Nadja hat Angst vor dem Kernspintomografen. Doch in der sterilen Klinikatmosphäre ist kein Platz für die Sorgen der nicht mehr ganz jungen Frau, die ihre Gefühle ohnehin fast immer für sich behält. Wie aufgebahrt liegt sie da, als sie von der Krankenschwester routiniert auf die Untersuchung vorbereitet und schließlich der Maschine überantwortet wird.
Wie viele der Bilder in „Sto spiti – At Home“ haben Regisseur Athanasios Karanikolas und sein Kameramann Johannes M. Louis auch diese Einstellung als komplexes Tableau angelegt: Im Hintergrund die Frau in der Maschine, allein gelassen mit ihren Ängsten; im Vordergrund die Bildschirme, auf denen das Abbild von Nadjas Kopf erscheint und sich langsam zusammenzieht – ein fast schon übersymbolischer Verweis darauf, dass ihr gewohntes Leben sich aufzulösen scheint. Die Tonspur verstärkt den Ausnahmecharakter der Szene durch das Getöse des Tomografen, was in einem Film, in dem Atmosphäre primär durch die Geräusche zirpender Zikaden, des Ozeans und des Windes erzeugt wird, fast einer Detonation gleicht.
Auf emotionaler Ebene findet ein Ausbruch von vergleichbarer Lautstärke nicht statt. Der griechische Regisseur und Absolvent der Hochschule „Konrad Wolf“ inszeniert wie schon in seinem Debütfilm „Elli Makra, 42277 Wuppertal“
(fd 38 945) ruhig und getragen, im bewussten Kontrast zu den dramatischen Schicksalsschlägen, die seine Hauptfigur treffen. Nadja, die ursprünglich aus Georgien stammt, arbeitet seit mehr als zehn Jahren bei einer gut situierten griechischen Familie. Deren Tochter hat Nadja quasi aufgezogen; die Eltern, vor allem die Frau des Hauses, sehen in ihr eine Freundin, fast ein Familienmitglied. Jedoch eben nur fast, wie Nadja erfahren muss, als sie einen Schwächeanfall erleidet und zu einem mit der Familie befreundeten Arzt geschickt wird, um sich wegen des tauben Gefühls in den Beinen untersuchen zu lassen. Die Diagnose ist bitter: Eine Nervenkrankheit, die mindestens Schonung, wenn nicht gar eine langfristige Behandlung erfordert. Auf einmal erscheint Nadja dem Hausherrn als potenzielle Belastung. Die Finanzkrise hat auch ihn getroffen, das Personal in der Firma wird reduziert, ihm steht eine Versetzung ins Ausland bevor. Zunächst aber gilt es, die Ausgaben zu reduzieren; beim Abendessen kann er stolz verkünden, einen Käufer für das geliebte, aber alt gewordene Pferd der Tochter gefunden zu haben – tausend Euro im Monat fallen dadurch weg. Bis zur Idee, sich auch von der ebenfalls in die Jahre gekommenen Haushälterin zu trennen, ist es dann nicht mehr weit.
Die leicht zu erkennende Lektion, dass die Reichen keine Dankbarkeit mehr kennen, sobald ihr Luxusleben in Gefahr gerät, vermittelt Karanikolas pointiert, wenn auch nicht unbedingt originell. Wesentlich bemerkenswerter ist demgegenüber die Figur Nadjas, insbesondere in ihrer Nicht-Reaktion auf das erfahrene Unrecht. Denn Nadja wehrt sich nicht gegen ihre Arbeitgeber und macht ihnen nicht einmal Vorwürfe. Nicht, weil sie sich Illusionen machen würde oder außergewöhnlich duldsam wäre, sondern weil sie für ihren Teil außerstande ist, ihnen von heute auf morgen die Zuneigung zu entziehen.
Dank der eindringlichen Hauptdarstellerin Maria Kallimani erscheint Nadjas Versöhnlichkeit durchaus nachvollziehbar. Und Karanikolas’ Entscheidung, die Protagonistin oft in den Hintergrund der Bilder zu rücken, verhindert, dass ihr Leidensweg glorifiziert wirkt. Die durchgängige Distanz des Films hat allerdings auch ihren Preis: Außer Nadja bleiben alle Figuren recht schematisch, was die Essenz der Erzählung am Ende doch deutlich hinter die Bildkraft der Inszenierung zurücktreten lässt. Ein wenig mehr Mut zur emotionalen Einbindung des Zuschauers wäre in diesem Fall mehr gewesen.