American Fiction
Drama | USA 2023 | 117 Minuten
Regie: Cord Jefferson
Filmdaten
- Originaltitel
- AMERICAN FICTION
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- MRC/T-Street/Almost Infinite/3 Arts Ent.
- Regie
- Cord Jefferson
- Buch
- Cord Jefferson
- Kamera
- Cristina Dunlap
- Musik
- Laura Karpman
- Schnitt
- Hilda Rasula
- Darsteller
- Jeffrey Wright (Thelonious "Monk" Ellison) · Tracee Ellis Ross (Lisa Ellison) · John Ortiz (Arthur) · Sterling K. Brown (Clifford Ellison) · Erika Alexander (Coraline)
- Länge
- 117 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama | Komödie | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Satirische Komödie über einen afroamerikanischen Schriftsteller, der mit der stereotypen Darstellung der schwarzen Community hadert, aber mit einem karikierenden Gegenschlag das Gegenteil von dem erzielt, was er wollte.
Wie so viele US-Romanautoren unterrichtet auch Thelonious „Monk“ Ellison (Jeffrey Wright) Literatur an einem College. Auf dem Whiteboard steht der Titel von Flannery O’Connors Kurzgeschichte aus dem Jahr 1955: „The Artificial Nigger“. Fragend blickt der afroamerikanische Dozent in die Runde. Er möchte über den Text diskutieren. Eine Studentin hebt die Hand. Allerdings beabsichtigt sie nicht, sich auf den Text einzulassen. Vielmehr stört sie sich am N-Wort, das dort ausgeschrieben steht und von dem sie sich angegriffen fühle. Sie wolle nicht den ganzen Tag auf dieses Wort starren müssen.
Monk erklärt in ruhigen, bedachten Worten, dass es sich nun mal um einen Kurs über die Südstaaten-Literatur handeln würde. In dessen Verlauf kommt man nicht umhin, sich mit der vulgären, verletzenden Sprache auseinandersetzen und sie im Kontext einordnen. Darauf aber will sich die junge Frau nicht einlassen. Sie beharrt mit großer Überzeugung auf ihrem Standpunkt. Dem Schriftsteller entfährt ein tiefes Grummeln, und schon sieht man die Studentin den Raum verlassen.
Wenig später muss sich Ellison gegenüber seinem Vorgesetzten für sein Verhalten rechtfertigen. Da er sich offensichtlich nicht an die Sprachregelungen und die politische Korrektheit halten will, muss er eine Auszeit nehmen. Und so kommt es, dass Monk nach einer Teilnahme an einem Literaturfestival in Boston bleibt, um Zeit mit seiner Schwester Lisa (Tracee Ellis Ross) und der Mutter Agnes (Leslie Uggams) zu verbringen. Das aber reißt alte Wunden wieder auf. Denn Monk hat sich von seiner Familie distanziert und gilt als der verschlossene Außenseiter.
Mr. Leigh und seine „Pafology“
Eben jene Position nimmt er auch im Literaturbetrieb ein. Der Vorfall an der Universität ist dabei der große Konflikt, den er mit sich herumträgt: Wer darf darüber bestimmen, welche Geschichten und Bilder über schwarze Menschen erzählt werden? Monks Weigerung, sich auf ein Opfer reduzieren zu lassen, geht mit der Frustration darüber einher, dass sich seine eigenen Bücher, wenngleich von der Kritik geschätzt, nicht verkaufen wollen. Der Markt will von schwarzen Autoren vor allem „Black Literature“, das heißt Romane, die sich mit der leidvollen Existenz, mit Rassismus und Getto auseinandersetzen.
Als die Autorin Sintara Golden (Issa Rae) mit eben einem solchen Roman einen gefeierten Bestseller feiert, reicht es dem anspruchsvollen Monk. All diese Klischees, diese angeblichen Wahrheiten verzerren die Lebensrealität der Black Community. Nicht, dass es all die Probleme von Armut, Gewalt und Drogen nicht gäbe. Schwarze aber seien auch mehr als das und dürften sich nicht von den weißen Mitbürgern einspannen lassen, um als Entlastung für deren schlechtes Gewissen zu dienen.
