Mike Wade (Scott Adkins) harrt auf einem Fenstersims aus. Der schmale Vorsprung des achten Stockwerks ist Mikes letztes Versteck in der alten Krankenhausruine, die von einer Gruppe bewaffneter Krimineller gestürmt wurde und in nur wenigen Minuten gesprengt wird. Als Mikes Blick für einen Moment nach oben schwenkt, erblickt er einen weiteren Gejagten. Ralph Ericson (Dolph Lundgren) kauert ein Stockwerk über ihm im exakt gleichen Versteck. Zwei Männer stecken in der gleichen Sackgasse fest.
Action-Altstar Dolph Lundgren liefert seine vierte Regiearbeit
„Castle Falls“, die nunmehr vierte Regiearbeit von Action-Ikone Dolph Lundgren nimmt sich viel Zeit, eben die Wege nachzuzeichnen, die dorthin geführt haben. Die Richtung ist klar: abwärts. Für MMA-Profi Mike scheint es ein Aufwärts ohnehin nie wirklich gegeben zu haben. Die erste Szene des Films ist sein letzter Kampf – kein Duell vor großem Publikum, sondern eine schlichte Sparring-Session, an der eine Karriere hängt, die es nie aus dem Mittelfeld hinausgeschafft hat. Mike unterliegt. Der Mann aus Birmingham, England steht nun in Birmingham, Alabama mittel- und wohnungslos vor dem Nichts. Seine Handschuhe verschenkt er an die nächste Generation. Sein restliches Hab und Gut passt in einen winzigen Karton. Mit diesem in der Hand und der Sitzbank seines Pick-Ups als Unterkunft geht Mike den Neustart an. Ein Abrissjob ist die einzige Perspektive, die sich ergibt. Abgerissen wird das alte Krankenhaus, in dem Mike wenig später auf einen großen Haufen Bargeld und eine bewaffnete Gang trifft.
Dass Ericson die gleiche Situation auf einer höheren Ebene erlebt, erklärt der Film in der zweiten Lebenslauf-Episode des Films. Ericsons Lebensentwurf ist deutlich solider. Als Gefängniswärter hat er eine sichere Anstellung, als Familienvater die nötige Erfüllung im Leben. Allein das Schicksal meint es nicht gut mit ihm. Auf den vorzeitigen Tod seiner Ehefrau folgt die schwere Krebserkrankung seiner Tochter. Seine ganz auf die Familie zugeschnittene Existenz wird von Behandlungsrechnungen und Trauer erdrückt.
Beharrlichkeit hält den ganzen Film zusammen
So generisch das Drehbuch die Lebensläufe der Underdog-Actionhelden ausbreitet, so ernsthaft und aufrichtig arbeitet sich Lundgrens Inszenierung an ihr ab. Eine Szene, in der er als Ericson mit seiner Tochter einen Film auf dem Laptop anzusehen versucht, bis kurz darauf der Hausbesuch der Ärztin den Moment der Sorglosigkeit zerstört, der sich gar nicht erst entfalten konnte, wirkt zunächst furchtbar ungelenk, entpuppt sich im Verlauf des Films aber als Teil eben der Beharrlichkeit, die den ganzen Film zusammenhält. Auch die Episoden, in denen Mike sich in der dahinscheidenden proletarischen Arbeitswelt durchzuschlagen versucht, sind nicht fein, aber mit viel Geduld und ehrlicher Hingabe inszeniert. Eine Disziplin, die der Film auch in den Momenten noch aufbringt, auf die alle Handlungsstränge hinarbeiten.
Mike findet den Bargeldschatz, kurz bevor der Bürgermeister feierlich die Sprengung des ehemaligen Krankenhauses und die Neuerrichtung eines Industrieparks verkündet. Ericson, der im Gefängnis von der Existenz des Geldes erfährt, betritt kurz darauf, verfolgt von den bereits erwähnten Gangstern, die Ruine. Mit dem ersten Aufeinandertreffen der Parteien gibt sich „Castle Falls“ als entkerntes Martial-Arts-Amalgam aus „Stirb langsam“ und Walter Hills „Trespass“ zu erkennen. Das Krankenhaus ist als Ruine ohne architektonische Kosmetik, ohne Haut und jegliche Zwischenräume, die von der physischen Konfrontation ablenken könnten – das perfekte Setting für die in ihrer Reduktion sorgfältig und effizient inszenierten Action-Szenen. Zwischen den wenigen Schnitten, die das Geschehen zusammenhalten, gibt es viel Martial-Arts-Talent zu sehen. Den Löwenanteil von Choreografie und Performance tragen Adkins und sein Stunt-Team, das vor den nackten Wänden der Ruine zur großen Form aufläuft.
Die letzten Helden des Action-B-Movies
Das abgewrackte Krankenhaus mag nur bedingt als Stand-In für die vernachlässigte und schließlich in Stücke gesprengte „Blue Collar“-Community taugen, auf die der Film wieder und wieder hinweist. Umso besser lässt es sich als Symbol für den ruhmlosen, schmal budgetieren Actionfilm lesen, für den die Namen Adkins und Lundgren stehen. In ihrer vierten Zusammenarbeit treten sie ein weiteres Mal als die letzten Helden des Action-B-Movies an, dessen Niedergang mit dem Ende der Videotheken und dem Siegeszug der Streaming-Dienste längst überfällig scheint. Zwei Männer, die ihre verschlissenen oder schlicht gealterten Körper noch einmal in die Bresche werfen, um zu beweisen, dass sich auch aus dem, was auf den ersten Blick nur der Überrest einer besseren Zeit zu sein scheint, noch der ein oder andere Schatz holen lässt. Es braucht nur jemanden, der nicht aufgibt, bis er ihn hervorgeholt hat.