Im Juni 1980 startete „Blues Brothers“ in den USA. John Belushi und Dan Aykroyd, der Blues und die wahnwitzige Action eröffneten die 1980er-Jahre mit einem Feuerwerk, das zum Kultfilm wurde. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums läuft der Film gerade wieder in den deutschen Kinos. Der richtige Moment für eine Hommage und einen genaueren Blick darauf, was den Film so kultig macht.
Als „The Blues Brothers“ am
20. Juni 1980 in die US-Kinos kam, standen die Zeichen für einen Erfolg an den
Kinokassen nicht so gut. Der Film sollte in deutlich weniger Lichtspielhäusern
gezeigt werden als geplant. Schlecht für das produzierende Studio Universal,
das mit dem Film einen Hit landen musste – denn Regisseur John Landis
und sein Team hatten die veranschlagten Produktionskosten mit fast 30 Millionen
Dollar deutlich überschritten. Aber warum war kein flächendeckender Start in
Aussicht? Der Grund hierfür hatte mit dem Rassismus in den USA zu tun: Obwohl „The
Blues Brothers“ mit seinen weißen Protagonisten nicht direkt ein spezifischer Zielgruppenfilm
fürs afroamerikanische Publikum war, nahmen ihn anscheinend einige Zeitgenossen
wegen der Rolle, die der Blues darin spielt, als „schwarzen“ Film wahr. Der
einflussreiche Kinobetreiber Ted Mann soll bei einem Treffen mit dem
Universal-Boss Lew Wasserman und John Landis gesagt haben: „Mr. Landis, wir
werden Ihren Film in keinem unserer hiesigen Kinos spielen. Wir haben ein Haus
in Compton. Dort wird er gezeigt werden, aber natürlich nicht in Westwood. Denn
ich will keine Schwarzen in Westwood haben.“
Eine diskriminierende, leider durchaus übliche Ausschluss-Mechanik, die
kürzlich erst die Miniserie „Hollywood“ in fiktionalisierter Form
thematisierte: Da lehnen vor allem die Kinos im US-amerikanischen Süden ab, eine
geplante Produktion namens „Meg“ in ihren Kinos zu zeigen, weil sich der von
einem Afroamerikaner geschriebene und mit einer Afroamerikanerin in der
Hauptrolle aufwartende Film an ein afroamerikanisches Publikum richtet.
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„Blues Brothers“ wurde aber trotzdem ein Erfolg. Innerhalb weniger Wochen spielte der Film fast 50 Millionen Dollar ein. Am Ende sprang mit etwas mehr als 57 Millionen Dollar Platz zehn der erfolgreichsten Filme des Jahres 1980 heraus. Außerhalb der USA war der Umsatz sogar noch etwas höher. Was „The Blues Brothers“ aber nachhaltig auszeichnen sollte, war weniger sein Erfolg an der Kinokasse. Es war vielmehr der Beitrag zur Populärkultur, den er leistete und der ihm den Status eines Kultfilms zuteilwerden ließ. Wie es dazu kam, ist so einfach nicht zu sagen. „Kultfilm“ ist eine schwierige Kategorie. Es kommen wohl mehrere Faktoren zusammen: der Anarchismus des Films, die spezifische Komik von Dan Aykroyd und John Belushi, die Actionsequenzen und natürlich die Musik. Es könnte also am Genremix und an dessen spezifischer Ausgestaltung liegen. Hinzu kommt, was Ted Mann als Problem sah: die Adressierung afroamerikanischer Kultur. Da spielt also auf spezifische Weise Gegenkultur eine Rolle und wie diese zum Mainstream wird, wie es einige Jahre früher schon bei „The Rocky Horror Picture Show“ (1975) schon bezüglich Sex und Gender der Fall war. „The Blues Brothers“ brachte R&B zurück in die Hitlisten, auf denen sich eher Disco tummelte. Darauf soll hier noch genauer eingegangen werden. Zunächst jedoch ein Blick auf die Entstehung des Films.
