Wann immer es nach Napalm riecht, protestierende Rockmusik aus den USA in die südostasiatischen Sümpfe überschwappt, Rauchschwaden und Grillenzirpen das Kriegstreiben wie ein entferntes Echo erscheinen lassen und ein verschmutzter, rot-orangener Filter alle Bilder in den Rausch des Wahnsinns taucht, denkt man an „Apocalypse Now“.
Man begegnet diesen filmischen Strategien öfter als man glauben würde, da der kultige Irrsinns-Trip von Francis Ford Coppola deutlich mehr Wirkung auf andere Filme denn auf die US-amerikanische Politik gehabt hat. Inzwischen ist der Vietnam-Film ein eigenes Genre. Filme wie „Kong: Skull Island“ oder „Tropic Thunder“ wären ohne „Apocalypse Now“ nicht denkbar. Man zitiert, imitiert und ironisiert das, was das vor 40 Jahren veröffentlichte Werk ästhetisch und inhaltlich behauptete. Man kann sich den Vietnamkrieg ohne diesen Film eigentlich gar nicht vorstellen, genauso wie man Gustav Mahlers 5. Symphonie kaum noch ohne Viscontis „Tod in Venedig“ hören kann. Das Bild dieses ohnehin medienwirksamen Kriegs wurde vom Kino besetzt.
Kurzurlaub vom Krieg
Im April 2019 präsentierte Coppola beim Tribeca Film Festival in New York eine neue Version seines mythenumrankten Vietnam-Spektakels. Dieser „Final Cut“ liegt irgendwo zwischen der „Apocalypse Now Redux“-Version von 2001 und der ursprünglich ins Kino gebrachten, kürzeren Version „Apocalypse Now“ (1979). So wurde jetzt eine Szene mit den Playboy-Models in einem Hubschrauber wieder aus dem Film herausgenommen. Zwei andere Sequenzen, die in der Originalfassung fehlten, nämlich das Abendessen mit den französischen Kolonialisten und eine Szene, in der die Soldaten das Surfbrett ihres Lieutenant Kilgore (Robert Duvall) stehlen, sind in der neuen Version weiterhin enthalten.
Über den Kriegstourismus der US-Amerikaner in Vietnam wurde inzwischen viel geschrieben und gedreht. Dass man sich auf Kurzurlauben während des Krieges in Hotels aufhielt, unter Palmen auf Busausflüge wartete oder eben surfend in den Sonnenuntergang driftete, ist ein absurd-perverses Faktum. Was Coppola aber wie kaum ein Zweiter greifbar machte, ist ein Gefühl der Entrückung, das einen schrecklichen Krieg beinahe zu einer Unterhaltungsshow, einem Kinoereignis werden lässt. Wenn Veteranen berichten, dass sie im Liegestuhl beobachteten, wie Helikopter vom Himmel fielen und ihnen das im dunstigen Abendlicht unwirklich schien, dann kennt man ein vergleichbares Gefühl aus „Apocalypse Now“.
Dass dem Film deshalb ein Gefühl für das wirkliche Leiden innerhalb eines solchen Krieges fehlt, ist eine Frage der Perspektive. Diese verharmlost Gewalt, wenn dem von den Wagnerschen Opernklängen begleiteten Hubschrauberangriff jegliche filmische Distanzierung fehlt. Es macht schlicht ungeheuren Spaß, diese Szene zu sehen. Allerdings ist genau dies der Punkt des Films, der dezidiert mehr an einer Erfahrung des Krieges als an seiner Hinterfragung interessiert ist. Ihn zusammen mit Emile de Antonios Dokumentarfilm „In the Year of the Pig“ (1969) zu sehen, wäre deshalb äußerst sinnvoll. Auf diese Weise würde die nicht unproblematische Vermischung der Illusionsmaschine Hollywoods mit jenen Elementen, die kritisiert werden, deutlicher sichtbar werden. Für sich bleibt „Apocalypse Now“ ein bizarres Spektakel, das zeigen will, was für ein bizarres Spektakel der Vietnamkrieg war.
