Dokumentarfilm | Deutschland/Chile 2023 | 75 Minuten

Regie: Tana Gilbert

Der aus heimlich aufgenommenen Handyvideos montierte Dokumentarfilm erzählt von den Schicksalen inhaftierter Frauen in einem chilenischen Frauengefängnis, deren Kinder fern von ihnen aufwachsen. Mutterschaft und Trennungen, Schmerz und Hoffnung fügen sich zu einer intensiven Erfahrung. Dabei spielen die Taten, durch die die Frauen ins Gefängnis gelangt sind, keine Rolle, vielmehr geht es um Solidarität der Frauen untereinander, um Trost und Zuneigung, aber auch um die Last, als Frau und Mutter im Unterschied zu Männern härter und in gewisser Weise doppelt bestraft zu werden. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MALQUERIDAS
Produktionsland
Deutschland/Chile
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Errante Prod./Dirk Manthey Film
Regie
Tana Gilbert
Buch
Paola Castillo Villagrán · Tana Gilbert · Karina Sánchez · Javiera Velozo
Musik
Carlo Sánchez · Janis Grossmann-Alhambra
Schnitt
Javiera Velonzo · Tana Gilbert
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Künstlerischer Dokumentarfilm über Frauen, die in chilenischen Gefängnissen lange Haftstrafen verbüßen und von ihren Kindern getrennt sind.

Aktualisiert am
11.03.2025 - 11:03:44
Diskussion

Keines der Bilder aus „Malqueridas“ hätte je das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollen. Denn was hinter den Mauern eines Frauengefängnisses in Chile passiert, spielt sich am äußersten Rand der Gesellschaft ab. Und dort soll es auch bleiben und in gewisser Weise als Mahnung fungieren. Denn es sind keine Menschen, die dort leben, sondern Verbrecherinnen. Handys sind dort genau aus diesem Grund verboten. Der Menschlichkeit soll keine Bühne geboten werden. Dennoch schaffen es die Frauen immer wieder, Mobiltelefone in ihre Zellen zu schmuggeln und ihren Alltag zu dokumentieren.

Dem Zugriff der Behörden entzogen

Die Regisseurin Tana Gilbert hat eine Reihe solcher verwackelter Aufnahmen gesammelt und den Lebensgeschichten der Frauen gelauscht. Aus diesen Zeugnissen hat sie einen künstlerischen Dokumentarfilm geformt und damit das Schicksal der Frauen dem beschlagnahmenden Zugriff der Behörden entzogen.

Eine Erzählerin führt durch den Film, der auf der Bildebene vollständig aus kurzen Clips und Fotos montiert ist. Sie berichtet von ihren Kindern. Ihr Sohn kam im Gefängnis zur Welt; bis zum Alter von zwei Jahren dürfen Kinder in Chile bei ihren inhaftierten Müttern bleiben. Danach müssen die Kinder die Strafanstalt verlassen. Wenn sich keine Familie um sie kümmert, sind sie auf Heime und Pflegefamilien angewiesen.

In diesen mütterlichen Trennungsschmerz stürzt sich „Malqueridas“. Denn die Bestrafung ist dadurch unendlich mehr als die bloße Tatsache, wegen einer Straftat eingesperrt zu sein. Die Gefangenen sind vielmehr schuldig, Frauen und Mütter zu sein. Sie haben gegen die gesellschaftlichen Erwartungen verstoßen. Gleichzeitig sind sie Geschöpfe einer patriarchalen Gesellschaft, von der sie verstoßen wurden. Die Männer leisten sich „Fehltritte“, während die Frauen ihre Schuld mit ihrem Geschlecht bezahlen.

Alles ist Zwangslage, Not, Schwere

Wie sich die Insassinnen mit diesem Martyrium arrangieren, schwesterlichen Zusammenhalt und Liebe finden, erzählt „Malqueridas durch die exemplarische Lebensgeschichte einer Namenlosen. Mehrere Jahre muss sie im Gefängnis absitzen. Ihre ältere Tochter lebt bei ihrer Schwester. Auch den Sohn musste sie abgeben. Die Schwester aber kann auf Dauer mit der Verantwortung nicht umgehen. Alles ist Zwangslage, Not und Schwere. Doch die inhaftierten Frauen lassen sich nicht unterkriegen. Sie filmen zärtliche Momente der Zweisamkeit und Fürsorge. Es mag auch Konflikte geben. Doch letztlich arrangieren sie sich, feiern Feste und geben sich Halt. Bis der Tod einen Strick in der Zelle bindet. Das eigene Leben zu beenden scheint nicht selten der einzige Ausweg zu sein.

„Malqueridas“ ist aber mehr als die bloße Wiedergabe einer Schicksalsgeschichte, erzählt mit den Aufnahmen von Handyvideos. Erst am Ende offenbart sich der dramaturgische Kniff dieses Films. Die Erzählerin ist keine einzelne Stimme; sie existiert vielmehr als eine Art Komposition, als Verdichtung mehrerer Leben. Dieses Vorgehen ähnelt den Verfremdungstechniken in den Dokumentarfilmen von Miri Ian Gossing und Lina Sieckmann, in denen beinahe geisterhafte Sprachteppiche aus Interviews zu Poesie werden. Eine gewisse Nähe besteht auch zum Schaffen von Philip Scheffner, insbesondere zu „Havarie“, in dem ein kurzer YouTube-Clip auf Filmlänge gestreckt und damit zu einer der Zeit enthobenen Begegnung aus leisesten Bewegungen wird.

Es geht um Erfahrung

Tana Gilbert fügt ebenfalls Bruchstücke zusammen und verdichtet biografische Momente zu einem Narrativ. Sie verlangsamt, streckt und springt zwischen Augenblicken hin und her. Jedes Handyvideo ist nur ein kurzer Ausschnitt neben vielen anderen. Würde man es dabei belassen, bliebe nichts weiter übrig als ein Rauschen, ein kaum vernehmbarer Schnipsel im Strom der Sozialen Medien. Doch „Malqueridas“ nutzt die Technik der Fiktion, um eine ganz und gar reale, existentielle Atmosphäre in den Blick zu bekommen. Der Film ist das Porträt dieses Raumes außerhalb der Gesellschaft, der von Frauen bevölkert wird, die keine Stimme haben. Der Film lässt die Individuen zu einem Subjekt verschmelzen und verwandelt ihre Erlebnisse durch die Einheit der Narration zu einer wimmelnden Vielheit. Durch seine Künstlichkeit erzählt er mehr über die Rolle der Frauen in Chile, als es klassische Dokumentarfilme oftmals vermögen.

Man könnte sich daran stören, dass die strukturellen Bedingungen dieser Welt zu wenig zur Sprache kommen oder dass man die Erzählerin nicht greifen kann. Doch darum geht es „Malqueridas“ auch nicht. Man soll diese Randzone der Weiblichkeit nicht begreifen, sondern erfahren. Man soll sich nicht identifizieren, sondern der Konfrontation mit dem Anderen standhalten. Es geht um Nachvollzug, nicht um Verstehen.

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