Der italienische Regisseur Damiano Damiani, der am 23.7.2022 100 Jahre alt geworden wäre, arbeitete sich in seinen Filmen immer wieder an der Mafia, ihren Verstrickungen mit der Politik und an Möglichkeiten des Widerstands gegen das organisierte Verbrechen ab. So auch in seinem Film „Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft“, in dem Ornella Muti nach realem Vorbild eine junge Frau verkörpert, die sich standhaft weigert, sich zu einer Ehe mit einem Mafioso nötigen zu lassen, der sie vergewaltigt hat.
Das eigentliche Ereignis dieses Films ist Ornella Muti, zur Drehzeit gerade einmal 15 Jahre alt. Wunderschön ist sie mit den kräftigen, langen Haaren, die – in der Mitte gescheitelt – schwer herunterfallen, den klaren grün-blauen Augen und der weichen, runden Figur, die ihr schon in jungen Jahren eine ungemein erotische Ausstrahlung verleiht. Eine geheimnisvolle Faszination geht von Ornella Muti aus, die zwischen Unschuld und Sinnlichkeit changiert. „Im Schatten junger Mädchenblüte“ ist man versucht, mit Marcel Proust zu sagen. Doch wo Proust die Schönheit und das Wesen seiner Heldin Albertine über Seiten hinweg wortreich beschreibt, reicht der Kamera ein Blick, und als Zuschauer bleibt einem nur hilfloses Staunen: „Die schönste Frau“ – ja, so ist es, das Versprechen des Filmtitels wird hier vorbehaltlos eingelöst. Was die 15-jährige Ornella Muti von der späteren Schauspielerin unterscheidet, die an der Seite Adriano Celentanos alberne Komödien drehte und unter der Regie von Marco Ferreri selbstbewusste, freie und emanzipierte Frauen verkörperte, sind ihre jugendlichen Pausbacken. Ein Hauch von Normalität, der das junge Mädchen erdet. Nur so kann sie am Schluss die Oberhand behalten.
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Eine Frau kämpft gegen einen Vergewaltiger und bricht mit Konventionen
„Die schönste Frau – Recht
und Leidenschaft“ (1970) ist ein Film von Damiano Damiani, jenem
italienischen Regisseur, der sich seit 1967, seit „Der Tag der Eule“,
mit der Mafia beschäftigte und dabei seine politischen Analysen mit den Mitteln
des kommerziellen Actionfilms à la Hollywood inszenierte. Trotzdem gelang es
ihm immer wieder, Macht- und Gewaltverhältnisse erkenntnisreich zu sezieren.
Damiani interessierte sich vor allem für die Verflechtung der Mafia mit der
politischen Macht, der Rechtsprechung und der Administration. Korruption,
Gewalt und Verschwiegenheit sind durchgehende Themen in seinen Filmen. Der
allgegenwärtigen Mafia steht der Einzelne nur mit Hilflosigkeit und Resignation
gegenüber. Seine erste Staffel der Fernsehserie „Allein gegen die Mafia“, 1984
im ZDF ausgestrahlt, trägt darum die Vergeblichkeit des Kampfes gegen das
organisierte Verbrechen schon im deutschen Titel.
Auch „Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft“ ist ein Mafiafilm. Doch etwas ist diesmal anders. Jemand wagt es, sich gegen die Mafiosi zu wehren, und dieser Jemand ist eine junge Frau. Reales Vorbild ist übrigens Franca Viola, eine junge Sizilianerin, die den Hass ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft auf sich zog, weil sie sich standhaft weigerte, einen Mafioso zu heiraten. Als sie entführt und vergewaltigt wurde, um sie so – was für eine perfide Moral – zur Heirat zu zwingen, zog sie vor Gericht. Erfolgreich. Diese Geschichte erzählt Damianis Film.
Es beginnt mit einer Scharade. Don Antonio, der Pate eines kleinen Ortes auf Sizilien, lässt sich und einige seiner Männer wegen des hohen Fahndungsdrucks verhaften, in der Hoffnung, dass aus Mangel an Beweisen die Haftstrafe nicht lange dauern wird. Seinen Platz soll der junge, ehrgeizige und attraktive Vito übernehmen. Vor der Verhaftung gibt der Pate ihm noch einen wichtigen Rat mit auf den Weg: Er müsse dringend eine Familie gründen, das sei das A und O. Heiraten solle er keine anspruchsvolle Frau aus reichem Hause, sondern ein junges, bescheidenes Mädchen aus der Arbeiterschicht. Da fällt Vito auf der Straße die 15-jährige Francesca alias Ornella Muti auf. Hartnäckig macht er ihr den Hof und verschreckt ihren Cousin, mit dem sie eigentlich verlobt ist, mit drohenden Worten. Vito macht mit seiner weltmännischen Attitüde und dem guten Aussehen Eindruck auf Francesca und ihre arme Familie, die nach einem Erdbeben in einer Notunterkunft lebt und von dem bisschen Landwirtschaft kaum leben kann. Von allen Mädchen im Ort hat er ausgerechnet Francesca ausgewählt – eine Liaison, die Ansehen und Wohlstand verspricht. Doch rasch beginnt Francesca unter der Kälte und Gleichgültigkeit ihres Verehrers zu leiden; ein skrupelloser Verbrecher ist er obendrein. Immer mehr zieht sie sich zurück, löst schließlich sogar die Verlobung. Vito weiß sich daraufhin nur mit einer Gewalttat zu helfen.
Integrität und Sturheit
Es geht also um nichts weniger als die Emanzipation einer Frau, die mit allen Mitteln versucht, innerhalb einer patriarchalischen Welt ihre Würde zu bewahren. Francesca lehnt es, nach anfänglicher Verliebtheit, ab, sich als Besitz, als schönes Anhängsel eines „wichtigen“ Mannes, als Objekt der Begierde vereinnahmen zu lassen. Doch weil sie damit den Interessen ihrer Familie und der Dorfbewohner zuwiderhandelt, ist sie plötzlich auf sich gestellt, Polizei und Justiz wollen oder können nicht helfen – ein beständiges Thema in den Filmen Damianis. Ornella Muti spielt diese Francesca darum in einer bewundernswerten Mischung aus Integrität und Sturheit, aus Standhaftigkeit und Furchtlosigkeit. Sie ist moralisch im Recht, und das verleiht Francesca eine ungeheure Kraft. Höhepunkt des Films ist die erzwungene Verlobungsfeier, die ebenso eine Scharade ist wie die Verhaftung zu Beginn. Die Gäste wurden gezwungen zu kommen, die Eltern der Braut blicken beschämt zu Boden, Braut und Bräutigam schauen sich nicht einmal mehr an. Hier geht es nur noch darum, den Schein aufrechtzuerhalten und vollendete Tatsachen zu schaffen – von Liebe kann schon lange keine Rede mehr sein.
„Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft“ ist ein selten gezeigter Film von Damiano Damiani. Sehr viel bekannter ist er für „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ (1971), „Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s!“ aus demselben Jahr, „Girolimoni, das Ungeheuer von Rom“ (1972) und „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ (1974). Damiani, am 23. Juli 1922 in Pasiano bei Udine geboren, starb am 7. März 2013 im Alter von 90 Jahren, am 23. Juli wäre er 100 geworden. Seine Filme aber sind noch immer aktuell.