Drama | Deutschland 2022 | 124 Minuten

Regie: Max Gleschinski

Eine Frau Mitte vierzig ist auf einer Wasserwandertour durch die Mecklenburgische Seenplatte unterwegs. Was die schweigsame, aber heitere Heldin umtreibt, verrät der in vier Kapitel unterteilte Film lange nicht. Stattdessen spannt er die ambivalente Atmosphäre eines regnerischen Sommers auf und spielt in ruhigen, lakonischen Einstellungen mit Elementen des magischen Realismus. Auf Dauer aber geht die Reduziertheit verloren, und der Film mündet, auch durch eine immer aufdringlichere Musik, in einen überraschend konventionellen Erbschaftsstreit. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Wood Water Films/ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Max Gleschinski
Buch
Max Gleschinski
Kamera
Jean-Pierre Meyer-Gehrke
Musik
Axel Meier
Schnitt
Clara Andres
Darsteller
Christina Große (Kerstin) · Pegah Ferydoni (Alima) · Karsten Antonio Mielke (Thomas) · Milena Dreißig (Nina) · Florian Anderer (Heiner)
Länge
124 Minuten
Kinostart
07.09.2023
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Drama um eine Einzelgängerin, die im Kajak die Mecklenburgische Seenplatte durchwandert.

Diskussion

Geister brauchen schon etwas Materie, um in Erscheinung zu treten. Deshalb ist das Medium Film mit ihnen verwandt. In einem magischen Kino, das den Boden des Realen gar nicht zu verlassen braucht, nehmen Geister oft die Gestalt von nacht- oder dämmerungsaktiven Tieren an. Wie etwa jener Tiger in „Tropical Malady“ von Apichatpong Weerasethakul. Oder wie das Wesen mit den roten Augenlichtern in „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“.

Der 1993 in Rostock geborene Regisseur Max Gleschinski bezieht sich in einem Kommentar zu „Alaska“ explizit auf einen Satz aus „Uncle Boonmee“: Geister seien nicht mit Orten verknüpft, „sondern mit Menschen“. Sein Film spielt zwar sehr eindeutig auf der Mecklenburgischen Seenplatte. Doch schon die Titel-Irritation „Alaska“ deutet an, dass Erinnerungen und Träume hier Orte formen und verschieben. Alte DDR-Gegenstände geistern wie Botschafter durch den Film, und doch beschwört Gleschinski kein nostalgisch betrauertes „Land, das es nicht mehr gibt“, wie es im Titel des Films von Aelrun Goette heißt. Sondern eben eines, das sogar Alaska enthält, wenn man so will.

Mit einem fast unsichtbaren Lächeln

Das besonders wortkarge erste von vier etwa halbstündigen Kapiteln ist darauf ausgerichtet, möglichst nichts zu erklären. In langsamen Schwenks und langen Einstellungen tastet die Kamera von Jean-Pierre Meyer-Gehrke das Profil einer nur schemenhaft erkennbaren Frau mit Käppi ab. Sie raucht, tritt die Glut aus, wendet sich abrupt um und stapft zu ihrem alten Auto, steigt ein, fährt los. Ein Kajak ist auf dem Dach befestigt. Die Kamera schwenkt aus der Distanz kurz mit, als der Wagen in der Dämmerung davonbraust, und verharrt dann wieder gleichmütig in der Landschaftsaufnahme. Es zirpt, bald wird es regnen. Und die Frau wird, mit einem fast unsichtbaren Lächeln, das Kajak ins Wasser gleiten lassen und lospaddeln.

Diese scheinbar entrückte Landschaft ist zugleich ein sehr gegenwärtiger touristischer Mikrokosmos, eine Gegend der unentwegten Aufbrüche und der so absurden wie befreienden, weil immer wieder möglichen Bewegung im Kreis. Menschen begegnen einander hier zwangsläufig, selbst wenn sie das nicht wollen. „Der ur-mecklenburgische Defekt des Schweigens beschäftigt mich als Sprössling einer mecklenburgischen Familie sehr“, sagt der Regisseur. Das Wenige, das die Menschen hier sprechen, funktioniert aber manchmal wie ein Zauberspruch. So endet der Starkregen just, als ein Mann vor einem Campingplatz-Kiosk herunterzählt: „Der Regen endet in drei, zwei, eins.“ Die noch namenlose Frau, gespielt von Christina Große, hat offenbar mit nichts anderem als dem Stopp des Regens nach Ansage gerechnet und tritt daraufhin wieder in den Wald hinaus, zu ihrem Zelt.

