Selbst gemäß der Konvention des Coming-of-Age-Genres, für die zuverlässig gilt, dass die nächste Pubertät immer die schwerste ist, drückt die Filmemacherin Luzie Loose in ihrem Spielfilmdebüt „Schwimmen“ gehörig auf die Tube. Zerrüttete Familien, Mobbing, Drogen, Abfeiern, Social Media, Kleinkriminalität. Wenn dann auch noch eine körperliche Schwäche wie bei der 15-jährigen Elisa hinzukommt, wird es prekär.
Die Trennung ihrer Eltern erlebt Elisa zugleich als Verlust des Vertrauten. Das Elternhaus, ein Eigenheim in guter Lage, wird zugunsten einer kargen Mietwohnung in Berlin-Neukölln aufgegeben, in der nicht einmal der Aufzug funktioniert. Alles, was ihr vom Vater bleibt, ist eine Videokamera mit ein paar Erinnerungen an glücklichere Zeiten und reichlich viel Speicherplatz für neue Eindrücke. Etwa vom Straßenfest am 1. Mai.
Die Ohnmacht des Opfers
Die Verbitterung der Mutter über das plötzliche Ehe-Aus macht das Zusammenleben mit ihr nicht gerade zum Vergnügen. Zudem ist die Mutter viel zu sehr mit sich beschäftigt, um Elisas Probleme zu bemerken. Die wird in der Schule gemobbt, vielleicht auch, weil sie ab und zu ohnmächtig wird. Vielleicht aber auch nur, weil sie vorwiegend schüchtern, verstört, verschlossen und übellaunig auftritt. Ihr einziger Freund in der Klasse ist Constantin, ein früherer Nachbarsjunge, mit dem es sich einst so gut im Garten „chillen“ ließ.
Als Elisa, die mal recht gut, mal weniger gut zu schwimmen versteht, nach dem Schwimmunterricht in der Dusche ohnmächtig wird, nutzen ein paar Klassenkameraden die Gelegenheit, um sexistische Fotos mit der Hilflosen zu machen, die dann online gestellt werden. Zwar eilt ihr Constantin zu Hilfe, wird aber von der Gruppe auch als „Loser“ stigmatisiert. Ein ganz anderes Kaliber ist da schon die toughe Anthea, die gleichfalls neu in der Klasse ist und die Jungs kurzerhand aus dem Duschraum schmeißt.
Kunterbunte Techno-Parties
Zwischen den beiden Mädchen entwickelt sich eine fragile Freundschaft. Elisa bewundert die selbstbewusste Anthea, die davon träumt, wie ihr älterer Bruder Pierre den Schauspieler-Beruf zu ergreifen. Elisa soll mit der Videokamera Bewerbungsporträts für sie produzieren; dafür öffnet sich für Elisa im Gegenzug die kunterbunte Welt einschlägiger Techno-Parties, die vor allem zeigen, dass Pierre nicht nur Schauspieler, sondern vor allem ein sehr drogensüchtiger Schauspieler ist.
Immerhin passiert jetzt so viel, dass Elisa ihre Ohnmachten fürs Erste komplett vergisst. Wenn dann aber ausgerechnet der freundliche Nachbarsjunge Constantin als zuverlässiger Dealer fungiert, wird deutlich, dass „Schwimmen“ seinen Figuren vielleicht etwas zu viel zumutet, denn die beiden Freundinnen haben gleichzeitig das Smartphone als Waffe für sich entdeckt, um sich an Elisas Peinigern zu rächen. Aus Mobbern werden Gemobbte, was aber auch ethische Probleme aufwirft, wenn die Gemobbten weniger psychische Stärke als Elisa besitzen und plötzlich, wie in „Das fliegende Klassenzimmer“, Schüler im dritten Stock im geöffneten Fenster stehen und nur zu gerne springen würden.
Bis zur Boje und zurück
In diese Gemengelage passt es, dass die Jugendlichen eben nicht nur gehässige Smartphone-Videos drehen, sondern schön altmodisch auch zur ein oder anderen Mutprobe wie einem „Bis-zur-Boje-und-zurück-schwimmen“ antreten.
Weil der Film, formal durchaus überzeugend zwischen unterschiedlichen Bildmedien changierend, in den Nebenhandlungen immer weitere Konflikte aufhäuft, die schließlich auch die Freundschaft zwischen Elisa und Anthea in Frage stellen, braucht es eine pathetische Auflösung, in der ausgerechnet Constantin zum Objekt wird. Nun wird sich zeigen, ob er nur eine „Pussy“ (Anthea) ist oder ob er durch eine aberwitzige nächtliche Seedurchquerung, die schon bei Tag kaum zu schaffen war, seine Zuverlässigkeit unter Beweis stellt.
Dem Finale mangelt es allerdings nicht nur an Timing und filmischer Vermittlung von Räumlichkeit, sondern auch an Logik. Mal kümmert sich die Inszenierung um ein deutlich sichtbares Orientierungsfeuer, dann wieder ist es aus anderer Perspektive nicht zu sehen oder wird einfach bedenkenlos gelöscht. Mal ist man auf Constantins Entscheidung gespannt, dann wieder kommt es zum Wortgefecht-Showdown zwischen den Freundinnen. Mal scheint der Junge zu ertrinken, dann wieder liegt er im flachen Wasser am Ufer eines Sees, in dem man in dunkelster Nacht problemlos auch vor dem Schilfgürtel herumlaufen kann. Und nie kommt jemand auf Idee, sich vielleicht mal kurz mittels Stimme oder Smartphone über An- und Abwesenheit, Pläne und Absichten zu verständigen.
Die Zukunft: offen
Am Ende hat Elisa eine Entscheidung getroffen. Damit man sich aber keine Sorgen machen muss und keine Fragen offenbleiben, kehrt sie noch einmal zum See zurück, um die Menetekel ihrer unglücklichen Geschichte hochsymbolisch Stück für Stück zu entsorgen. Die Zukunft steht ihr jetzt weit offen. Hoffentlich.