Eine 17-jährige Kolumbianerin versucht, ihren deprimierenden Lebensbedingungen auf dem Lande zu entkommen, indem sie für ein Drogenkartell Rauschgift nach New York schmuggelt. Ein Erstlingsfilm, der nach dem Vorbild der neorealistischen Schule Beobachter und Zeuge eines persönlichen Schicksals sein will. Dank seiner immens ausdrucksfähigen Hauptdarstellerin und der selbstsicheren, auf dramatische Effekte verzichtenden Inszenierung erreicht der Film sein Ziel der Humanisierung einer hochpolitischen Situation. (Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 14.
Maria voll der Gnade
Drama | Kolumbien/USA 2003 | 101 Minuten
Regie: Joshua Marston
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Filmdaten
- Originaltitel
- MARIA, LLENA ERES DE GRACIA | MARIA FULL OF GRACE
- Produktionsland
- Kolumbien/USA
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Alter-Ciné/Tucan Prod./HBO Films/Journeyman Pic./Santa Fe Prod.
- Regie
- Joshua Marston
- Buch
- Joshua Marston
- Kamera
- Jim Denault
- Musik
- Leonardo Heiblum · Jacobo Lieberman
- Schnitt
- Anne McCabe · Lee Percy
- Darsteller
- Catalina Sandino Moreno (Maria) · Yenny Paola Vega (Blanca) · Virginia Ariza (Juana) · Johanna Andrea Mora (Diana) · Wilson Guerrero (Juan)
- Länge
- 101 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Joshua Marston ist ein 35-jähriger amerikanischer Filmemacher, der einst politische Wissenschaften studierte und als seine Vorbilder unter anderem Hector Babenco, Ken Loach und die brasilianischen Neorealisten nennt. Ist es schon schwer genug, in den USA Geld für einen Erstlingsfilm zu bekommen, so grenzt es geradezu an ein Wunder, dass Marston die Finanzierung für einen Film in spanischer Sprache auftreiben konnte, dessen Handlung zum überwiegenden Teil in Kolumbien spielt. Wie so häufig in jüngster Zeit war es der Kabelfernsehsender HBO, der in die Bresche sprang und nicht nur das Drehbuch, sondern auch den Neuling Joshua Marston als Regisseur akzeptierte.
Die von Marston erzählte Story ist weit entfernt von der artifiziellen und politisch aufgemotzten Drogengeschichte, die Steven Soderbergh vor einigen Jahren als Gegenstand seines Films „Traffic – Macht des Kartells“ (fd 34 766) wählte und die rasch das Vorzeigestück Hollywoods zu diesem Thema wurde. In „Maria voll der Gnade“ bleibt das Drogenkartell, bleiben die mächtigen Drug-Lords und die verhängnisvolle Anti-Drogenpolitik der Vereinigten Staaten außen vor. Was Marston interessiert, sind die einfachen Leute auf der Straße – sowohl in kleinen kolumbianischen Dörfern als auch im spanischsprachigen Distrikt Jackson Heights in New York; die „Humanisierung einer politischen Situation“ hat er es genannt. Ökonomische und soziale Motive für den Entschluss zahlreicher kolumbianischer Mädchen, sich als willfähriges Transportobjekt für den Drogenschmuggel anwerben zu lassen, stehen durchaus erkennbar im Hintergrund, dienen aber nicht als einziger Beweggrund der Geschichte. Trotz all seines Realismus ist „Maria voll der Gnade“ weder ein Dokumentarfilm noch ein politischer Thesenfilm. Es ist eine ganz persönliche, aus der Sicht der 17-jährigen Hauptfigur gefilmte Geschichte, die allenfalls dadurch didaktische Züge annimmt, dass sich der Zuschauer vollkommen mit ihr identifiziert.
