Können Zombies lesen? Philosophieren gar? Nach einer rasanten Zombie-Apokalypse, die die Menschheit mit Urgewalt ausrottete, blieben nur zwei Städtchen im Thüringischen verschont: Weimar und Jena. Um das Überleben der Menschheit (auch als Idee) zu sichern, müssen sie als Trutzburgen abendländischer Kultur gegen Attacken verteidigt werden. In Weimar, wo das Goethe-Schiller-Denkmal auch des Nachts als Mahnung illuminiert wird, gilt: Gefangene werden nicht gemacht – und Infizierte werden ohne Skrupel ausgelöscht. Nur kein Risiko!
In Jena indes, so heißt es, werde nach einem Medikament gegen das zombifizierende Virus geforscht. Für die durch ihre gefühlte Mitschuld am Tod ihrer jüngeren Schwester traumatisierte Vivi und die toughe, abgeklärte Fighterin Eva wird Jena zum Sehnsuchtsort. Zum Glück pendelt ein führerloser Versorgungszug regelmäßig zwischen den beiden Geistes-Metropolen.
Frauenpower vor und hinter der Kamera
Ein Genrefilm mit allerlei Frauenpower vor und hinter der Kamera, das ist ungewöhnlich und macht neugierig. Schnell jedoch wird klar, dass die Regisseurin Carolina Hellsgård und die Drehbuch- und Comicvorlagenautorin Olivia Vieweg zwar durchaus Spaß an der Inszenierung der blutigen Genre-Klischees haben, jedoch die permanente Bedrohung durch die Untoten lediglich als „basso continuo“ der Handlung anlegen, um sich anderen, für sie ungleich interessanteren Dingen zuzuwenden. Seltsam unproblematisch gelangen die beiden so unterschiedlichen Protagonistinnen in den Versorgungszug, der dann natürlich vorhersehbar auf halber Strecke liegenbleibt, damit das Duo den „Buddy-Komplex“ initiieren kann.
Da die Natur die Zeit seit der Zombie-Apokalypse genutzt hat, um die Spuren der Zivilisation zu überwachsen, hat „Endzeit“ grandiose Bilder zu bieten, wenn etwa am Horizont Giraffen aus dem Erfurter Zoo vorbeiziehen. Aus Thüringen wird Steppe werden. Das Motiv der Metamorphose wird früh im Film thematisiert, wenn Vivi im WC des Transportzuges eine Schmetterlingskolonie entdeckt, und taucht später wieder auf, wenn die beiden Protagonistinnen sich gegen einen Zombie zur Wehr setzen müssen, der schon wieder teilweise zu Flora geworden ist. Inmitten der Todeszone zwischen Weimar und Jena wartet dann eine Überraschung in Gestalt der mysteriösen Gärtnerin, die – halb Mensch, halb Pflanze – sich ein kleines, friedliches Paradies geschaffen hat, was nur gelingen konnte, weil sich die Erde ihrer „ungebetenen Gäste“ entledigt hat.
Die Natur hat sich des Menschen entledigt
Vivi und Eva werden also Zeuginnen einer großen Transformation, in der die Natur sich des „gierigen“ Menschen als Fehler im System entledigt, um neue Formen eines Sozialen experimentell zu erkunden. Es ist Eva, die diesen Prozess vielleicht etwa zu sehr auf den Punkt formuliert, wenn sie die Apokalypse nicht als Ende, sondern als Anfang begreift: „Ich denke, die Erde ist eine kluge, alte Frau. Die Menschen haben zu lange keine Miete gezahlt. Das da draußen ist die Räumungsklage!“
Interessanterweise bezeichnen Vivi und Eva zugleich zwei Extreme des Femininen, die vielleicht etwas zu schematisch angelegt sind und ausgestellt werden: Vivi, traumatisiert, ist einerseits eher passiv, steht andererseits aber allem Kreatürlichen so empathisch gegenüber, dass sie lange Zeit nicht in der Lage ist, überhaupt Widerstand zu leisten und Gewalt auszuüben. Demgegenüber fungiert Eva als „männliches“ Ego-Prinzip, kaum in der Lage, etwas Positives für Andere zu empfinden. Beide Figuren müssen durchaus schmerzhaft lernen, eine mittlere Position zwischen den Extremen zu entwerfen.
Aufbruch ohne Sonnenuntergang
Der Tatsache, dass die Dramaturgie und die Narration von „Endzeit“ gewissermaßen gegen den Filmtitel selbst die philosophische „Transformationsutopie“ teilen und vielmehr mit dem ökologischen Zeitgeist flirten, sollten ausgesprochene Fans des „Walking Dead“-Genres im Kino allerdings mit einer gewissen Großzügigkeit begegnen. Hier bezeichnet das Ende einen Aufbruch, der noch ohne Sonnenuntergang auskommt, aber auch ohne Jena.