„Icke? Da ist nichts“

Die Langsamkeit und die Ruhe laden alles Sichtbare mit etwas auf, das aus der Vergangenheit herüberzuschwappen scheint. Oder das aus dem Schlamm in der Tiefe aufsteigt oder von den Ufersäumen herüberrauscht. Wer diese Frau ist, woher sie kommt, was sie vorhat und wie sie heißt, bleibt zunächst unklar. Über ihre DDR-Requisiten versuchen die anderen Menschen, mit der Schweigsamen ins Gespräch zu kommen. Ihre Thermoskanne erinnert eine Campingplatz-Bewohnerin beispielsweise „an alte Zeiten, die waren schön“; ein junger Mann versucht es über ihr rotes Kajak, das aus prähistorischer Zeit zu stammen scheint. Eine junge Frau, Alima (Pegah Ferydoni), schnorrt eine Zigarette von ihr, und erfährt, dass die fremde Einzelgängerin Kerstin heißt. Sonst gibt sie nichts von sich preis: „Icke? Da ist nichts.“ Da haben sich zwei gefunden.

Diese Kerstin ist eine Westernheldin, ein „lonely cowboy“, wenn sie das Kajak ihres Vaters wie ein treues Tier mit einem Seil am Pflock festbindet. Ein bisschen melancholisch, aber mit der still-vergnügten Heiterkeit einer Ungebundenen löffelt sie abends zufrieden etwas Undefinierbares aus einer Dose und genießt danach die nächste Kippe.

Doch kaum weiß man ein paar Dinge über Kerstin, verschwindet sie aus dem Film. Jemand verfolgt sie, und sie haut ab. Was hat sie getan? Statt sich an ihre Fersen zu heften, bleibt der Film zunächst bei Alima, die mit ein paar Freunden und ihrem Ex-Mann ebenfalls eine mehrtägige Wasserwanderung unternimmt. Jetzt ist es Alima, die anderen erzählt, was vorher Kerstin zum Besten gab, nämlich dass ihr Vater einst bei der Olympiade Kajak gefahren sei und dass die Erdrotation sich alle 100 Jahre ändere und die Tage dadurch länger würden. Als sei es ihre eigene Geschichte. Ist da ein Geist von einer Frau zur anderen gewandert? Ist Alima die neue Kerstin?

Anders als Kerstin wirkt die jüngere Alima gesellig und lacht viel. Doch kaum ist sie allein und fühlt sich unbeobachtet, verfinstert sich ihr Gesicht, und sie murmelt vor sich hin: „Aussterben sollten’se alle mit’nander, wa, besser is’!“

Eine Kröte und ein Aal

Dieses Spiel mit der Gestaltwandelei erinnert tatsächlich an Bildwelten und Narrative von Weerasethakul, bleibt aber leichtfüßig und humorvoll, ohne die Schwere des bemüht Epigonalen. Eine Kröte tritt auf, als hätte sie Wichtiges zu sagen: einmal, als Kerstin allein in ihrem Zelt liegt, ein andermal kurz nachdem Kerstin verschwunden ist und Alima stattdessen die Kröte vorfindet. Ein paar Paddelkilometer später, wenn in einem Kuss alle Bewegungen an ihrem Ziel oder einem neuen Ausgangspunkt angekommen scheinen, beobachtet ein Aal die intime Szenerie; der kennt sich aus mit langen Reisen zurück zum eigenen Ursprung.

Es ist schade, dass „Alaska“ sein anfangs so pracht- und spannungsvoll aufgefahrenes „Nichts“ einer Hunderte Kilometer langen Kreisfahrt nach und nach demontiert und dabei immer auserklärender und konventioneller wird. Kerstins Bruder (Karsten Antonio Mielke) und dessen Frau (Milena Dreißig) sind nämlich hinter Kerstin her und schieben nun doch noch mit psychologisch ausformulierter Eindeutigkeit das Prinzip des linearen Geschichtenerzählens in den Film, das buchstäbliche Jagen nach der baren Münze.

Parallel schwillt die akkordeonverhangene Musik bis zur Aufdringlichkeit an. Innerhalb des Erbschaftsstreit-Dramas vermeidet das Drehbuch immerhin simple Antagonismen. Das Treffen der Geschwister gerät zunächst freundlich; der Bruder erinnert an eine weitere Heldentat des verstorbenen Vaters, der einst mit bloßen Händen einen Aal gefangen habe. Kerstin hält das für eine Erfindung. DDR-Väter, Ost-Identitäten, unwahrscheinlich gewordene Lebensleistungen: Sie alle entschlüpfen hier wie ein Aal.

Im Feuer schließt sich der Kreis

Im Gegensatz zu seinem Regiedebüt „Kahlschlag“, der immer wieder in die Kindheit der Protagonisten zurückblickt, blendet der Regisseur hier nur ein einziges Mal in die Vergangenheit, ganz am Ende. Wo der Tod einen Anfang bedeutet, wo Gesten des Waschens und des Einäscherns Dingen gelten, aber vielleicht auch einen geliebten Menschen meinen. In einem Feuer schließt sich der Kreis, und in einer Berührung.

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