Is That Black Enough for You?!?
Dokumentarfilm | USA 2022 | 135 Minuten
Regie: Elvis Mitchell
Filmdaten
- Originaltitel
- IS THAT BLACK ENOUGH FOR YOU?!?
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Makemake/Netflix
- Regie
- Elvis Mitchell
- Buch
- Elvis Mitchell
- Kamera
- Justin Ervin
- Schnitt
- Michael Engelken · Doyle Esch
- Länge
- 135 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Dokumentarfilm des Autors und Filmhistorikers Elvis Mitchell um die Hintergründe des „Black Cinema“ in den 1970er-Jahren und seinen Einfluss auf Filmbranche und Popkultur.
Von manchen Filmen bleibt uns nur ein Detail. Ein Zitat, eine Bewegung, ein Bild vielleicht. Die Art, wie eine Figur ihre Haare in den Nacken wirft, ein wild geschnittener Mantel, oder ein Song, der plötzlich von allem auf der Leinwand Besitz ergreift. Es gibt viele schlechte Dokumentarfilme über die Geschichte des Kinos, die genau diese Tatsache ignorieren, einzig und allein verliebt in türmende Monumente. Von Clips bebilderte Listen des Kanons, nur unterbrochen von vagen, steril enthusiastischen Interview-Ausschnitten. Der Essayfilm „Is That Black Enough for You?!?“ des Kritikers Elvis Mitchell ist in dieser Hinsicht eine positive Überraschung. Er begreift die Geschichte des schwarzen Kinos vor allem als Teil einer neuen Popkultur. Als das, was in der Luft liegt und den Menschen eine gemeinsame Welterfahrung anbietet.
Sein Streifzug durch über ein Jahrhundert afroamerikanische Filmgeschichte konzentriert sich vor allem auf die 1970er-Jahre. Eine Dekade, in der vieles möglich werden sollte, was auch heute noch nicht selbstverständlich ist. Das alte Studiosystem liegt in Trümmern und ein neues Hollywood bietet plötzlich bis dahin ungekannte Freiheiten. Gerade das lange umstrittene Blaxploitation-Kino mit seinen unendlich coolen Helden-Figuren, den grellen Reizen und mitreißenden Funk- und Soul-Soundtracks versteht er als Unterhaltung, die befreit und ermächtigt. Er blickt auf ein populistisches, merklich von Profiten getriebenes Sub-Genre, das durch seine Breitenwirkung die Hegemonie eines weißen Mainstreams attackiert. Durchaus mit Erfolg, wie der Regisseur immer wieder aufzeigt.
Vieldeutigkeit und Vielstimmigkeit
Der Titel des Films ist Ossie Davis’ Exploitation-Thriller „Cotton Comes to Harlem“ („Wenn es Nacht wird in Manhattan“) entliehen. Dort fällt der Satz immer wieder – nie von der gleichen Person, nie mit der gleichen Intention. Dieselbe Frage bekommt in anderem Kontext neue Antworten. Mitchell gefallen Vieldeutigkeit und Vielstimmigkeit. Es geht ihm nie primär um das Be- oder Verurteilen von Filmen, selbst wenn er davor nicht zurückschreckt. Auch die Katalogisierung von guter und schlechter Repräsentation steht nicht im Mittelpunkt. Stattdessen erzählt er eine Geschichte der Affekte und hebt vor allem jene Momente hervor, die ein poetisches Eigenleben entwickeln.
Deshalb geht er auch nicht streng chronologisch vor, sondern springt immer da durch die Zeit, wo ein Querverweis erhellend wirkt. Zeit- trifft Gedankenfluss. Über den Actionfilm „Gordon‘s War“ („Jagd auf linke Brüder“) von 1973 findet er zum Drogen-Drama „New Jack City“ von 1991, zurück in die 1970er zu „The Mack“ („Straßen zur Hölle“). Geschichte nicht als Vorwärtsbewegung, sondern als Sedimentschichten, die immer wieder von Erdbeben und Flutwellen neu geordnet wurden. Dabei helfen ihm auch Archivaufnahmen und Interviews mit Branchengrößen wie Harry Belafonte, Margaret Avery, Samuel L. Jackson, Whoopi Goldberg, Billy Dee Williams, Charles Burnett und Zendaya. Sie schwärmen, berichten und ordnen ein.