Vom Fernsehen zum Film
1978 gründete sich die Band „The Blues Brothers“ im Rahmen von Saturday Night Live (SNL), der legendären TV-Show, die seit 1975 bis heute läuft und vielen Komikern als Sprungbrett zu einer großen Karriere diente. Neben Dan Aykroyd und John Belushi waren es vor allem Chevy Chase, Bill Murray, Eddie Murphy, Billy Crystal und Martin Short, die mit ihrem Humor die Komödien der 1980er-Jahre prägten. Gilda Radner sollte auf jeden Fall auch genannt werden; 1978 wurde sie für ihre Rollen in „Saturday Night Life“ mit einem „Emmy“ ausgezeichnet und starb 1989 mit 42 Jahren viel zu früh an Krebs. Steve Martin war 1978 Host der Sendung, als die „Blues Brothers“-Band in SNL ihren ersten Auftritt hatte. Er bot ihnen an, als Vorgruppe in seiner Show im Universal Amphitheatre aufzutreten. Das war die große Chance. Das Konzert war ein Erfolg, wurde live mitgeschnitten, und so erschien im November 1978 mit „Briefcase Full of Blues“ das erste Album der Band bei Atlantic Records. John Belushi war zu dem Zeitpunkt durch seine Hauptrolle in „Animal House“ („Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd“, 1978) auch bereits zum Filmstar avanciert. Dessen Regisseur John Landis sollte auch die Regie im „Blues Brothers“-Film übernehmen.
John Landis, der am 3. August 70 Jahre alt wird, war zu dem Zeitpunkt schon als Komödien-Spezialist etabliert. Mit „The Kentucky Fried Movie“, einem Film, der sich aus zwanzig parodistischen und satirischen Sketchen zusammensetzt, hatte er 1977 auf sich aufmerksam gemacht. Landis wurde zu einem der wichtigsten Komödien-Regisseure der 1980er-Jahre, unter anderem mit dem Klassiker „Drei Amigos“ (1986) mit Chevy Chase, Steve Martin und Martin Short. Seine Arbeit für den „Blues Brothers“-Film begann mit der Überarbeitung des über 300 Seiten umfassenden Skripts von Dan Aykroyd, der noch nie zuvor ein Drehbuch geschrieben hatte. Im Juli 1979 starteten die Dreharbeiten. Sie werden als chaotisch kolportiert. Eine der größten Herausforderungen waren die Actionsequenzen.
Genrekult 1: Roadmovie und Actionfilm
Die Verfolgungsjagden in „Blues Brothers“
sind in die Filmgeschichte eingegangen. Die 1970er-Jahre waren ohnehin die
große Zeit dieser Standardsituation, die bereits Siegfried Kracauer Jahrzehnte
zuvor als essentiell für das Medium Film erkannt hatte. Stilprägend für die
1970er war William Friedkins „The French Connection“ ("Brennpunkt Brooklyn", USA 1971), indem
die Hauptfigur Jimmy „Popeye“ Doyle (Gene Hackman) im Auto einen
Killer in einer Hochbahn durch Brooklyn verfolgt. Auch im Road Movie war die
Verfolgungsjagd ein wichtiges Element. Steven Spielberg hatte bereits seinen
ersten Spielfilm „Duell“ als Verfolgung angelegt, in „Sugarland Express“ (1974) ließ er sein Outlaw-Paar dann von einem gigantischen
Polizei-Aufgebot verfolgen. Auch Kowalski in „Vanishing Point“
("Fluchtpunkt San Francisco", 1971) von Richard C. Sarafian zieht bei seinem Trip durch den Südwesten der
USA zunehmend das Interesse der Gesetzeshüter auf sich.
„The Blues Brothers“ treibt diese Dramaturgie postmodern auf die Spitze. Postmodern deshalb, weil die Helden keinen existentialistischen Kern mehr haben, der für das Road Movie von wesentlicher Bedeutung war. Sie sind „im Auftrag des Herrn“ unterwegs, und das auch noch mit einem von der Polizei ausgemusterten 1974er Dodge Monaco, ihrem Bluesmobile. Eben die Polizei ist mit wachsender Wut hinter ihnen her. Zuerst werden sie angehalten, weil sie eine rote Ampel überfahren haben. Elwood tritt aufs Gaspedal, und so kommt es zur ersten Verfolgungsjagd, die in einer puren Zerstörungsorgie kulminiert: Elwood rast durch eine Einkaufspassage (die extra für die Dreharbeiten komplett ausstaffiert wurde), macht sie regelrecht dem Erdboden gleich – was sich durchaus als völlige Respektlosigkeit vor amerikanischer Konsumkultur lesen lässt. Die nächste Verfolgungsjagd ist das Finale des Films, wenn Elwood und Jake ihre Mission erfüllen wollen, die 5000 Dollar Steuerschulden des Waisenhauses zu begleichen und dabei von einem grotesk anwachsenden Polizeiaufgebot verfolgt werden. Nie verlieren sie dabei ihre Contenance. Im Aufzug zur Finanzkasse blickt Elwood auf seine Uhr und nickt Jake zu: Sie liegen gut in der Zeit. Dabei sind die Verfolger inzwischen um Scharfschützen und Militäreinheiten mit schwerem Geschütz angewachsen. Sie sind die Staatsfeinde Nr. 1, doch das juckt sie in keiner Weise.
