Die Schule der Frauen

Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 113 Minuten

Regie: Marie-Lou Sellem

Fünf Frauen mittleren Alters, die in den 1980er-Jahren an der Folkwang Universität der Künste in Essen Schauspiel studierten, treffen sich nach fast vier Jahrzehnten wieder. Zwei von ihnen sind noch in ihrem Beruf aktiv, zwei sind Regisseurin/Intendantin geworden, die fünfte orientierte sich direkt nach dem Studium anders. Im Gespräch miteinander blicken sie auf das Vergangene zurück, wobei eine Mischung aus Stolz und Trauer vorherrscht, insbesondere mit Blick auf ihren damaligen Wunsch, neue Frauenbilder mitzukreieren. Während der atmosphärisch angenehme Film im Dialog mit aktuellen Schauspiel-Studierenden durchaus einen Wandel wahrnimmt, greift er formal selbst auf Bilder der herrschenden Geschlechterordnung zurück. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Missing Link Films
Regie
Marie-Lou Sellem
Buch
Marie-Lou Sellem
Kamera
Jens Harant
Musik
Michael Sideris
Schnitt
Sonja Baeger
Länge
113 Minuten
Kinostart
05.09.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Fünf ehemalige Schauspiel-Schülerinnen, die sich nach Jahrzehnten wiedertreffen, räsonieren über ihre Studienzeit und fragen sich, ob sie ihre Ideale verwirklichen konnten.

Diskussion

Fünf Frauen mittleren Alters, die in den 1980er-Jahren an der Folkwang Universität der Künste in Essen Schauspiel studiert hatten, kehren an ihren Ausbildungsort zurück. Jahrzehntelang haben sie sich nicht mehr gesehen, doch wenn sie durch das Uni-Gelände schlendern, sind die Erinnerungen an Kantinenessen, Dramen in Proberäumen und vieles mehr nicht nur sofort wieder da; es sind auch, zumindest zu weiten Teilen, geteilte Erinnerungen. Im Jahrgang damals waren Frauen in der Minderheit, ein Drittel zu zwei Dritteln; „das ist auch richtig so“, wurde ihnen gesagt, „später im Beruf wird es genauso sein“. Als junge Frau in einem männlich dominierten Feld reüssieren zu versuchen, schweißt zusammen; ob man will oder nicht.

Von Anfang an ist der Dokumentarfilm von Marie-Lou Sellem, der sich dem Wiedersehen der Frauen und ihren Erinnerungen widmet, eine Ambivalenz eingeschrieben. Einerseits ist „Die Schule der Frauen“ von einer tiefen Herzlichkeit durchdrungen, von einem freundschaftlich zugewandten Umgang der Protagonistinnen miteinander und auch mit dem Filmteam. Es herrscht eine Klassentreffen-Atmosphäre der angenehmsten Art, ohne untergründige Eifersüchteleien und Angebertum. Andererseits wäre es noch schöner, wenn es für diesen Effekt nicht der Kategorie „Geschlecht“ bedürfte. Wenn also die Zweck- und Solidargemeinschaft, die einst den Studentinnenalltag erleichterte und die sich beim Wiedersehen sofort wieder neu zu gründen scheint, nicht auch eine aus Diskriminierung geborene Zwangsgemeinschaft wäre.

Persönliche Erfahrungen hinter dem Erfolg

Bis zur physischen Wiederbegegnung in Essen dauert es im Film eine Weile. Zunächst begegnet man allen Protagonistinnen einzeln und tauchen dabei in durchaus unterschiedliche Lebenswelten ein. Zwei der Frauen, Katharina Linder und Karoline Eichhorn, sind dem Schauspiel treu geblieben; Eichhorn ist zu einem veritablen Film- und Fernsehstar avanciert. Zwei weitere, Jacqueline Kornmüller und Kerstin Weiß, reüssieren nicht mehr auf, sondern hinter der Bühne, als – sehr erfolgreiche – Regisseurinnen und Intendantinnen; die fünfte schließlich, Cornelia Felden, hat dem Berufsfeld gleich nach dem Studium den Rücken zugewandt.

Rein statistisch betrachtet ist das vermutlich kein schlechter Schnitt; in den Absolvent:innen-Riegen vieler Filmhochschulen dürften sich deutlich weniger Erfolgsgeschichten finden. Aber „Die Schule der Frauen“ interessiert sich nicht primär für tatsächliche oder verhinderte Erfolgsgeschichten als vielmehr für die persönlichen Erfahrungen, die hinter ihnen stehen.