In vollen Sälen zelebrierte Transgressionen
Mitchell reduziert sie nicht auf Schlagwörter, die seine These untermauern, sondern versteht sie als Anlass zum Abschweifen oder Erweitern des Blicks. Eine alte Aufnahme von William Greaves führt ihn zu den frühen Pionieren von dem, was später als „Black Cinema“ verstanden wurde. Powell Lindsay, Oscar Micheaux und Bill Alexander finden genauso Erwähnung wie etwa der „Vater des afrikanischen Films“ Ousmane Sembène. Es interessiert Mitchell, was neue Stars wie Pam Grier, Harry Belafonte, Sidney Poitier oder Richard Pryor in Independent-Produktionen leisten, aber auch die Großproduktionen, in denen sie mitwirken. Ohnehin geht es in den über zwei Stunden Laufzeit um eine große Zahl von Filmen, auch abseits von naheliegenden Titeln wie „Shaft“, „Superfly“, „Coffy“, „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ (Sweet Sweetbacks Lied“) und „Killer of Sheep“ („Schafe töten“). Nicht jeder wird detailliert besprochen – entscheidend ist die Textur einer Zeit. Kleine Akte des Widerstands, in vollen Sälen zelebrierte Transgressionen, neue Helden und Identifikationsangebote.
Zusammengehalten werden die vielen disparaten Bewegungen des Films von Mitchells Erzählerstimme. Seine Kritiker-Prosa ist elegant und klar. Nie verliert er sie an die lächerlich pathetische Rhetorik populärer Video-Essays, nie an die herablassend blubbernde Imagefilm-Sprache vergleichbarer Netflix-Produktionen. Er hat eine klare politische Haltung, aber er ist kein Prediger. Eher ein engagierter Professor, für den die Vorlesungen nicht eine lästige Pflicht sind, sondern eine Chance, den Zuhörenden neue Pfade aufzuzeigen.
Besonders wichtig: Die Musik
Besonders wichtig ist ihm die Musik. Scores und Songs von Curtis Mayfield, Marvin Gaye, Isaac Hayes oder James Brown. Die dauerhafte Verknüpfung von Film und Popmusik erinnert an seinen Freund und Kritiker-Kollegen Armond White und seine einflussreiche Essay-Sammlung „The Resistance: Ten Years of Pop Culture That Shook the World“. Nur eben für die 1970er.
Interessant ist dabei, was im Schnitt passiert. Wie Songs ineinanderfließen und plötzlich über Bildern liegen, zu denen sie nicht gehören. So muss es damals gewesen sein: Bekannte Motive haben durch die allgemeine Atmosphäre plötzlich einen neuen Effekt. Die Luft ist anders. Einmal springt das Bild von Disneys „Dumbo“ und seinen fragwürdigen Krähen-Figuren zu Steven Spielbergs Komödien-Flop „1941“, in dem ein hoher US-General genau diese Szene in einem Kinosaal ansieht und schallend lacht. Mitchell zeigt ein Kino der Echos. Der Einfluss der schwarzen Kultur auf „Saturday Night Fever“ wird mit einer cleveren Parallelmontage zwischen John Travolta und Blaxploitation-Helden gezeigt. Im Voiceover schießt Elvis Mitchell gegen popkulturelle Usurpatoren wie seinen Namensvetter oder Eminem.
„Der Zyklus des schwarzen Films endete langsam, als der Profit bestimmter schwarzer Filme exponentiell rückläufig war“, beschreibt er das Ende einer Ära. Auch wenn er diese Epoche historisiert, versteht er sie vor allem als eine kulturelle Praxis. „Stolz ist eine Falle. Das heißt, du willst dich brüsten. Das ist egoistisch. Stattdessen genieße, was du tust. Das gehört ganz allein dir. Andere sollen das mit dir teilen wollen“, zitiert er seine Großmutter. Vielleicht sollte die Geschichte der Popkultur öfter so gelesen werden: Nicht allein als identitätsstiftendes Erbe, sondern als stetig wachsender Katalog von Gegenthesen zum Status quo.