In kürzester Zeit schreibt er unter dem Pseudonym Stagg R. Leigh– eine Anspielung auf einen populären US-amerikanischen Folksong über einen schwarzen Zuhälter, der einen Mord begeht, den plakativen und überzogenen Roman „My Pafology“, mit der er diesem kulturellen Irrsinn einen Spiegel vorzuhalten gedenkt: Merkt ihr denn nicht, wie sehr ihr euch am Elend der Afroamerikaner ergötzt?
Die karikierende Stoßrichtung wird allerdings nicht verstanden. Der Roman geht als der nächste große Sozialrealismus-Porno durch die Decke. Plötzlich muss Monk in die Rolle seines Pseudonyms schlüpfen und Stagg, da er sein Gesicht nicht zeigen darf, als verurteilten Straftäter inszenieren, der vor der Polizei untergetaucht ist. Was dann folgt, ist eine Reihe schizophrener Verdrehungen, die den eitlen Schriftsteller zunehmend aus dem Konzept bringen. Schließlich wird er als Mitglied der Jury für den „New England Book Association’s Literary Award“ berufen – aus Gründen von mehr Diversität. Zähneknirschend stimmt er zu und muss sich plötzlich gegen das von ihm selbst geschriebene Buch zur Wehr setzen.
Mit Vehemenz & Einfallsreichtum
Regisseur Cord Jefferson gelingt das Kunststück einer eleganten Komödie, durch deren Oberfläche immer wieder eine bösartige Satire bricht. Auf der Basis des Romans „Erasure“ von Percival Everett verhandelt er eine der großen Fragen der Gegenwart: Wann erstarrt progressiver Aktivismus, das Einfordern von Wandel und der Ruf nach Diversität und Repräsentation selbst zur Ware, die mittels Abziehbilder und Klischees rassistische Perspektiven perpetuiert? Produzieren die Skandal- und Elendsgeschichten am Ende nicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die eben das in Szene setzt, gegen das sie zu protestieren vorgibt? Die identitätspolitischen Volten im politisch-kulturellen Diskurs werden in „American Fiction“ mit Vehemenz, Witz und Einfallsreichtum zerlegt.
Wenn Monk sich an seinen Schreibtisch setzt, tauchen die von ihm imaginierten Figuren vor ihm auf und reagieren auf seine mitunter harten Entscheidungen mit Unverständnis. Derartige Spielereien mit dem imaginären Raum durchziehen den Film, ohne dass „American Fiction“ davon überformt würde. Bisweilen fühlt sich der Film wie das Kino von Alexander Payne an, webt aber deutlich mehr satirische Elemente mit ein, die in ihrer Schärfe durchaus schneidend sind.
Wenn der Weg verstellt ist
Der Bedeutungshorizont des Titels wird dabei in all seinen Facetten ernst genommen. Zum einen arbeitet sich Jefferson am neoliberalen Zynismus der Buchbranche ab, die noch jeden Mist zur Geste der Diversität umzudeuten versteht. Andererseits geht es ganz existenziell um die Fiktionen, die das Land über seine Minderheiten anhäuft und als Realismus verkauft. Wer wird auf welche Weise und von wem repräsentiert? Es ist eine Ästhetik des Mitleids, die sich in vielen Bereichen der Kultur durchgesetzt hat. Einem so verstandenen Ruf nach Diversität wohnt ein verheerender Rückschritt inne. Weder ändern sich die sozialen Verhältnisse, noch kommen die komplexen und in der Tat vielfältigen Lebensentwürfe und Identitäten der sogenannten Minderheiten zum Vorschein. Diese sollten aber doch selbstverständlicher Teil des Alltags sein und nicht nur dann anerkannt werden, wenn sie sich als Klischees selbst zum Thema machen.
Monk hat sich in seinem Versuch, einen Weg aus diesem Dilemma zu erschreiben, sein eigenes Labyrinth geschaffen. So leicht findet man aus dieser Nummer nicht mehr heraus, wenn man innerhalb des Literaturbetriebs arbeiten will. Ob es ihm dennoch gelingt, einen Ausweg zu finden, bleibt auf angenehme Art und Weise offen. Wenn der Weg in die Realität verstellt ist, hilft vielleicht nur noch mehr Fiktion, bis alles unter dem Gewicht der Klischees zusammenbricht.