Um die Jahrtausendwende hörte man erstmals von den „Bobos“, den Angehörigen der „bourgeoisen Boheme“, die auf die von Douglas Coupland so genannte „Generation X“ folgten; während die Xer mit ihren McJobs noch die Zeche ihrer konsumsüchtigen Eltern zu zahlen hatten und auf diese Erfahrung mit Konsumverweigerung („Lessness“) und Melancholie („Short Term Nostalgia“) antworteten, begreifen die gut ausgebildeten Bobos Arbeit eher als eine Form der Selbstverwirklichung in Teams mit flachen Hierarchien. Sie, die kreative Elite des Informationszeitalters, konsumieren kenntnisreich High-End-Technologien mit Stilbewusstsein, leben eine extrem verlängerte Adoleszenz und kombinieren den rebellischen Anti-Establishment-Habitus der Beatniks im Zeichen der Work-Life-Balance mit den Selbstoptimierungsanforderungen des Neoliberalismus. Im persönlichen Nahbereich und im Lifestyle als erklärte Weltverbesserer durchaus liberal bis progressiv eingestellt (Ökologie, Ehrenamt, Fair Trade, Yoga), agieren sie im Blick aufsgroße Ganze eher konservativ und sicherheitsorientiert. Die Filmemacherin Marie Kreutzer (Jahrgang 1977) war nach eigener Aussage so nah am Bobo-Milieu dran, dass sie kaum recherchieren musste, als ihr der Vorschlag zu einer „Bobo-Eltern-Komödie“ unterbreitet wurde. So konfrontiert sie in ihrem vorzüglich besetzten Ensemblefilm drei durchaus unterschiedliche, aber trotzdem repräsentative und miteinander befreundete Bobo-Paare mit dem Projekt, das üblicherweise das Ende des Selbstverständnisses als „jugendlich“ bezeichnet: mit Elternschaft und Kinderaufzucht. In einem Milieu, in dem das Backen eines Dinkel-Vollkornbrotes als Projekt durchgeht und mit einem eigenen Food-Blog geliebäugelt wird, ist das natürlich eine große Sache, deren Realisierung nebenbei auch dokumentieren soll, dass Elternschaft nicht mit Spießigkeit einhergehen muss. Doch wie hip und stylish ist ein Kindersitz auf dem Fahrrad? Und wie gelingt es in Paar- und Freundesbeziehungen, die Veränderungen im Alltag zu rationalisieren und zu synchronisieren? Der Film schickt seine sechs Protagonisten unter Menschen in vergleichbarer Situation. Über esoterische Züge der Schwangerschaftsvorbereitung mag man noch lächeln, aber spätestens bei der Auseinandersetzung mit den Umständen der Geburt – natürlich, zu Hause, Kaiserschnitt oder partielle Betäubung – hört der Spaß auf, auch innerhalb von Beziehungen. Unversehens findet man sich, auf Kinderstühle gequetscht, in der Kita „Kindergrupp Kartoffelsupp“ wieder und diskutiert mit anderen Eltern ganz ernsthaft darüber, ob es gesund ist, Rosinen ins Müsli zu schütten. Bis man merkt, dass sich (fast) alles geändert hat, hat sich schon (fast) alles geändert – und man kann sich mit dem Indie-Hit der Popgruppe Die Sterne, im Plural, fragen: „Was hat uns bloß so ruiniert?“ So recht mag sich Kreutzer mit ihrer genau beobachteten Gesellschaftskomödie allerdings nicht positionieren. Ihre Figuren wie die Filmemacherin Stella, die die Handlung „selbstreflexiv“ als Projekt dokumentiert, der kiffende Food-Blogger Markus oder die gar nicht kinderliebe Ines sind präzise entwickelt, während die Gemüts-Französin Mignon mit ihrer Windel-Phobie eher als Karikatur angelegt ist. Auf diese Weise wird nie ganz klar, ob es sich hier um eine zugespitzte Satire auf das „juste milieu“ der Mittdreißiger handelt oder ob der Film ein paar verbindliche Punkte in die Diskussion werfen will. Etwa dass es den „emanzipierten“ Männern innerhalb der neu auszuhandelnden Familienmodelle durchaus leichter fällt, über ihr moralisches „Knowhow“ symbolisches Kapital zu akkumulieren, während es für die Frauen schwieriger ist, sich der Mutterrolle zu entziehen. Ging es Kreutzer in „Die Vaterlosen“ (2011, (fd 40 588)) eher darum, das Komische im Traurigen einer gescheiterten Hippie-Utopie zu entdecken, so scheint in „Was hat uns bloß so ruiniert“ das Substanzielle hinter einer gut gebauten Wand aus Screwball Comedy und einem gut aufgelegten Darsteller-Ensemble verborgen. Es lohnt das genaue Hinsehen, um hinter dem Wall aus pointierten Dialogen und Wiener Schmäh zu gelangen. Die verlängerte Adoleszenz führt nämlich dazu, dass man mit Mitte 30 noch viel zu jung für ein Kind ist, weil Mitte 30 heute das neue 16 ist. Kein angenehmer Gedanke, wenn man an die aktuellen Zeitläufte denkt!