„Alles ist an seinem richtigen Platz… Außer der Vergangenheit“ war der Slogan, unter dem Robert Redford 1980 sein Regiedebüt „Eine ganz normale Familie“ in die Kinos brachte. Die heile Kleinfamilie erweist sich in dem Drama als Trugbild, das nach dem Tod eines Sohnes nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Schmerz und unausgesprochene Gefühlskonflikte drohen den überlebenden Bruder und seine Eltern ebenso zu entzweien wie das Ehepaar untereinander. Seit dem 14. April ist der Film, der vier „Oscars“ gewann, erstmals in Deutschland auf Blu-ray erhältlich.
Gehören Spannungen, Krisen, Abgründe heute zur
Normalität einer Familie? Die Autorin Judith Guest in ihrer Romanvorlage und
Regisseur Robert Redford stellen das in „Eine ganz normale
Familie“ zwar ohne tragische Befrachtung im angenehm-unverbindlichen Stil einer
Familiengeschichte dar, aber sie verweigern das Happy End. Dieser Schluss lässt
auch erkennen, dass es nicht so sehr um die Nervenkrisen des Sohnes Conrad (Timothy Hutton) geht – wenn
diesen auch der weitaus größere Raum in der Story eingeräumt ist –, sondern um
das Versagen der Mutter Beth (Mary Tyler Moore).
Die Jarretts sind eine Familie des gehobenen Mittelstandes; der Vater Steueranwalt, die Mutter Gesellschaftsdame, perfekte Hausfrau, der Sohn – Conrad, denn der ältere kam bei einem Segelbootunfall ums Leben – nach einem Selbstmordversuch und Aufenthalt in einer Nervenklinik sehr bemüht, sich wieder einzugliedern. Aber er hat seinen Schock noch nicht überwunden. Und nur langsam gelingt es dem Psychotherapeuten Dr. Berger (Judd Hirsch), den Schuldkomplex bloßzulegen, an dem Conrad leidet, weil er seinen Bruder nicht retten konnte.
Das könnte Sie auch interessieren
Trotz dieser Vordergrundhandlung mit ihren langen psychotherapeutischen Sitzungen – die aber nie zu langatmig werden – handelt es sich nicht um einen psychoanalytischen Film. Im Eigentlichen geht es um Conrads Beziehung zu seinen Eltern und die des Ehepaares zueinander. Der Vater Calvin (Donald Sutherland) ist hilflos und unglücklich, dass er keine Brücke zu seinem Sohn findet. Die Mutter ist kühl und distanziert, sie interessiert sich nicht für die Nervenkrisen des Sohnes, sie tut, als sei nichts vorgefallen. Und es enthüllt sich immer deutlicher, dass sie sich verweigert, dass sie – aus Egoismus oder Unfähigkeit? – in ihrer anscheinend heilen Welt nicht gestört werden will. Kommt diese Maske der kühlen Selbstbeherrschung vielleicht aus dem eigenen, nicht bewältigten Schmerz? Nichts deutet darauf hin – vielmehr verlässt Beth wortlos Haus, Mann und Sohn, als endlich eine echte Forderung nach Anteilnahme und Hilfe an sie gestellt wird. Wenn auch Vater und Sohn danach zueinanderfinden – ein Happy End ist das nicht.
Der Schauspieler Robert Redford hat mit diesem Regieerstling eine beachtliche Talentprobe abgelegt. Er hat keinen psychologisierenden, analysierenden Film gemacht, sondern einen beschreibenden der behutsamen, leisen Zwischentöne. Für seinen Stil charakteristisch sind gleich die ersten Einstellungen: da gleitet die Kamera über eine in traumhaft schönen Herbstfarben leuchtende Landschaft mit einem still liegenden See – eben jenem, in dem der ältere Sohn ertrank, wie man erst später erfährt. Die Wahrheit hinter dem schönen Schein der heilen Welt.
Was es zu bestehen gilt
Redford inszenierte aber auch keine Tragödie. Was sich hinter der gepflegten Fassade verbirgt, ist eben das, was das Leben ausmacht und was es zu bestehen gilt. Er führt die Schauspieler und vor allem den jungen Timothy Hutton zu einer eindrucksvollen Leistung. Optisch mag das alles um eine Spur zu glatt wirken – aber das scheint nicht nur bewusst gewählter, sondern auch adäquater Stil zu sein. Ein Film der gepflegten Unterhaltung, der für Zuschauer, die nachzudenken bereit sind, auch leichten thematischen Tiefgang bietet.
Diskografischer Hinweis
"Eine ganz normale Familie". Regie: Robert Redford. USA 1979, 124 Min. Mit Donald Sutherland, Mary Tyler Moore, Judd Hirsch, Timothy Hutton. Anbieter: als Blu-Ray bei Paramount.
Die Kritik von Erika Haala erschien ursprünglich in der FILMDIENST-Ausgabe 6/1981.