Romantische Anklänge
Neben der Ästhetik des Films hat auch seine Entstehungsgeschichte die Zeit überlebt. Daran hat die von Eleanor Coppola und George Hickenlooper gedrehte Dokumentation „Hearts of Darkness - A Filmmakers's Apocalypse“ einen entscheidenden Anteil. Von Martin Sheens Herzinfarkt über Marlon Brandos Übergewicht und obszöne Millionengage bis zu einem Sturm, der sämtliche Sets dem Erdboden gleichmachte, ist dort eine Arbeit festgehalten, die dem Wahnsinn des Krieges kaum nachsteht. Es liegt eine gewisse Romantik im Bild der Filmemacher am Rande des Nervenzusammenbruchs im Dschungel. Man denkt sofort an Werner Herzog und seine Erzählungen über seine Filmdrehs. Es tun sich auch Vergleiche mit großen romantischen Autoren des 19. Jahrhunderts auf.
In „Apocalypse Now“ arbeitet die starke Idee, dass Bilder und Töne glaubhafter und intensiver werden, wenn man weiß oder ahnt, wie sie entstanden sind. Vielleicht waren die späten 1970er-Jahre so etwas wie das letzte Aufbegehren des Kinos in der Behauptung eines auf Wahrheit beruhenden Verhältnisses zwischen Kamera und Realität. Der Filmemacher als Abenteurer, der Dreh als Nahtoderfahrung. Inzwischen ist aus solchen Anekdoten eine Marketingstrategie geworden, zuletzt besonders plump benutzt bei „The Revenant – Der Rückkehrer“ von Alejandro González Iñárritu. Dort wurde alles getan, um insbesondere die schauspielerische Leistung von Leonardo DiCaprio als eine Reise ins Herz der Finsternis zu beschreiben. Ob man die Drehbedingungen dieser Großproduktion aber mit einem produktionstechnischen Desaster wie „Apocalypse Now“ vergleichen kann, ist mehr als fragwürdig.
Immerhin reichte es für einen „Oscar“, von denen auch Coppolas Film zwei einheimsen konnte. Zum einen für die beste Kameraarbeit durch den unerreichten Vittorio Storaro sowie für den besten Ton für den ebenfalls unerreichten Walter Murch sowie Mark Berger, Richard Beggs und Nathan Boxer. Diese Namen zeigen schon, dass Coppola sich mit den ganz Großen umgeben hat. In dem Bild von ihm, wie er mit Badehose im Fluss steht und sich in einer der vielen, viel zu langen Drehpausen abkühlt, fehlt nur der Dirigentenstab, der aus dem im Urwald versinkenden Orchester Töne herauskitzelte, die nicht unbedingt harmonieren, aber genau deshalb ein Sinnbild für einen Krieg, eine Zeit und inzwischen auch eine Form des Kinos erzeugen.
Ein letzter Schrei der Freiheit
Jim Morrisons Ode an das Ende, die bengalischen Feuer, die von der Sonne gezeichnete Haut zwischen den entfernten Augen von Dennis Hopper, all das zeigt bis heute ein schwer zu fassendes Aufeinandertreffen von Euphorie und purer Angst. Die Flucht in den Wahnsinn ist auch in anderen Filmen, etwa dem „Berlinale“-Gewinner 2019, „Synonyme“ greifbar. Hier wie dort liegt die Ursache in einem Verlust der Identität. Wer oder was ein US-Amerikaner ist, wird bei Coppola allerdings nicht einmal mehr zur Frage. Stattdessen ist die USA in „Apocalypse Now“ nur noch eine entfernte Melodie, das Eingeständnis eines Scheiterns, das Grauen, das Grauen...
Wenn Michael Ciminos „Heaven’s Gate“ oft etwas ungerecht und vereinfacht als das Ende von New Hollywood bezeichnet wird, jener Zeit größerer Freiheit für Autoren innerhalb und außerhalb des US-Studio-Systems, dann ist „Apocalypse Now“ der letzte Schrei dieser Freiheit. Einer Freiheit, die umso freier erscheint, wenn man das Geld hat, um Wälder niederzubrennen und die besten Schauspieler einer Generation auf den Philippinen zu versammeln. Eine Freiheit, die dieses Geld verbrennt, um aus der Asche Unterhaltung zu schaffen.
"Apocalypse Now" - Final Cut kommt am 15.7.2019 als Kino-Event auf die große Leinwand; ab 19. September 2019 ist der Film als 4- bzw. 6-Disc Limited Edition mit zahlreichen Bonusmaterialien als DVD und BD zu haben.
Lesetipp:
Work in progress: Über die Genese von "Apocalypse Now" bis zum "Final Cut" von Jörg Gerle