Als das erste wirklich ungezwungene Lächeln auf Minas Gesicht zu sehen ist, wendet sich die Kamera von ihr ab. Behutsam schwenkt sie auf eine scheinbar unbedeutende Szene, probiert eine Bewegung aus, die im Film bisher nicht zu sehen war. Der Anruf, den Mina in Abwesenheit der Kamera annimmt, kündigt das Ende des kurzen Schwenks an. Während die Witwe vom nächsten Schicksalsschlag erfährt, kehrt das Bild, als wollte es die Bewegung ungeschehen machen, mit unerträglicher Geduld zu Mina zurück. Es ist nicht der erste Schock, den Mina seit der großen Tragödie ihres Lebens, der Hinrichtung ihres Ehemanns, erlebt. Und doch deutet das Ende des kurzen Ausscherens und das sofort erstickte Lächeln einen Wendepunkt an. Als das Bild wieder steht, ist auch der enge Rahmen zurechtgerückt, der das Leben der jungen Witwe bestimmt.
Mina wird die unbedeutende Rolle, die ihr die Gesellschaft zuweist, dennoch nicht akzeptieren. Die Kamera von Amin Jafari fängt in „Ballad of a White Cow“ nicht nur die engen gesellschaftlichen Grenzen ein, sondern auch die großen und subtilen Gesten, mit denen Mina sie zu durchbrechen versucht. In den peinlich genau inszenierten Alltagskulissen erscheint die Protagonistin zwar eingeschlossen, aber trotz der zahllosen Widerstände und Rückschläge nie als schlichtes Opfer.
Mehr als ein Jahr liegt die Hinrichtung ihres unschuldigen Ehemanns Babak zurück, doch die Witwe weigert sich, das Schwarz abzulegen. Für die Justiz ist die Hinrichtung eines Unschuldigen mit dem der Witwe zugesprochenen Blutgeld abgegolten. Für Mina ist die kaum zu verkraftende Tragödie allerdings nicht mit Auszahlung der Diya gesühnt, einem Ausgleich im Falle einer Schädigung von Leib oder Leben. Sie weigert sich, die Sühne zu akzeptieren oder ihre Trauer aufzugeben.
Schutzlos und tief unten in der sozialen Hierarchie
Innerhalb der Gesellschaft ist Mina als Witwe jedoch schutzlos. Der Verlust des Ehemanns gibt ihr keinen Sonderstatus, sondern lässt sie noch tiefer in der sozialen Hierarchie abrutschen. Als alleinstehende Frau hat sie kein Anrecht auf eine neue Wohnung – nicht gesetzlich, aber faktisch, da kein Vermieter sie annimmt – und muss ihre gehörlose Tochter Bita (Avin Purraoufi) mit ihrem Job in der Fabrik alleine durchfüttern. Andere Familienangehörige hat sie keine mehr. Nur die Frau des Vermieters hilft gelegentlich mit selbstgekochtem Essen und ein wenig Weisheit aus. Bis der Richter Reza (Alireza Sanifar), der selbst zunehmend Reue über das ausgesprochene Todesurteil empfindet, vor ihrer Tür steht. Ohne seine wahre Identität preiszugeben, bietet er Mina als angeblicher Freund des Toten aufrichtig seine Hilfe an.
Nachdem sie die scheinbar helfende, tatsächlich aber gebieterische Hand ihres Schwagers zurückschlagen und immer wieder gegen den Justizapparat anrennen musste, ist Rezas finanzielle wie rechtliche Unterstützung die erste wirkliche Hilfe, die Mina erfährt. Beide kämpfen aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftspositionen gegen den religiösen Starrsinn, der jeglicher Diskussion immer wieder den Riegel vorschiebt. „Gottes Wille“ ist in Rechts- und Trauerfragen immer schnell bei der Hand – nicht als tatsächliches Fundament eines ethischen Standpunkts oder eines empathischen Ausdrucks, sondern als sichere, weil unantastbare Floskel. Die sich allmählich andeutende Beziehung verwächst zu einem unauflösbaren Geflecht von Reue und Trauer.
Widerstand gegen ein zynisches System
Die Regisseure Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam (die auch die Hauptrolle der Mina spielt) spinnen dieses Geflecht mit einer beeindruckenden, wenngleich rigorosen Kontrolle. Dramaturgie und Mise en Scène sind gleichermaßen so dicht gehalten, dass sie keine Leerstellen für den Zuschauer lassen. Die darin spürbare emotionale Aufrichtigkeit spiegelt Minas Widerstand gegen den Zynismus eines Systems wider, das die Hinrichtung eines Unschuldigen mit einem festen Geldsatz sühnt.
Die eigentliche Faszination des Films liegt im Spagat zwischen dem Ausleben dieser Aufrichtigkeit und dem Zwang, gesellschaftskonform aufzutreten. Es liegt eine enorme Kraft in der melancholischen Unruhe, mit der Maryam Moghaddam ihre Figur durch diese Zerrissenheit führt. Der Kraftakt hinter der im öffentlichen Leben gewahrten Fassung ist ebenso spürbar wie die Enormität einer Trauer, die nicht mit dem Blutgeld der iranischen Justiz abbezahlt werden kann.
Dass es jenseits der Diya keine Antwort auf die Frage gibt, wie der Tod ihres unschuldigen Mannes gesühnt werden könnte, ist die tragische Wahrheit eines Lebens, das noch lange auf das nächste Lächeln warten wird.