Susan Morrow scheut das Licht, und nicht erst, seit sie nachts nicht mehr schlafen kann. Ihr erster Ehemann Edward habe sie ein nachtaktives Wesen genannt, erinnert sich Susan einmal, schon viele Jahre, bevor sie sich als erfolgreiche Galeriebesitzerin einem Leben der Abendempfänge, Partys und Vernissagen verschrieb.
Es ist eine Existenz, die der Modeschöpfer Tom Ford in seiner zweiten Regiearbeit „Nocturnal Animals“ mit einem hintersinnig-boshaften Blick zeichnet, wie er aus langjähriger eigener Erfahrung entsteht. In seiner Parade kunstsinniger Reicher aus der High Society von Los Angeles ist Extravaganz Programm, und auch die Protagonistin ist nicht frei davon. Das kupferrote Haar so fallenlassend, dass es ihr halbes Gesicht verdeckt, die Lippen übermäßig geschminkt, die Fingernägel schwarz lackiert, gleitet Susan durch eine Welt des hohlen Scheins, die nur einen Vorzug hat: Es gibt hier keinen Schmerz. Wie alle übrigen Gefühle ist er vollständig aus dieser Sphäre verbannt worden.
In Susans Leben bricht er dafür umso geballter ein, als sie ein Manuskript ihres Exmanns erhält, der sich schon während ihrer Ehe als Möchtegern-Autor abplagte – und den sie auch deswegen verließ. Dieses Buch sei anders als das, was er früher geschrieben habe, lässt Edward wissen und drängt Susan zur Lektüre.
In einer weiteren schlaflosen Stunde schlägt sie daher die Seiten auf und wird mit einer drastischen Geschichte konfrontiert, die Ford als Film-im-Film inszeniert: Einem ehrbaren Familienvater namens Tony Hastings entgleitet während einer nächtlichen Autofahrt im hintersten Texas sein gesichertes Dasein, als er nach einem Überholmanöver von der Straße abgedrängt wird. Seine Versuche der Deeskalation misslingen; die unverhohlene Angst seiner Frau und Tochter vor dem White-Trash-Trio aus dem anderen Auto heizt dessen Wut nur noch weiter an.
Schließlich brausen zwei der Männer mit den Frauen davon, Tony findet sich allein in der Wüste wieder. Als er endlich die Polizei alarmieren kann, bestätigt diese, was sich schon ahnen ließ: Beide Frauen sind vergewaltigt und ermordet worden. Von den Tätern fehlt (vorerst) jede Spur, Tonys Albtraum ist noch nicht vorbei.
Tom Ford unterbricht diese Brave-Bürger-Horrorvision immer wieder, indem er Susans schockierte Reaktion zeigt, die sie aber nicht dauerhaft von der Neugier auf den Fortgang der Geschichte abbringt. Der Regisseur setzt dabei vor allem Schnitt-Techniken ein, um seiner Adaption von Austin Wrights Roman „Tony and Susan“ filmische Eigenständigkeit zu verleihen: Parallelmontagen von Susan und Tony verweisen auf die Identifikation der Leserin mit der Romanfigur, die zunimmt, je weiter die Lektüre voranschreitet.
Nicht nur Susan versteht das Manuskript dabei rasch als Rachefantasie ihres Exmanns: Für den Zuschauer ist ihre Ähnlichkeit mit den beiden rothaarigen weiblichen Opfern unübersehbar, während eine dritte Erzählebene aus Rückblenden enthüllt, dass der unglückselige Tony und Edward – beide gespielt von Jake Gyllenhaal – offenbar Variationen derselben Persönlichkeit sind.
Gerade diese Deutung stellt Ford jedoch im selben Moment wieder in Frage. Gyllenhaal und Amy Adams als Susan ziehen alle Register, um mit vielschichtigem Spiel die Deutung ihrer Figuren zu erschweren. Die Vitalität des Paars am Anfang ihrer Beziehung lässt sich nicht ohne Weiteres mit der Gefühlseingefrorenheit der älteren Susan zusammenbringen, und Edwards negative Gefühle gegenüber seiner Ex-Frau erscheinen auch nicht eins zu eins auf das Roman-Szenario übertragbar.
Ford sät damit bewusst Zweifel an der zuerst eindeutig erscheinenden Bebilderung von Edwards Roman. Wie viel davon auf das tatsächlich Geschriebene und wie viel auf Susans Interpretation zurückgeht, bleibt offen und damit auch die Frage, wie sehr die darin enthaltene moralische Anklage intendiert ist, die Susan auf ihren oberflächlichen Lebensstil bezieht. Den Bildern ist nicht zu trauen, und Ford unterlässt es bewusst, dem durch Voice-Over entgegenzusteuern.
Überhaupt beweist der Regie-Autodidakt wie schon in seinem ersten Film „A Single Man“
(fd 39 797) ein erstaunliches filmisches Gespür: Dominierten dort Grautöne, unterstützt bei „Nocturnal Animals“ der Kontrast der braunhaltigen Texas-Szenen mit den knalligen Farben aus der Kunstwelt von L.A. trefflich die Stimmung. Die Schauspieler sind bis in die Nebenrollen glänzend, Kameraarbeit und Ausstattung sind exquisit, aber nie selbstzweckhaft, wenn man ihre Doppelcodierung einmal verstanden hat. Fords Film kündet von einem außerordentlichen Vertrauen in die Zuschauer und deren Wunsch, aufmerksam hinzusehen, statt sich Auflösungen vorsetzen zu lassen. Eindeutig ist sein rätselhafter, hypnotischer Thriller dafür in der Anteilnahme für die Figuren: Daran, wie ernst es Ford mit der Warnung vor dem Verlust von Empfindungen ist, kann kein Zweifel bestehen.