klein)

„Wer sind Sie, Polly Maggoo?“, gedreht in kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bildern, verbindet Elemente von Surrealismus und Kubismus (als Maler hatte er bei dem Kubisten Fernand Léger gelernt) mit Ansätzen des Cinéma Verité. Aber auch Pop Art und die Nouvelle Vague, insbesondere das Kino von Jean-Luc Godard, haben sichtbar Spuren hinterlassen. Der Film ist eine verrückte Collage; die Schnitte sind wild und abrupt, die Bilder oftmals Wimmelbilder, alles ist gespiegelt, hyper, meta und „mock“.


Pollytisch korrekt

Polly Maggoo, verkörpert von Dorothy McGowan, einem der berühmtesten Gesichter der 1960er-Jahre, ist das Model der Stunde. Die junge Frau mit Sommersprossen und Hasenzähnen soll für die Sendung „Qui êtes Vous“ porträtiert werden. Der Fotograf Grégoire hat ein ambitioniertes Konzept: Er will ihr die „Maske“ herunterreißen und zeigen, dass sie nicht „existiert“. Abseits von Paris hat sich ein einsamer, weltentrückter und dazu extrem gelangweilter Prinz fanatisch in das Abbild von Polly Maggoo verliebt. Zwei tumbe Geheimagenten werden damit beauftragt, sie ausfindig zu machen; unter anderem schleichen sie sich in eine Schule für Mannequins ein oder geben sich in der Redaktion einer Modezeitschrift für Kaminkehrer aus.

Fantasien und innere Monologe wechseln mit dokumentarisch anmutenden Sequenzen, Aufnahmen von Fotoshootings mit spielfilmhaften Szenen. Klein verarbeitet dabei auch verbreitete kulturelle Stereotype über Frankreich und die USA; bei einem Abendessen wird Polly zur Stichwortgeberin von Kalauern wie „pollyglott“, „Pollytik“ und „pollytisch korrekt“.

Stil-Explosion (© William Klein)
Stil-Explosion (© William Klein)

Natürlich ist „Wer sind Sie, Polly Maggoo?“ auch ein Abbild der Ästhetik der 1960er-Jahre mit ihren futuristischen Designs, den androgynen Models mit breitem Lidstrich, falschen Wimpern und geometrischem Bob. Klein vergisst bei allem stilistischen Exzess jedoch nie den Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten der Zeit, wenn er im Modus der Street Photography immer wieder – und nicht weniger überzogen – die Stimmung auf den Straßen einfängt. Als einem Mann das Foto von Polly Maggoo unter die Nase gehalten wird, schnaubt dieser nur: „Ist mir doch scheißegal. Ich arbeite, Monsieur. Ich arbeite.“


Hinweis

Der Fernsehsender arte erinnerte aktuell an den am 10. September 2022 in Paris verstorbenen US-amerikanischen Fotografen und Filmemacher William Klein. In der Mediathek des Senders sind bis 31.8.2023 drei von Kleins frühen Filme zu sehen:

Wer sind Sie, Polly Maggoo?

Muhammad Ali, der Größte

Mai 68 im Quartier Latin


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