Die Sprache des Herzens

Biopic | Frankreich 2014 | 94 Minuten

Regie: Jean-Pierre Améris

Ende des 19. Jahrhunderts nimmt sich eine kränkelnde Nonne der Montfort-Schwestern aus Poitiers einer taubblinden 14-Jährigen an, die nur tastend und riechend ihre unmittelbare Umwelt wahrnimmt. Nach langen, kräfte- wie nervenzehrenden Bemühungen versteht das Mädchen die Bedeutung von Zeichen und entwickelt sich zur wissbegierigen jungen Frau, während die Nonne ermattet aufs Sterbebett sinkt. Ein bewegendes, eindringlich gespieltes Drama, das in lichten Farben den Gang der Dinge nachzeichnet und sich dabei vor allem auf die Freundschaft zwischen Lehrerin und Schülerin fokussiert. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
MARIE HEURTIN
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Escazal Films/France 3 Cinéma/Rhône-Alpes Cinéma
Regie
Jean-Pierre Améris
Buch
Jean-Pierre Améris · Philippe Blasband
Kamera
Virginie Saint-Martin
Musik
Sonia Wieder-Atherton
Schnitt
Anne Souriau
Darsteller
Isabelle Carré (Schwester Marguerite) · Ariana Rivoire (Marie Heurtin) · Brigitte Catillon (Mutter Oberin) · Noémie Churlet (Schwester Raphaëlle) · Gilles Treton (M. Heurtin)
Länge
94 Minuten
Kinostart
01.01.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Biopic
Externe Links
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Heimkino

BD und DVD enthalten eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
Concorde (16:9, 1.78:1, DD5.1 frz./dt., dts dt.)
Verleih Blu-ray
Concorde (16:9, 1.78:1, dts-HD frz./dt.)
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Lichtes Drama um eine Taubblinde

Diskussion
Wie erlebt ein Mensch, der gehörlos und blind geboren wurde, die Welt? Wie kann man mit ihm in Kontakt treten? Ihn aus seiner Isolation befreien, ihm die Kommunikation mit anderen Menschen ermöglichen? Das sind schwierige Frage, die Schwester Marguerite in Jean-Pierre Amérisʼ „Die Sprache des Herzens“ umtreiben. Man schreibt das Ende des 19. Jahrhunderts. Marguerite, von Isabelle Carré mit temperamentvoller Hingabe glänzend verkörpert, gehört dem Orden der „Schwestern der Weisheit“ an. Die Nonnen betreiben in Poitiers das Institut Larnay, ein Heim, das sich der Ausbildung gehörloser Mädchen verschrieben hat. Schwester Marguerite ist körperlich nicht die Kräftigste. Sie hat es immer wieder „auf der Lunge“, wie man sagt, und doch ist es Marguerite, die auf Geheiß der Oberin zu der kleinen Marie auf den Baum klettert, als diese das erste Mal in Larnay ist. Marie ist taub, blind und verwildert. Die Ärzte haben ihr eine verminderte Intelligenz attestiert und den Eltern geraten, ihre Tochter in eine psychiatrische Anstalt einzuliefern. Doch der Vater liebt Marie über alles und glaubt den Ärzten nicht. Larnay, 1835 gegründet und bestens beleumundet, ist seine letzte Hoffnung. Doch die Schwester Oberin lehnt seinen Antrag mit der Begründung ab, dass man in Larnay auf taubstumme, nicht auf taubblinde Mädchen spezialisiert sei. Auch ist der erste Eindruck, den Marie, überzeugend gespielt von Ariana Rivoire, in Larnay hinterlässt, nicht eben glücklich. Sie verhält sich, vom Vater vom Wagen gehoben, wild wie ein Tier. Rennt, stolpert quer über die Felder und klettert auf einen Baum. Geradezu poetisch wirkt dann jedoch die erste Begegnung von Marie und Marguerite: Das Spiel der Hände, das Ertasten des Gesichtes. Empathie, Instinkt, Einfühlungsvermögen, lauten die ersten Antworten, die Marguerite sich auf ihre Fragen gibt. Inständig ringt sie, überaus fromm und gläubig, der Oberin ab, sich um Marie kümmern zu dürfen. Es sei ihre Berufung, sagt sie, ihr vorbestimmt. „Marie Heurtin“, wie der Film im Original nach dem Namen der taubblinden Protagonistin heißt, beruht auf einer wahren Geschichte. Zwei Wochen später bricht Marguerite auf, um Marie auf dem Hof ihrer Eltern abzuholen. Es wird ein langer Weg ins Kloster, den die beiden zu Fuß bestreiten. Marguerite bindet Marie mit einem Gurt an sich. Man übernachtet in einem Stall. Marguerite beobachtet, wie Marie eine Kuh und das Wasser ertastet; schließlich schiebt sie das Mädchen, das sich keine Schuhe anziehen lässt, in einer Schubkarre vor sich her. Es folgt ein schwieriger Kampf. Marie will sich nicht kämmen, nicht baden, nicht anziehen lassen. Sie tobt, schlägt um sich, lässt nur Marguerite, nicht aber die Kinder und anderen Schwestern an sich heran. Marguerite versucht Marie mit den Händen Zeichen für bestimmte Gegenstände beizubringen. Sie hat monatelang keinen Erfolg, gerät an den Rand der Verzweiflung, will aufgeben. „Keinerlei Fortschritte“, schreibt sie am 27. Oktober, fünf Monaten nachdem sie Marie nach Larnay holte, in ihr Tagebuch. Und: „Maries Zustand hat sich verschlechtert.“ Das Tagebuch ist ein cleverer Regietrick. Es markiert den Verlauf der Zeit, gibt die Erzähllinie vor, ermöglicht die Reflexion und freie Schilderung der Gefühle dieser Frau, die in ihrer Nonnentracht, selbst wenn es in ihr unerträglich brodelt, fast immer die Fassung bewahrt. Und dann beginnt Marie völlig unerwartet doch zu begreifen. Nun sind die Schleusen geöffnet. Marie verwandelt sich. Sie beginnt auf die Welt zuzugehen, entwickelt sich zur aufgeweckten, wissensbegierigen jungen Frau. Als Marguerite immer kränker wird und für Marie Begriffe fürs Sterben und den Tod gefunden werden müssen, scheint sich das Verhältnis der beiden Frauen sogar umzukehren. Améris ist mit „Die Sprache des Herzens“ eine starke, auf Tatsachen beruhende, zu Herzen gehende Geschichte nicht nur über ein geistiges Erwachen, sondern auch über eine ungewöhnliche Frauenfreundschaft geglückt. Der größte Verdienst liegt dabei bei den Schauspielerinnen: der erfahrenen Isabelle Carré und der gehörlosen, aber nicht blinden Laiendarstellerin Ariana Rivoire, die hier in einmalig intensivem Spiel zusammen finden.
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