Genrekult 2: Komödie
Diese Chuzpe, jeder noch so großen Katastrophe, jedem noch so großen Problem mit dem Ausdruck größter Ignoranz und Gelassenheit zu begegnen, macht die anarchische Komik von Dan Aykroyd und John Belushi aus. Ein Deadpan-Schauspielstil, der nicht neu, aber in seiner Lässigkeit zweifellos singulär war und noch lange nachwirkte. Ausgebildet als Stand-up-Comedians hatten sie zwei Kunstfiguren geschaffen, deren Wirkung sie auf der TV-Bühne erproben und in das Medium des Films transponieren konnten. Die Dramaturgie von „The Blues Brothers“ als Aneinanderreihung von Standardsituationen und Nummern kam dem entgegen. Und so entstanden die für Kultfilme so wichtigen Dialogfetzen, die auch als Stand-Up-Nummer funktioniert hätten: Elwood: „There's 106 miles to Chicago, we’ve got a full tank of gas, half a pack of cigarettes, it’s dark out, and we’re wearing sunglasses.“ - Jake: „Hit it!“
Es handelte sich natürlich um eine betont männliche Coolness und Komik, die sich auch in dem Handlungsstrang mit dem von Carrie Fisher gespielten Racheengel zeigt, der Joliet Jake in jeder nur erdenklichen Form ins Jenseits befördern will. Am Ende gelingt es diesem indes mit einem treuherzigen Blick aus seinen verlogenen Augen, sie erneut an der Nase herumzuführen. Mit dem Blues im Blut kommen die Männer offenbar mit allem durch.
Genrekult 3: Die Musik
Musikalisch greift „The Blues Brothers“ auf Blues-Klassiker und auf etwas neuere Blues- und Soul-Stücke zurück, die in unterschiedlichen Szenen dargeboten werden, woraus der besondere Mix aus Musikerfilm, Musical und Konzertfilm entsteht. Zu Beginn des Abschlusskonzerts, als alle auf Elwood und Jake warten, die sich noch ihren Verfolgern entziehen müssen, singt Cab Calloway „Minnie the Moocher“, einen Song, den er 1931 aufgenommen hatte und der als sein größter Hit gilt. In einem Instrumentenladen singt Ray Charles „Shake your Tailfeather“, eine Coverversion des 1963 von der Soul-Gruppe „The Five Du-Tones“ aus Chicago zum ersten Mal aufgenommenen „Shake a Tail Feather“. „Gimme Some Lovin’“, der erste Song, den die Band in Bob’s Country Bunker singen, ist 1966 von der britischen Spencer Davis Group aufgenommen worden (zu der Steve Winwood zählte). John Lee Hooker performt seinen Hit „Boom Boom“ von 1961. „Think“ wurde 1968 für das dreizehnte Album von Aretha Franklin produziert.
Die Szene mit John Lee Hooker zeigt die Vielfalt des Einsatzes von Musik im Film: Elwood und Jake wollen Matt „Guitar“ Murphy für die Band gewinnen, und auf dem Weg zum Soul Food Restaurant, das Murphy mit seiner Frau führt, setzt „Boom Boom“ ein. Es ist ein Straßenkonzert, und die Kamera filmt das in einem dokumentarischen, fast beiläufigen Stil, als würde die Szenerie spontan erschlossen. Die Montage erzeugt dann ein Stimmungsbild schwarzer Kultur: mal sehen wir Hooker, dann ein Mädchen, das fröhlich zu der Musik tanzt, dann wieder Beobachtungen anderer Menschen und dazwischen Aufnahmen verschiedener Details der Straßenszene. Elwood und Jake stehen vor dem Restaurant und lassen den Song durchlaufen, ohne dass dazu erzählerisch Notwendigkeit bestünde.
