Animation | Japan/USA 2016 | 114 Minuten

Regie: Shûkô Murase

In naher Zukunft haben sich die Regierungen der westlichen Welt angesichts verheerender Terroranschläge entschieden, die Freiheit des Einzelnen zugunsten einer totalen Überwachung zu opfern. Doch der so erkaufte Frieden bröckelt, da ein Superterrorist labile Staaten in Bürgerkriege stürzt. Brillant konstruierte Dystopie über eine Gesellschaft in völliger Abhängigkeit von Wissenschaft und totalitärer Politik. Der mitunter drastische Animationsfilm mischt geschickt Fiktion und Fakten und denkt aktuelle politische Tendenzen radikal, aber konsequent weiter. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
GYAKUSATSU KIKAN
Produktionsland
Japan/USA
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Geno Studio/Manglobe
Regie
Shûkô Murase
Buch
Shûkô Murase
Kamera
Kousuke Nakanishi · Kazuhiro Yamada
Musik
Yoshihiro Ike
Länge
114 Minuten
Kinostart
20.04.2017
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Animation | Science-Fiction
Externe Links
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Drastischer Animefilm: Eine brillant konstruierte Dystopie über eine Gesellschaft in völliger Abhängigkeit von Wissenschaft und totalitärer Politik

Diskussion
Schreckliche Terroranschläge haben nicht nur der USA klargemacht, dass sich eine wirksame Antiterror-Einheit keine Gefühle leisten darf. Bei Geheimagent Clavis Shepherd wurden deshalb alle Emotionen vorsorglich unterdrückt. Als Kopf einer Spezialeinheit führt er seine Aufträge durch, ohne sich allzusehr mit humanitären Fragen zu beschäftigen. Georgien, Ossetien, der Nahe Osten, Afrika: Überall, wo schreckliche Despoten herrschen oder grausame Bürgerkriege Genozide verursachen, schaltet er und seine Mannschaft die entscheidenden Köpfe aus. Frieden und Stabilität innerhalb der westlichen Staaten sind das Ziel. Doch was passiert mit dem Gehirn des Agenten abseits des Krieges? Was macht es, um zuhause abzuschalten, um das Erlebte zu verarbeiten, um die Hölle im Kopf zu besiegen? In dem Anime „Genocidal Organ“ von Shukō Murase bilden solche Fragen nur eine von vielen bemerkenswerten Ebenen innerhalb einer vielschichtigen Handlung, die sich mit Terrorismus und dessen (fataler) Überwindung in der nahen Zukunft beschäftigt. Agent Shepherd ist der Kronzeuge für einen noch viel monströseren Fall, den die Weltengemeinschaft, mithin das US-Militär und die CIA, beschäftigt. Es ist der Fall John Paul. Nach atomaren Terroranschlägen in New York und Sarajevo wurde nicht nur Sheperds Antiterror-Einheit „optimiert“, sondern auch die Staaten selbst. Es herrscht die totale Überwachung; die Menschen haben sich mit dem Verlust ihrer persönlichen Freiheit als Preis für den Frieden „arrangiert“. Doch so friedlich es im Inneren auch scheint, hat der Terror jenseits der „freien Welt“ inzwischen bedrohliche Dimensionen angenommen. Die Selbstzerfleischung in den Randstaaten der kontrollierten Gemeinschaft ist allumfassend und wird indirekt zur Bedrohung. Dafür macht man John Paul, den „Amerikaner“, verantwortlich. Shepherd und sein Kollege Williams sind deshalb ganz darauf erpicht, den Regierungsauftrag endlich zu erfüllen und Paul zu stellen, das heißt: zu eliminieren. Dass der Anime nach dem gleichnamigen Bestseller des mit 34 Jahren verstorbenen japanischen Kultautors Satoshi Itō an diesem Punkt erst beginnt, spricht für die Komplexität der fiktiven Welt, vor der nicht wenige heute eindringlich warnen. Wie sich herausstellt, ist John Paul auf traumatische Weise mit dem Atombombenattentat in Sarajevo verbunden und hat darüber seine perfide Wissenschaft vom Genozid entwickelt. Shepherd will verstehen, wie ein einziger Mensch fähig sein soll, ganze Staaten in den Abgrund zu stürzen. Und wie Paul derart außer Kontrolle geraten konnte. Die Lösung ist erstaunlich unspektakulär, aber umso monströser. Denn Paul setzt weder Superwaffen noch eine Armada von Terroristen ein, um seine Pläne zu verwirklichen: Es ist schlicht die Sprache. „Genocidal Organ“ ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie es die japanische Gegenwartsliteratur und ihre filmische Anime-„Übersetzung“ es immer wieder schafft, bohrende Fragen an die Zivilisation zu stellen. Was wäre, wenn die Faschisten den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten („Jin Roh“, (fd 35 130))? Was passiert, wenn Technik und Menschsein untrennbar verschmelzen („Ghost in the Shell“, (fd 32 343))? Was sind die Folgen von Terrorangst und „demokratischem“ Totalitarismus („Genocidal Organ“)? Die Autoren nutzen dabei eine unverblümte Mixtur aus Fiktion und Fakten, um der Welt einen Spiegel vorzuhalten, der hinter der „guten Absicht“ immer auch die Fratze der Verselbständigung aufscheinen lässt. Sicherheit ist nicht planbar, und wenn, dann nur auf Kosten der Sicherheit. Denn immer gibt es Menschen wie John Paul, die die gute Absicht aller für sich umdeuten und ihre „eigene gute Absicht“ daraus machen. Gibt man diesen Menschen genug Macht, ist das Ende der Welt bald keine leere Floskel mehr. Filme wie „Genocidal Organ“ gelingt es, eine (vornehmlich) junge Zielgruppe für komplexe politische, soziologische oder wissenschaftstheoretische Sachverhalte zu sensibilisieren und wie nebenbei auch noch auf spannende, künstlerisch ambitionierte Art zu unterhalten. Eine Art Schulterschluss zwischen Kunst, Kultur und Kommerz, den das US-amerikanische Kino schon so lange nicht mehr beherrscht.
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