Eine Erfolgsgeschichte: 1998 erschien „Agnes“, das Romandebüt des Schweizers Peter Stamm, das sich in den folgenden Jahren, wiewohl bei der Literaturkritik nicht unumstritten, zum veritablen Bestseller entwickelte. Überdies zeigte sich, dass der schmale Band mit seinen Anleihen bei Frischs „Homo Faber“ und Shaws „Pygmalion“, verbunden mit einer erzähltheoretischen Kniffligkeit in Sachen Fiktion/Realität, sich perfekt für den Deutschunterricht eignet. Mittlerweile zählt „Agnes“ seit ein paar Jahren zu den Pflichtlektüren für Abiturienten. Da kommt eine Verfilmung des Romans ja gerade recht, könnte man meinen.
Auch der Film „Agnes“ erzählt rückblickend von der Liebesgeschichte zwischen dem Autor Walter und der hochbegabten Physik-Studentin Agnes, die sich in der Universitätsbibliothek begegnen, wo Walter für ein Buchprojekt recherchiert. Obwohl Walter aktuell auch noch eine Liaison mit der PR-Agentin seiner Auftraggeber hat, beginnt er eine Affäre mit der geheimnisvollen und sehr ernsthaften Agnes. Als Agnes bemerkt, dass Walter nicht immer „nur“ Sachbuchautor war, schlägt sie vor, dass er versuchen soll, ihre Geschichte zu schreiben. Walter macht sich ans Werk und solange er mit der Erzählung der Gegenwart hinterherhinkt, bleibt das Ganze – von einigen Details abgesehen – unproblematisch.
Interessant wird es, als die Geschichte die Gegenwart erst ein- und dann überholt, weil jetzt das Agieren gewissermaßen von der Fiktion in die Pflicht genommen wird. Agnes lässt sich erstaunlicherweise auch auf dieses Spiel ein und wird phasenweise freiwillig zu Walters Geschöpf, was dem coolen Autor durchaus nicht unangenehm ist. Hier offenbart der Film allerdings eine zentrale Schwäche, denn die beiden Hauptdarsteller sind nicht in der Lage, ihren Figuren eine Tiefe zu verleihen, die ihre Geschichte für den Zuschauer packend machen könnte. Hier bleibt offen, inwieweit die provozierenden Leerstellen des Films bewusst hergestellt oder vielmehr einem inszenatorischen Unvermögen geschuldet sind.
In dieser Phase der Geschichte splittet sich die Erzählung auf in unterschiedliche Zeitebenen, und gerade hier, in der Etablierung von irritierenden Feedback-Schleifen, hat der Film von Johannes Schmid seine stärksten Momente, weil es ihm phasenweise durchaus überzeugend gelingt, die Differenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit produktiv zu machen. Denn ein Problem gibt es in dem Liebes- und Schreibvertrag zwischen Agnes und Walter: was wird aus ihrer Geschichte, wenn die Erzählung an ein Ende kommt? Und gleich noch ein weiteres Problem: Was macht die Beziehung zwischen Autor und Geschöpf mit der Liebe? Zudem verfügt Autor Walter über ein paar Allerweltsweisheiten wie diejenige, dass Glück sich nicht gut erzählen lässt, Drama hingegen schon.
Hat man als Zuschauer erst einmal begriffen, wie der Hase hier läuft, verliert der Film in dem Maße sein Geheimnis, wie er es zu beschwören trachtet. Ist Agnes nicht eine Spur zu ernsthaft für den mittelmäßigen Autor Walter? So dreht der Film mit seinen Metaphern für Kälte, Tod und Vergessen leider etwas schnell im Leerlauf, weil sich die Unschärferelation des literarischen Textes filmisch nicht so andauernd vermitteln lässt. Eine ungewollte Schwangerschaft wäre eine Möglichkeit der Verlängerung; eine Fehlgeburt bedarf der fantasievollen Trauerarbeit. Wenn das Paar gemeinsam für das Kind Kleidung einkauft, ist das im Buch überzeugend, im Film eher forciert. Der postmoderne Ansatz Stamms gerät bei Schmid unter der Hand zu einem klinischen Diskurs über ein suizidales Mädchen, das mit allen Mitteln darum kämpft, nicht aus der Geschichte zu verschwinden. Um dann letztlich doch genau so daraus zu verschwinden, wie es die erste Szene des Films gezeigt und eine spätere Szene sogar explizit ausgeführt hat. Dass eine Figur durch den Text getötet wird, funktioniert in der Literatur als starkes Bild überzeugend; ein Film müsste hierfür eigene Bilder finden. So bleibt das Ende erstaunlich offen, offener noch als die literarische Vorlage.
Schüler seien also gewarnt: diese Literaturverfilmung ist eine Interpretation der Vorlage, über die man diskutieren kann und muss. Die Lektüre des Romans ersetzt sie nicht. Aber das erwartet zu haben, wäre ja auch der falsche Ansatz.