Jake Gyllenhaal hat im Laufe seiner Karriere regelmäßig Männer verkörpert, deren Weltsicht verzerrt war oder die sich in eine Obsession hineinsteigerten. Das gilt für die Hauptrolle in »Donnie Darko«, die ihm 2001 den Karrieredurchbruch bescherte, ebenso wie für seinen jüngsten Kinoauftritt in »Enemy«. Doch wahrscheinlich stand dem 33-Jährigen der Wahnsinn noch nie so deutlich ins Gesicht geschrieben wie in seinem neuesten Film. Dass er für »Nightcrawler« ein paar Pfunde abgespeckt hat, spiegelt sich vor allem in eingefallenen Wangen, die seine großen Augen und seinen breiten Mund geradezu gespenstisch hervortreten lassen. Gyllenhaal sieht hier aus wie ein Vampir.
Zu diesem Eindruck trägt auch bei, dass der Protagonist dieses reizvoll-reißerischen Psychodramas fast nur bei Nacht seine Wohnung verlässt. Man lernt Lou als einen eigenbrötlerischen Kriminellen kennen, der von einer Karriere träumt und bereit ist, alles dafür zu tun. Auf einer der nächtlichen Fahrten erkennt er eine Gelegenheit zum beruflichen Fortkommen: Er gerät in einen Autounfall, dessen Folgen von einem herbeigeeilten Kamerateam gefilmt werden, das noch an Ort und Stelle den Verkauf der Bilder ans Fernsehen diskutiert. Das verleitet Lou dazu, sich selbst eine Videokamera zu beschaffen und fortan den Polizeifunk abzuhören, um zu den Orten nächtlicher Unglücke und Verbrechen zu rasen. Da er keinerlei Skrupel kennt, beliefert er als Freelancer die morgendlichen TV-Nachrichten bald mit besonders schrecklichen Aufnahmen.
Dabei braucht Dan Gilroy, der als Autor u.a. das Drehbuch zu »Das Bourne Vermächtnis« verfasst hat, den Zuschauern bei seinem Regiedebüt keine blutigen Details unter die Nase zu reiben. Den perversen Kitzel, von dem sein egomanischer Video-Aasgeier zehrt, spürt man auch so. Die ethischen Probleme des medialen Voyeurismus liegen ohnehin auf der Hand – erst recht, wenn Lou beginnt, Leichen umzuarrangieren, und sich schließlich in den Kopf setzt, die Verantwortlichen eines Mehrfachmordes in eine Kamera-Falle zu locken. Gilroy, der auch das Drehbuch geschrieben hat, lässt eine (von seiner Ehefrau Rene Russo gespielte) Fernsehproduzentin das zynische Kalkül ausbuchstabieren, das ihr sensationshungriges Nachrichtenmagazin verfolgt.
Allerdings kennt man die These, dass US-TV-Nachrichten Quote machen, indem sie der weißen Mittelschicht mit Horrormeldungen Angst einjagen, seit Michael Moore sie in »Bowling for Columbine« schwungvoll durchdeklinierte. Tatsächlich liegt der Reiz von »Nightcrawler« weniger in der scharfen Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse als im fiebrigen Ton, der diverse Kinovorbilder – von Michael Manns »Collateral« bis zu David Cronenbergs »Crash« – in Erinnerung ruft. In den Bildern von Kameramann Robert Elswit erhält das nächtliche Los Angeles mitunter einen surrealen Anstrich, etwa wenn im gelbsüchtigen Schein der Straßenlaternen von der Riesenstadt kaum etwas zu erahnen ist außer dem Grün der sie umgebenden Hügel. Vor diesem Hintergrund kann die kühle Brillanz des abschließenden spektakulären Höhepunktes, samt Shoot-out und Autoverfolgungsjagd, umso eindrücklicher wirken.
Zusammengehalten werden diese gegensätzlichen Facetten vom Charisma eines Soziopathen: Gyllenhaal, der diesen Film auch co-produziert hat, verleiht seiner Rolle eine faszinierende Mischung aus Steifheit und Geschmeidigkeit. Lous Weltbild speist sich aus Ratgeberliteratur für Unternehmer, deren Lehrsätze er bei jeder Gelegenheit gern zitiert. In solchen Momenten kommt Gilroy seinen gesellschaftskritischen Absichten am nächsten: Wenn Lou mit wild aufgerissenen Augen und schiefem Grinsen dem unternehmerischen Geist das Wort redet, lässt das intuitiv ahnen, dass gewitzte Unternehmer und gerissene Kriminelle durchaus geistesverwandt sind.