Hollywoodgate

Dokumentarfilm | USA/Deutschland 2023 | 95 Minuten

Regie: Ibrahim Nash'at

Unmittelbar nach dem Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus Afghanistan begleitet der Filmemacher Ibrahim Nash’at eine Gruppe Taliban, die einen ehemaligen US-Stützpunkt in Kabul einnimmt. Mit der Kamera filmt er ein Jahr lang einen jungen Kämpfer sowie den Chef der neuen Luftwaffe und hält dabei in vielen Momentaufnahmen fest, wie die islamistische Miliz das Land in einen fundamentalistischen Militärstaat verwandelt. An den Rändern blitzt auch der Terror gegen die Bevölkerung oder die Arroganz einer patriarchalen Macht auf, die auf Menschenrechte pfeift und sich in einer frauenverachtenden Selbstgefälligkeit suhlt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HOLLYWOODGATE
Produktionsland
USA/Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Cottage M/RaeFilm Studios
Regie
Ibrahim Nash'at
Buch
Shane Boris · Talal Derki · Ibrahim Nash'at
Kamera
Ibrahim Nash'at
Musik
Volker Bertelmann
Schnitt
Atanas Georgiev · Marion Tuor
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; nf
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Dokumentarische Beobachtungen über das erste Jahr der Taliban-Herrschaft in Afghanistan, die einen unmittelbaren Einblick in die Genese einer Militärdiktatur gewähren.

Veröffentlicht am
21.03.2025 - 12:11:26
Diskussion

Wenige Tage, nachdem die Taliban Ende August 2021 die Herrschaft in Afghanistan errungen und die letzten US-Soldaten Kabul verlassen hatten, reiste der Journalist Ibrahim Nash’at nach Afghanistan. Der gebürtige Ägypter hatte sich in den Jahren davor eingehend mit den politischen Führern der Welt beschäftigt. Nun möchte er beobachten, wie sich die Taliban von einer Milizgruppe in eine islamistische Regierung transformieren, die fundamentalistischen Vorstellungen anhängt.

Was die Taliban erlauben

Dank seiner guten journalistischen Kontakte gelingt es ihm relativ leicht, ins Land einzureisen. Er kommt mit dem jungen Talibankämpfer Mutkhatar in Kontakt, der auf eine Militärkarriere hofft. Aber auch mit dem frisch zum Chef der Luftwaffe beorderten Mawlawi Mansour. Beide gestatten ihm, sie im Rahmen der von den Taliban diktierten Bedingungen zu filmen. Konkret bedeutet dies, dass Nash’at ausschließlich Taliban filmen darf und er die Kamera ausschalten muss, sobald sie dies befehlen. Tatsächlich finden sich in „Hollywoodgate“ einige Szenen, in denen Nash’at die Kamera so lange laufen lässt, bis sich ihm jemand nähert und die Linse mit der Hand abdeckt.

Zu Beginn erklärt Nash’at sinngemäß, dass er das zeigen wolle, was die Taliban ihm zeigten. Weit wichtiger aber sei, was er selbst gesehen habe. In „Hollywoodgate“ präsentiert er eine Mischung aus beidem. Vieles erinnert an Bilder, wie man sie aus der Berichterstattung von „Embedded Journalists“ kennt. Nash’at zeigt Dinge, die spürbar für die Kamera inszeniert wurden. Etwa eine Gruppe junger Taliban, die mit hochmodernen Gewehren aus einem aufgelassenen US-Stützpunkt in einer menschenleeren Gegend Schießübungen veranstalten. Oder eine Rede von Mawlawi Mansour, als er auf dem kargen Gelände eines einst von den US-Amerikanern kontrollierten Militärstützpunkts eine Baumpflanzaktion startet, in der er sich in seltsame Faseleien über das Verhältnis von Westlern und ihren Frauen verstrickt.

Aus dem Auto heraus

Nicht alles in „Hollywoodgate“ lässt sich klar verorten. Nash’at, der meist auch die Kamera führte, drehte oft nachts oder filmte aus dem fahrenden Auto heraus. Häufig sieht man Straßenszenen aus Kabul oder von Fahrten ins Hinterland. Einmal zeigen ihm die Taliban in dunkelster Nacht die Höhlen, in denen sie sich in ihren kämpferischen Jahren versteckt hatten. Hin und wieder finden sich Szenen, die in einem Spiegel gefilmt sind, wobei auch Nash’at gelegentlich mit ins Bild gerät.

