Wenn erwachsene Männer auf der Leinwand jede Hemmung verlieren und sich wilde Massenschlägereien liefern, kann das läuternde und sehr unterhaltsame Folgen haben – zumindest, wenn man Hollywood-Filme als Maßstab nimmt. Dort sind Prügeleien weniger eine Frage von Gewalt als der kunstvollen Choreografie mit surrealen Ideen. Michael Ranze schlägt sich auf die Seite der ausgefeilten Leinwand-Faustkämpfe.
Es gibt Dinge im Leben, die man tunlichst vermeiden sollte. Prügeleien gehören dazu. Gebrochene Nasen, verrenkte Kiefer, blaue Augen, eine Ohnmacht vielleicht oder sogar ein Krankenhausaufenthalt, nicht zu vergessen der Ärger mit Polizei und Justiz. Auch als tatenloser Augenzeuge einer Schlägerei hat man selten Spaß. Zu unverständlich sind die Wut und Aggressivität, mit der die Kombattanten aufeinander eindreschen, zu groß das Entsetzen über Brutalität und Hinterlist.
Zur Prügelei gehören auch immer einige Unwägbarkeiten, die zur Vorsicht oder besser Streitvermeidung gemahnen: Wie erprobt ist der Gegner im Nahkampf? Das Leben belehrt uns häufig eines Besseren. Und Hollywood auch: Mit Matt Damon alias Jason Bourne möchte man in „Das Bourne Ultimatum“ nicht die kleinste Toilette teilen, weil er das Handwerk des Tötens einfach zu gut beherrscht. Auch wenn das Herrenklo etwas weitläufiger ist, möchte man dort nicht neben Daniel Craig alias James Bond stehen, weil auch er die wenigen Gegenstände, die man hier vorfindet, als Waffe missbrauchen kann. Manchmal sind sich die Gegner auch ebenbürtig, so wie aktuell in „Der Leuchtturm“. Robert Pattinson und Willem Dafoe kabbeln sich bis zum Umfallen und lecken anschließend ihre Wunden. Kurzum: Prügeleien haben Folgen. Sie tun weh und machen krank. Und als Brillenträger ist man eh ein wenig gehemmt, haudraufmäßig: Diese Retro-Ray-Ban war einfach zu teuer, um sie mutwillig aufs Spiel zu setzen.
Das Bild gefüllt mit Action: Der „Saloon Brawl“
Umso überraschender ist es, dass Hollywood trotz aller Bedenken, die man bezüglich Faustkämpfen haben darf, sie in vielen Filmen, zumeist Western, als läuternde Klimax zeigte, nach der es den Leuten wieder besser ging, als sogenannter „Saloon Brawl“, aber auch als Freiluftveranstaltung. Dabei geht es nicht nur um den Kampf Mann gegen Mann; nein, eine Massenschlägerei muss es sein. Je mehr Teilnehmer, desto besser. Das Bild ist gefüllt mit Action, mit kinetischer Energie und Bewegung, mit Aktion und Reaktion, mit Slapstick und surrealen Ideen. Kurzum: Die Schlägerei ist eine unterhaltsame, auch komische Attraktion.
Regisseure haben dabei einiges zu tun, um den Überblick zu behalten. Choreografie und Koordination müssen stimmen, damit die Action echt wirkt. Nachbearbeitungen beim Ton sorgen für den nötigen Wumms. Eines der schönsten Beispiele für diese Form der Auseinandersetzung ist „Donovan’s Reef – Die Hafenkneipe von Tahiti“ von John Ford. Kein Western, sondern ein Nachkriegsabenteuer in Französisch-Polynesien.
John Wayne, Lee Marvin und Jack Warden spielen drei Navy-Kumpel, die in der titelgebenden Spelunke ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben. Es fängt klein an, ein Schubser unter Freunden, dann die alles entscheidende Frage: „Looking for trouble?“, und schon geht es los. Eine Schlägerei braucht keinen Grund, sie ist sich selbst genug. Ein Klavier bricht zusammen, ein kaputter Einarmiger Bandit bimmelt bei jedem Zusammenstoß, ungleiche Gegner (weil zu klein oder zu schwach) werden kurzerhand aus dem geschlossenen Fenster geworfen oder huckepack hinter die Theke verfrachtet, damit sie nicht im Weg stehen. Immer mehr weißuniformierte Navy-Soldaten entern die Kneipe und mischen mit, während Jack Warden versucht, in Ruhe ein Bier zu trinken. Am Schluss fragen entgeisterte MPs: „Who started it?“, und dann wirft der Einarmige Bandit in hohem Bogen endlich wieder Geld aus. Die Sinnfreiheit dieser Prügelei trägt wesentlich zu ihrer Komik bei.