Diese persönliche Erfahrung unterscheidet selten klar zwischen Scheitern oder Erfolg, sondern kumuliert vielmehr Grautöne. Auch hier wird schnell deutlich, dass alle fünf mit einer Mischung aus Stolz und Trauer auf ihren bisherigen Lebensweg zurückblicken. Sellem lässt alle fünf ausführlich zu Wort kommen, während sie sie in ihrem Arbeitsalltag begleitet. Kindheitserinnerungen an eine noch strikt patriarchal geprägte Bundesrepublik, in der die jungen Frauen ihre Entscheidung für ein Schauspielstudium auch gegen ihre Eltern verteidigen mussten, werden dabei ebenso artikuliert wie Frust über die nach wie vor sexistische Besetzungspolitik auf deutschen Bühnen oder die Allgegenwart sexueller Überschreitungen. Tatschfreudige Regisseure und körperlich übergriffige männliche Kollegen gehörten lange zum Arbeitsalltag von Schauspielerinnen. Die Frage, ob das immer noch so ist und in welchem Ausmaß, streift der Film zwar, allerdings ohne auf sie eine Antwort zu geben.

Es ist doch nicht alles gleich geblieben

Das ist nicht viel anders als in vielen anderen Berufen. Für Schauspielerinnen stellt sich gleichwohl ein spezielles Problem: Die Erfahrungen hinter der Bühne spiegeln sich in ihrer Arbeit auf der Bühne. Immer wieder weisen die fünf Frauen darauf hin, dass sie ihr Studium mit dem Ziel begonnen hatten, andere Frauenbilder in die Gesellschaft hineinzutragen. Gelungen ist ihnen dies nur allzu selten, resümieren sie mit kaum verhaltener Trauer. Die patriarchalen Strukturen sind zäh. Sie verschwinden nicht einfach, wenn ein paar alte weiße Männer das Rentenalter erreichen und nicht durch ihresgleichen ersetzt werden.

Dass aber doch nicht alles gleich geblieben ist seit den 1980er-Jahren, zeigt sich, wenn die fünf Frauen auf eine Gruppe junger Student:innen treffen, die davon berichten, was es heißt, im Jahr 2024 die Schauspielerei zu erlernen. Die jüngere Generation redet mit Vorliebe über Inklusion – und meint damit nicht nur Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch die Kämpfe gegen Ableismus, Transfeindlichkeit und so weiter. Altersdiskriminierung ist auch ein wichtiges Thema, fällt einer Studentin ein, womit die Lebensläufe der fünf Protagonistinnen in die identitätspolitischen Kategorien der Gegenwart integriert wären.

„Die Schule der Frauen“ hat insgesamt aber anderes im Sinn. Im Zentrum dieses klugen, nachdenklichen, auf Introspektion anstatt Polemik setzenden Films stehen nicht die Jungen, sondern die Mittelalten – also jene, die sich mitten im Fluss befinden, die nicht nach vorne blicken können, ohne das Zurückliegende mitzudenken und umgekehrt. Sowie Fragen, die an Grundsätzlichem rühren: Ist dem Schauspielberuf nicht vielleicht prinzipiell ein Moment der Fremdbestimmtheit eingeschrieben, das nicht nur in der Verfügungsgewalt (männlicher) Regisseure wurzelt, sondern bereits in der Differenz von Schauspielerin und Rolle?

Die Forderung nach neuen Bildern

Ist es überhaupt möglich, die Bilder der herrschenden Geschlechterordnung nicht zu reproduzieren, wenn man sich an der Wirklichkeit orientiert? Auch in „Die Schule der Frauen“ sieht man die erfolgreiche Karrierefrau Kerstin Weiß allein vor dem Laptop sitzen, während Cornelia Felden, die sich im entscheidenden Moment gegen die Bühne und für ein traditionelles Familienleben entschieden hatte und inzwischen in einer Kita arbeitet, mit Kindern einen Tanz aufführt. Mit der Forderung nach neuen Bildern allein, so nachvollziehbar sie auch sein mag, das zeigt „Die Schule der Frauen“ eindrücklich, ist noch nicht viel gewonnen.

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