Nash’at hat Mutkhatar und Mawlawi Mansour ein Jahr lang begleitet. Das erste Mal war er mit der Kamera dabei, als die Taliban im September 2021 die Hallen eines US-Militärstützpunktes inspizierten. Den Titel „Hollywoodgate“ verdankt der Film einem der mit „Hollywood Gate“ beschrifteten Tore. Neben zerstörtem Mobiliar, IT- und Büro-Inventar fanden die Taliban dort ein riesiges Medikamentenlager, Waffen und Munition, Werkzeuge sowie viele Ersatzteile für die im Stützpunkt zurückgelassenen Flugzeuge.

Die Flugzeuge werden flottgemacht

Der Wert des US-Materials wird auf über sieben Milliarden Dollar geschätzt. Als gegen Ende des Films Ärzte das Lager inspizieren, haben viele Medikamente ihr Verfallsdatum überschritten. Die Ersatzteile aber werden genutzt, um die Flugzeuge wieder auf Vordermann zu bringen. Und mit den Waffen rüsteten die Taliban ihre Kämpfer aus. Mansour ist sichtlich stolz, dass er ein Jahr nach der Machtübernahme bei der Jubiläumsfeier die Fliegerflotte vorführen kann. Es ist eine reine Machtdemonstration, an die sich unmittelbar die Forderung knüpft, nun endlich gegen Tadschikistan vorzugehen, das den Feinden der Taliban seit langem Schutz und Herberge gewährt.

Man kann in „Hollywoodgate“ Schritt für Schritt mitverfolgen, wie Mansour an Selbstsicherheit gewinnt und wie Mutkhatar zum Piloten ausgebildet wird. Das Land verwandelt sich in dieser Zeit in ein Militärregime, das auch dank der US-Army über ein ziemlich modernes Waffenarsenal verfügt.

Man stößt aber auch auf einige Vignetten anderen Inhalts. Sie zeigen splitterhaft quirlige Straßenszenen. Autos, Marktstände, Männer und Frauen. Es gibt Aufnahmen von Handgemengen und Querelen, aber auch eine Szene, in der Männer Burka-tragende Frauen in aller Öffentlichkeit auspeitschen. Ob der Soldat, der einer vor ihm auf dem Boden knienden Frau ein Gewehr an den Hinterkopf hält, den Abzug betätigt, erfährt man nicht, weil die Szene unmittelbar geschnitten ist.

Ein quälendes Zeitdokument

Ibrahim Nash’at hat „Hollwoodgate“ vom September 2021 bis zum September 2022 gefilmt. Es ist eine Momentaufnahme und ein rares Zeitdokument. Von ihm ausgehend wäre über vieles zu sprechen, was im Film nur kurz aufblitzt oder unterschwellig mitschwingt. Etwa darüber, dass eine Frau diesen Film vermutlich nie hätte drehen können. Oder über die fatale Arroganz fundamentalistisch agierender Machtinhaber, die sich immer im Recht glauben. Über ihre krude Missachtung der Menschenrechte und die Ignoranz gegenüber allem, was man als human bezeichnet. Und die schamlose Herabwürdigung und gewalttätige Unterdrückung der Frauen.

Oder über Dummheit, die mitschwingt, wenn ein junger Taliban sich brüstet, eine Ärztin geheiratet zu haben, die jetzt aber nicht mehr praktiziert, weil er ihr das verboten habe. Dass seine Söhne dereinst gar keine Ärztin mehr heiraten können, weil im Taliban-Staat Mädchen nur noch bis zur sechsten Klasse die Schule besuchen, kommt ihm nicht in den Sinn.

„Hollywoodgate“ ist kein leicht verdaulicher Film. Die Botschaft, die in ihm mitschwingt, ist ein Warnruf vor dem, was sich derzeit weltweit anzubahnen scheint. Vor dem sollte man nicht die Augen verschließen.

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