Die Musik wird auch in die Handlung integriert und reflektiert die Entwicklung des Blues. Deutlich wird dies vor allem in der Sequenz, in der Elwood und Jake in die Kirche kommen und Jake seine Erleuchtung hat. James Brown als Right Reverend Cleophus James singt „The Old Landmark“, einen Gospel-Song geschrieben von dem afroamerikanischen Baptisten und Komponisten W. Herbert Brewster und 1949 zum ersten Mal aufgenommen. James Brown, der im Gospelchor eines Jugendgefängnisses mit dem Singen begann, hatte in den 1950er-Jahren Gospel und R&B zusammengebracht und damit, ähnlich wie Ray Charles 1959 mit „What’d I Say“ Gospel und R&B vermischt, was als Tabubruch galt. Wenn James Brown also „The Old Landmark“ in seinem typischen „Mr. Dynamite“-Stil singt und währenddessen der Saal regelrecht ausflippt, wenn aus allen Anwesenden ekstatische Tänzerinnen und Tänzer werden, Jake seine Erleuchtung hat und per Flickflack rückwärts die Kirche vom hinteren Ende des Kirchenschiffs zum Altar durchquert, dann ist genau dieser Zusammenhang von christlicher Gospelmusik und weltlichem Rhythm & Blues zum Ausdruck gebracht. Eine geschickt verpackte Musik-Geschichtsstunde.
Bedauerlicherweise wird – mit Ausnahme von Aretha Franklin – in erster Linie die männlich geprägte afroamerikanische Musik eingesetzt. Dabei waren Frauen wichtig für die Entwicklung des Blues, Musikerinnen, die 1979 hätten dabei sein können. Etta James wäre da zu nennen oder auch Estelle Axton, die Mitgründerin von Stax Records, ein Label, das ab den 1960er-Jahren den Memphis-Soul geprägt hat und ebenso wichtig war wie Motown Records in Detroit. In den 1970er-Jahren waren es Sängerinnen und Gruppen wie Sister Edge oder Evelyn King, die R&B, Soul und Überschneidungen mit Disco prägten. Allein, nur Aretha Franklin (sowie Chaka Khan kurz in der Kirchensequenz) wirkte mit, mit der wunderbaren „Think“-Nummer, die so schwierig zu schneiden war, weil Playback für die passionierte Live-Sängerin eine gänzlich neue Erfahrung darstellte.
Generationenerfahrung
Kultfilme erlangen ihren Status in vieler Hinsicht auch dadurch, dass sie eine Generationenerfahrung transportieren. Dazu gehört auch, dass der Film fortlebt. Zu Jubiläen wird „The Blues Brothers“ immer wieder gezeigt, bevorzugt auch mit passender Kostümierung des Publikums und dessen aktiver Beteiligung. Vor zehn Jahren wurde dem Film eine sehr ungewöhnliche Auszeichnung zuteil, als der Vatikan ihn zum „katholischen Film“ kürte. Nun ja, Kultfilme unterliegen auch dem Wandel der Zeit.
Dem unterliegt auch die 1998 in die Kinos gekommene Fortsetzung „Blues Brothers 2000“, der auch für eine neue Generation gemacht worden sein mag. Über Sinn und Zweck von Sequels lässt sich ja immer streiten. Das gilt auch hier, doch bereits der Anfang des Films, wenn Elwood nach 18 Jahren aus dem Gefängnis kommt und draußen darauf wartet, abgeholt zu werden, so wie er 1980 seinen Bruder Joliet Jake vom Gefängnis abholte, schafft eine berührende Verbindung von Fiktion und Realität: Jake kommt nicht, weil sein Darsteller John Belushi am 5. März 1982 mit nur 33 Jahren an einer Überdosis verstorben war.
Mit der Realität hat der Film aber sonst wenig am Hut. Verabschiedete sich das Original für den komischen Effekt bereits von Naturgesetzen, wenn etwa der von Henry Gibson gespielte Nazi-Anführer mit seinem Adjutanten im Auto durch die Stadtluft fliegt, als seien sie aus einem Flugzeug gefallen, so geht „Blues Brothers 2000“ deutlich weiter und bewegt sich sogar ins Fantasy-Genre. Das betrifft vor allem das originelle Ende des Films. Die Band (zu Elwood gesellt sich Buster Blues, ein Junge aus dem Waisenhaus, sowie der von John Goodman gespielte Mack) muss diesmal zu einem „Battle of the Bands“ in den tiefsten Süden der USA, wo sie auf Queen Mousette treffen, eine 130-jährige Voodoopriesterin (gespielt von der Singer-Songwriterin Erykah Badu), die in einem typischen Südstaaten-Palast im typischen Sumpf-Wald residiert. Sie kann zaubern und ist die unumstößliche Herrscherin. Auch die Blues Brothers unterliegen ihrer Macht. Die nutzt sie letztlich, um die Musikstile und Kulturen miteinander zu versöhnen. Gewalttätige Störenfriede werden in Ratten verwandelt. Zauberhaft. So was bräuchte es heute mehr denn je. Was würde Queen Mousette wohl mit Donald Trump machen?