Marias Heimatort existiert quasi von einem einzigen Arbeitgeber, einer Rosenplantage: Beispiel eines Industrieunternehmens in der Dritten Welt, das seinen Arbeitnehmern keine Wahl lässt, aber ein Minimum für den Lebensunterhalt garantiert. Während sich ihre Kolleginnen nach der Decke strecken, muckt Maria gegen die würdelosen Arbeitsbedingungen und die autoritären Zwänge des Betriebs auf. Gegen den Willen ihrer Familie beschließt sie, in der Hauptstadt Bogota nach einem anderen Job Ausschau zu halten. Schon auf dem Weg in die Stadt wird ihr nahe gelegt, sich – wie viele andere Mädchen auch – als „drug mule“ zu verdingen. Die Arbeit sei mit vielen Reisen verbunden, wird ihr die Tätigkeit schmackhaft gemacht, für jeden Flug nach New York gebe es 5.000 Dollar: genug Geld, um sich in Kolumbien ein einfaches Haus zu kaufen. Der Drogenring erwartet dafür, dass sie 62 daumengroße Päckchen mit Rauschgift schluckt und in ihrem Magen über die Grenze befördert. Über die Gefahren wird Maria auch dann noch nicht aufgeklärt, als sie einwilligt. Sie ist schwanger von einem jungen Mann aus dem Dorf, den sie nicht liebt, und hat keinerlei Ahnung, ob das Schmuggel-Unternehmen, auf das sie sich einlässt, dem Fötus schaden könnte. Sie weiß auch nichts Genaues über die tödlichen Folgen, die eintreten, falls eines der Päckchen in ihrem Magen undicht werden sollte. Das alles beginnt sie erst zu verstehen, als sie schon an Bord des Flugzeuges ist. Dort erfährt sie auch, dass stets mehrere Mädchen gleichzeitig auf die Reise geschickt werden, weil dann die Chancen größer sind, einen Teil der Ware über die Grenze zu bringen. Die Leibesvisitationen und die Befragung durch die amerikanische Zollkontrolle übersteht Maria unbeschadet, weil man bemerkt, dass sie schwanger ist, und sie deshalb nicht durchleuchten will. Doch der Tod einer ihrer Mitreisenden versetzt sie in solche Panik, dass sie aus dem Quartier der Mittelsleute, die sie in Empfang genommen haben, entflieht und mit einer Freundin, die sich mehr als Hindernis denn als Hilfe erweist, in dem fremden Land zurecht zu finden versucht.
800 Kandidatinnen hat Joshua Marston für die Hauptrolle getestet, bevor die Entscheidung für Catalina Sandino Moreno fiel, eine 23-Jährige mit wenig Schauspielerfahrung, aber einem Gesicht, auf dem Marston jede innere Regung hervorzaubern kann wie ein Maler mit Pinsel und Palette. Moreno ist auch insofern die ideale Besetzung, als sie gleich von den ersten Einstellungen an nicht wie eine talentierte Schauspielerin wirkt, sondern wie ein Mädchen aus dem Umfeld, in dem der Film entstanden ist. Sie ist es, die den Zuschauer an die Hand nimmt und ihn zum Teilnehmer einer Geschichte werden lässt, deren einziges Anliegen die Glaubhaftmachung eines individuellen Schicksals ist. Nur insofern ist Marias Story repräsentativ für die miserable soziale Situation in Kolumbien und für die menschenverachtenden Praktiken der Drogenkartelle, als sich Maria gegen ihre eigene Situation auflehnt und selbst die Konsequenzen erleiden muss. Im gleichen Maß, in dem die Fantasie des Zuschauers Hintergründe ergänzen und mit einbringen kann, reduziert Marston die Ereignisse immer wieder auf die Reaktionen seiner jungen Heldin und deren festen Willen, auch noch unter den widrigsten Umständen nach einem besseren Leben für sich und für das Kind, das sie erwartet, zu suchen.
Marston hat eine Menge gelernt von Vorbildern wie Ken Loach und Mike Leigh. Zum Beispiel, seine Darsteller viel improvisieren zu lassen und weite Teile der Handlung mit der Handkamera aufzunehmen. Beides verleiht der im Voraus bis ins Detail ausgearbeiteten Story jene Spontaneität, die Marias Schicksal erst so überzeugend und mitvollziehbar macht. Auch dass er den Mut aufbringt, entscheidende Fragen über die Zukunft seiner Charaktere unbeantwortet und moralische Werturteile außen vor zu lassen, demonstriert eine Selbstsicherheit, die bei Erstlingsfilmen selten anzutreffen ist. „Maria voll der Gnade“ entwickelt sich wie eine Geschichte, die genau in dem Augenblick, wo sie sich auf der Leinwand abspielt, in der Realität stattfinden könnte – aufgenommen von dem wachsamen Auge eines Regisseurs, der sich nicht einmischen möchte, der nur Beobachter und Zeuge sein will. Damit steht Joshua Marston der Tradition der großen Neorealisten näher als viele andere Filmemacher, die meinen, eine politische Agenda vor sich her tragen zu müssen.
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