Die Bedeutung des Scherzfaktors
Noch lustiger geht es in „Land der tausend Abenteuer“ von Henry Hathaway zu. John Wayne und Stewart Granger sind ein wenig pikiert, dass sich andere im Saloon über sie lustig machen. Ein Wort gibt das andere, und dann fliegen die Fäuste. Das Prozedere gestaltet sich hier ein wenig fantastischer, weil dem Barmann bei jedem Treffer unter lautem Pfeifen der Hut hochgeht oder John Wayne beim Niederschlag die Vögel zwitschern hört.
Rollende und offene Whisky-Fässer sind willkommene Hindernisse und Spielbälle. „Who’s going to pay for this?“, will der Barmann am Schluss wissen. Die kaputte Einrichtung wird, quasi als Kollateralschaden, nicht weiter beachtet – was im wahren Leben doch erhebliche Auseinandersetzungen mit der Versicherung nach sich ziehen würde. So eine Prügelei verbindet und schweißt zusammen. Man hat endlich Luft abgelassen und ist bereit für Wichtigeres. Das Schöne an diesen Schlägereien ist ihr Scherzfaktor. Die Aggression ist nicht ernst gemeint und hat keine Folgen. Am Schluss verträgt man sich und geht gemeinschaftlich einen trinken.
Etwas gesitteter, weil nach Regeln geführt, läuft es in John Fords „Der Sieger“ ab. John Wayne und Victor McLaglen prügeln sich am Schluss des Films durch eine zehnminütige Szene, die sogar Zeit für Erholungspausen lässt. Das ganze Dorf umringt die Boxer und verfolgt sie in einer riesigen Traube, sodass man manchmal gar nichts sieht. Das Interesse ist so groß, dass sogar die beiden Pfarrer begeistert zuschauen (obwohl ihr Beruf das Einschreiten geböte), ein alter Mann, dargestellt von Fords Bruder Francis, weigert sich zu sterben und steht vom Totenbett auf, um den Kampf zu verfolgen. Der Boxkampf wird in diesem Film sozial wertgeschätzt und ist ein Ereignis, bei dem niemand fehlen darf. Die Brücke zu den Fernseh-Boxkämpfen der 1970er-Jahre, Ali vs. Foreman zum Beispiel, ist geschlagen.
John Wayne schlug sich noch einmal durch einen anderen Film, in „MacLintock“, unter der Regie von Andrew V. McLaglen, quasi eine Hommage an John Fords „Der Sieger“, allerdings mit einer reichlichen Portion Schlamm. Wenn sich am Schluss John Wayne und Maureen O’Hara völlig entstellt in den Armen liegen, sehen sie wie chinesische Tonfiguren aus. Ein irritierendes Bild.
Variationen als Musical und Parodie
Und dann ist da noch die wundervolle „barn raising scene“ aus „Eine Braut für sieben Brüder“ von Stanley Donen. Eigentlich hatten sich die ungehobelten Pontipee-Brüder beim Aufbau einer Scheune vorgenommen, zu den anderen Dorfbewohnern überaus nett zu sein, um ihre Ehefrauen in spe nicht zu verärgern. Doch eine Provokation jagt die nächste, und dann platzt den Brüdern der Kragen. Ein Musical, weshalb diese Prügelei durchaus etwas Elegant-Tänzerisches hat. Hier fällt jeder weich, aufgefangen durch geschickte Körperbeherrschung oder Gegenstände, die sich rechtzeitig in die Fallbahn schieben. Am Schluss kippen die mühsam aufgestellten Wände wieder um, doch alle lachen: Howard Keel und seine Brüder sind sich treu geblieben.
Last but not least: die verrückte Prügelszene in Mel Brooks’ Westernparodie „Is’ was, Sheriff?“.„Not in the face!“, fleht der Regisseur eines Musicals ängstlich, als sein Studio-Set von den Cowboys des Brooks-Westerns gestürmt wird. Berühmte letzte Worte, bevor der Irrsinn seinen Lauf nimmt.
Übrigens prügeln sich auch Frauen miteinander, am schönsten vielleicht der Kampf zwischen Marlene Dietrich und Una Merkel in „Der große Bluff“. Doch das ist eine andere Geschichte.
Foto (oben): aus "Eine Braut für sieben Brüder", © Warner; anderer Fotos: © Gloria, Kinowelt, Warner, Universal