Die letzte Stadt

Experimentalfilm | Deutschland 2020 | 105 Minuten

Regie: Heinz Emigholz

Ein Archäologe, der früher ein Filmemacher war, erzählt seinem zum Waffendesigner umgeschulten Psychoanalytiker von einem Traum über eine Stadt ohne feste Koordinaten. Davon ausgehend setzt sich ein Kreislauf in Gang, der mit wechselnden Darstellern in wechselnden Rollen durch Be’er Sheva, Athen, Berlin, Hongkong und São Paulo führt. Im direkten Anschluss an seinen Film „Streetscapes (Dialogue)“ (2017) stößt der Experimentalfilmer Heinz Emigholz ein wild wucherndes Gebilde exzentrischer Figuren, philosophischer wie metaphysischer Gedanken und städtischer Architektur an. Dabei legt er sein Werk assoziativ und nach allen Richtungen offen an, sucht aber auch die Berührung mit dem B-Movie. - Ab 18.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Filmgalerie 451
Regie
Heinz Emigholz
Buch
Heinz Emigholz
Kamera
Heinz Emigholz · Till Beckmann
Musik
Alexander Paulick · Andreas Reihse
Schnitt
Heinz Emigholz · Till Beckmann
Darsteller
John Erdman (Archäologe, Be'er Sheva/Künstler, Athen) · Jonathan Perel (Waffendesigner, Be'er Sheva/Kosmologe, São Paulo) · Young Sun Han (Junger Mann, Athen/Priester, Berlin) · Dorothy Ko (Mutter, Berlin/Chinesische Frau, Hongkong) · Susanne Sachsse ("Japanische" Frau, Hongkong/Kuratorin, São Paulo)
Länge
105 Minuten
Kinostart
21.10.2021
Fsk
ab 18; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Experimentalfilm | Filmessay
Externe Links
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Wild wucherndes Filmessay des Experimentalfilmers Heinz Emigholz, in dem seltsame Figuren die Welt nach einer Stadt ohne Koordinaten durchsuchen und sich Diskurse aller Art liefern.

Diskussion

Zwischen Be’er Sheva, Athen, São Paulo, Berlin und Hongkong ist so einiges aus der Umlaufbahn geraten. Zum Beispiel werden Träume mit Titeln geträumt. Sie heißen dann etwa „Der letzte Pfannenkuchen“ und handeln von Außerirdischen in Form von Pancakes, die sich irgendwann nicht mehr fortpflanzen können. Von Träumen ist in Heinz Emigholz in alle Richtungen wild wucherndem Essay überhaupt viel die Rede. So fällt etwa die nicht unbedingt naheliegende Frage, ob man seine Nationalität im Traum ändern kann. Ganz am Anfang des Films steht ein ehemaliger Filmemacher, der von einer Stadt träumt, die ständig ihren Ort wechselt und in der er Menschen in wechselnden Rollen begegnet. Womöglich ist „Die letzte Stadt“ ein Film, der sich selbst träumt. Denn genau so passiert es dann.

„Die letzte Stadt“ beginnt wie ein Sequel zu Emigholz’ letzten Film Streetscapes (Dialogue). Darin folgte man einem Filmemacher und einem Psychoanalytiker bei einer hyperdichten Redekur in architektonischen Settings. Die Architektur tritt im aktuellen Film trotz einiger markanter Bauten (wie das von der brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi gebaute Kunstmuseum in São Paulo) ein wenig in den Hintergrund; Ausgrabungsstätten, ruinöse Gebäude, urbane Randzonen und Graffiti bestimmen das Bild. Das „odd couple“ aus dem Vorgängerwerk, erneut von den Schauspielern John Erdman und Jonathan Perel verkörpert, macht aber genau da weiter, wo es aufgehört hat. Nur dass der Filmemacher inzwischen Archäologe ist und der Analytiker ein Waffendesigner.

Vom Wesen des Krieges zur Kollektivschuld

An ständig wechselnden Schauplätzen sprechen sie über die Liebe in der arabischen Kultur, das Wesen des Krieges und was Waffen mit Mode zu tun haben, bevor der Filmemacher in einer anderen Stadt einer jüngeren Version seiner selbst begegnet, die ihm allerdings nicht im Entferntesten ähnlich sieht. Dieser Doppelgänger tritt wiederum in einer anderen Stadt (Berlin) als schwuler Priester auf, der ein inzestuöses Verhältnis zu seinem als Polizist arbeitenden Bruder unterhält. Die Darstellerin der Mutter gibt den Staffelstab im Hongkong-Teil weiter. Hier bombardiert sie eine Japanerin, die sich schließlich als getarnte Deutsche entpuppt, mit einer systematischen und äußerst detailreichen Aufzählung von durch Japan verübten Kriegsverbrechen und nötigt sie nach einer Diskussion um Kollektivschuld zu einem splatterhaften Harakiri.

Die von Susanne Sachsse gespielte Fake-Japanerin ist im letzten Teil in der Rolle einer Kuratorin zu sehen. Als solche redet sie sich im Gespräch mit einem Kosmologen (auch dieser gespielt von Jonathan Perel, dem Darsteller des Waffendesigners) um Kopf und Kragen. Es geht um intelligente Zivilisationen, technologische Singularität, Exoplaneten, kopulierende Kröten – und, ja, auch um Kohlenstoff-Chauvinismus.

Gedanken vermehren sich in alle Richtungen

Gefilmt ist „Die letzte Stadt“ in dem für Emigholz charakteristischen Stil: Winkel und Einstellungsgrößen wechseln mitten im Gespräch, die Figuren hängen mitunter dicht an den Bildrändern, es gibt gekippte Perspektiven und Asymmetrien. Nacherzählen lässt sich das alles kaum. In unglaublicher Dichte reihen sich Gedanken aneinander, vermehren sich in alle Richtungen und treiben dabei wildeste Blüten. Anders als in „Streetscapes“ sucht Emigholz ganz bewusst die Berührung mit dem B-Movie – nur um das Genre in überkodierte Diskursfelder hineincrashen zu lassen. Heraus kommt dann zum Beispiel eine deutsch-japanische Schuldwurst.

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