In seinem Film „Beginners“
(fd 40 500) versuchte Regisseur Mike Mills, sich mit seinem Vaterbild auseinanderzusetzen. Diesmal ist es die Mutter, die er in Dorothea, der Hauptfigur von „Jahrhundertfrauen“, verlebendigt. Dorothea lebt in einem alten viktorianischen Haus, einem wunderschönen, aber vernachlässigten Gebäude, an dem unaufhörlich gehämmert und renoviert wird. Noch bevor die Story richtig begonnen hat, ahnt man, dass dieses Haus nicht nur Herberge, sondern auch Symbol für den Seelenzustand seiner Bewohner ist: Dorothea, ein Kind der Depressionszeit, Kettenraucherin und späte Mutter, unmerklich hineingewachsen in eine Zeit, in der Kinder Fragen stellen, die zu ihrer eigenen Jugendzeit keiner über die Lippen gebracht hätte; Sohn Jamie, noch mittendrin im Erkundungsdrang eines Teenagers, neugierig auf die Welt draußen, in die ihn zwei Mitbewohnerinnen des großen Hauses manchmal entführen; die rebellische Julie, die nachts über das Baugerüst in Jamies Zimmer klettert, mit ihm kuschelt, aber den ersehnten Sex verweigert; und die etwas ältere Abbie, eine an Krebs erkrankte Fotografin, die Jamie mit Feminismus und Punk-Musik bekanntmacht. Dann ist da noch William, der mit der Renovierung des Hauses ebenso wenig fertig wird wie mit dem Vorsatz, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken.
„Jahrhundertfrauen“ ist mehr ein Zustandsbild als eine abgeschlossene Geschichte, was schon der Stil des Films klarmacht. Obwohl die Handlung in dem von Hippies und ausgeflippten Frührentnern bevölkerten Küstenstädtchen Santa Barbara während der 1970er-Jahre spielt, springt Mills hemmungslos durch die amerikanische Geschichte und lässt sich über die mannigfachen Beweggründe aus, die Menschen wie Dorothea, Jamie, Julie, Abbie und William hervorgebracht haben. Er tut das mit viel Sinn für Humor und immer wieder einem kurzen Innehalten, das dem Zuschauer Gelegenheit gibt, seine eigenen Gedanken einzubringen.
Die Figuren seiner Story werden bis zum Ende kaum älter, gewinnen aber von Szene zu Szene an Profil. Vor allem Dorothea nimmt Gestalt an: Aus der zu Anfang etwas ungekämmten, unorientiert wirkenden Frau, die ihren Sohn spät geboren hat und von der man nicht weiß, ob sie ihr partnerloses Leben gewählt oder erlitten hat, wird eine Mutter, die ihre Rolle, wohl nicht ohne gelegentliches Zögern, angenommen hat und mit erfüllender Selbstbewusstheit lebt. Annette Bening, diese abseits allen Starkults in Hollywood seit Jahrzehnten verehrte Schauspielerin, macht aus Dorothea eine der schönsten Frauengestalten des zeitgenössischen Filmschaffens. Es ist vor allem ihrer Darstellung zu verdanken, dass es dem Film gelingt, sich ganz allmählich zu einer bewegenden Annäherung an das Enigma des Mutterseins zu verdichten – und das, ohne seinen lockeren und amüsanten Tonfall zu verlieren.