In Garagen werden Träume geboren; davon können Rockbands und Tech-Unternehmen gleichermaßen berichten. Das mag man allerdings kaum glauben, wenn man der Dokumentarfilmerin Natalija Yefimkina in die trostlose Ansammlung von Baracken im russischen Nirgendwo folgt. Ihre Kamera begleitet einen der Protagonisten über eine Müllhalde zu seiner klapprigen Hütte. Sie ist zwar gemauert, aber mit Wellblech bedeckt und mit einer zerbeulten Tür. Suchend lässt der Mann seinen Blick über den Unrat schweifen, als habe ihm irgendjemand etwas von seiner Schrottsammlung geklaut. Eine ganze Siedlung aus Garagen steht hier.
Vier Stockwerke in die Tiefe
Man fühlt sich in diese Welt aus Müll und abseitigen Hobbys geradezu hineingeworfen. „Garagenvolk“ verzichtet auf eine Exposition; der Film nutzt die Orientierungslosigkeit, um diesen Ort als eine Parallelwelt erfahrbar zu machen, deren Struktur und deren Regeln sich erst noch offenbaren müssen. Auch die Nachbarn des Schrottsammlers gehen eher ungewöhnlichen Aufgaben nach: Einer ist Funker, eine anderer repariert ungeachtet seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung alle Elektrogerätschaften, die ihm gebracht werden. Zwei junge Männer sammeln historische Uniformen und laufen in voller Montur durch die winterlich karge Landschaft.
Pawel, ein bedachter, gutmütiger Mann, schnitzt so schöne Ikonen, dass ein Priester zu ihm kommt und eine für die neue Kirche beauftragt. Bezahlen will er aber nicht. Viktor, einer der alteingesessenen Männer, gräbt seit über 45 Jahren einen Tunnel unter der Garagenlandschaft – vier Stockwerke in die Tiefe, von Hand geschaufelt und betoniert. Seine Freunde hätten immer viel getrunken, sagt er. Die seien jetzt tot. Er habe immer lieber gegraben.
Nach und nach verlassen die kauzigen Eigenbrötler, fast alle Männer, ihre Hütten, wobei klar wird, dass sie hier nicht wohnen. Aus der anfänglichen Vermutung, dass man es hier mit einem tristen Dorf fernab der Zivilisation zu tun habe, wird ein Augenzwinkern: alles nur Inszenierung. Die Männer leben in einer benachbarten Plattenbausiedlung auf der Halbinsel Kola, unweit des Polarkreises, mitten im Nirgendwo. Die kleine Siedlung hängt an einer Mine; dort haben sie alle schon gearbeitet. Beiläufig fängt der Film die Familienstrukturen ein. Hier haben die Frauen das Sagen und ihre Männer gerne mal das Nachsehen. Die Garagen sind ihre Hobbyräume, Rückzugsorte, eine Traumwelt. Der Film wird so zu einem Porträt menschlicher Anpassungsfähigkeit, aber auch eine schrullige und wohlwollend witzige Abhandlung über Männlichkeit. Hier in den Garagen können sie Soldaten sein, Künstler, Bauherren, auch wenn ihnen das im Alltag verwehrt bleibt.
Ein Blick in die russische Psyche
Unaufgeregt nimmt Natalija Yefimkina als stille Beobachterin an ihren willkürlich wirkenden Hobbys teil und schafft es so, deren meditativen Sog einzufangen. Wenn jahrelanges, zielloses Buddeln zunächst wie sinnlose Sisyphos-Arbeit wirkt, wird plötzlich nachvollziehbar, weshalb Viktor einfach weitermacht und mit seinem Enkel darüber sinniert, wie es weitergehen soll. „Das Leben ist so lang, wie man Pläne hat.“
Mit diesen Miniaturporträts zufällig zusammengewürfelter Männer gelingt dem Film ein Blick in einen Mikrokosmos, der in seiner Abgeschlossenheit zugleich viel über das postsowjetische Russland, aber auch über das Menschsein an sich erzählt. Ohne die „reale Welt“ und ohne den Alltagstrott könnte es diese Parallelwelt nicht geben; sie hängt von ihr ab und hat doch mit der Zeit einen ganz eigenen Rhythmus und eigene Regeln entwickelt.
In gewisser Weise ist die Garage für diese Männer nicht der Geburtsort ihrer Träume, sondern ihre Hüterin. Ihr Ziel ist es nicht, diesem Ort zu entfliehen, sondern ganz im Gegenteil möglichst viel Zeit dort zu verbringen. Die Konstanz dieses Ortes spiegelt sich in der Stoik seiner Bewohner wider. „Garagenvolk“ fängt diese flüchtige Magie für einen kurzen Moment lang ein.