Erich Mendelsohn - Visionen für die Ewigkeit

Dokumentarfilm | Israel 2011 | 70 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Duki Dror

Dokumentarisches Porträt des Architekten Erich Mendelsohn (1887-1953), einem der berühmtesten Baumeister der Weimarer Republik, der vor den Nazis ins Exil floh und heute nahezu vergessen ist. Der kurzweilige, beschwingte Film verbindet eine große Fülle disparater Materialien zu einer rhapsodischen Hommage an den visionären Erbauer und seine Ehefrau Luise, deren wechselvolle Liebesgeschichte aus Briefen und Memoiren ersteht. Ein heiter-melancholischer Ausflug in eine blühende Epoche vor dem großen Exodus in der europäischen Kultur, wobei die lichten Bauwerke und Entwürfe Mendelsohns nur eine Rolle unter anderen spielen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
INCESSANT VISIONS | MENDELSOHN'S INCESSANT VISIONS
Produktionsland
Israel
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Zygote Films
Regie
Duki Dror
Buch
Galia Engelmayer · Duki Dror
Kamera
Philippe Bellaïche
Musik
Frank Ilfman
Schnitt
Duki Dror
Länge
70 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
08.11.2012
Fsk
ab 0 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Er war einer der ganzen großen Architekten der 1920er-Jahre, dem halb Deutschland die Tür einlief. Wie kein anderer verkörperte Erich Mendelsohn (1887-1953) den kühnen Geist einer Moderne, die mit Stahl und Beton die Backstein-Blöcke der Gründerzeit hinter sich ließ und sich in lichte Höhen aufschwang. Doch dann schauderte die Welt und stürzte ins Dunkel völkisch-hegemonialer Ideologien zurück, in deren ferner Folge Mendelsohn 1943 im Exil in Utah ein „German Village“ errichtete – als Testgelände für die Brandbomben der amerikanischen Luftwaffe. Ein patriotischer Akt, der zugleich die eigene Auslöschung, nicht nur die des Werkes, symbolisiert. Denn von dem gefeierten Künstler ist kaum etwas geblieben: Skizzen, Briefe, der Einsteinturm in Potsdam, einige über die ganze Welt verstreute Gebäude. Das Porträt des israelischen Dokumentaristen Duki Dror interessiert sich nur am Rand für die Tragik der Zeitläufte und lässt auch die Routinen essayistischer Architekturfilme außen vor; seine kurzweilige, dabei recht eigenwillige Annäherung orientiert sich vielmehr an Mendelsohns persönlicher Arbeitsweise, in deren Zentrum nicht der detaillierte Plan, sondern die Skizze stand – eine mit wenigen hypnotischen Strichen hingeworfene Vision seiner Fantasien. Immer wieder sieht man, fast leitmotivisch, den Schattenriss einer Hand, die mit schwungvollen Bewegungen die Umrisse eines Bauwerks konturieren. Der Film hebt mit den architekturgeschichtlich wegweisenden Miniaturen an, die der junge Architekt von der Ostfront an seine spätere Ehefrau Luise Maas schickt. Ein Auftakt gleichsam wie im Duett, denn im Off lauscht man einem imaginären Gespräch, kompiliert aus Luises Memoiren und Mendelsohns Briefen. Der Ton des (Liebes-)Dialogs ist (wie die Off-Stimmen) kraftvoll und klar; wo er in philosophische Regionen abdriftet, lotet die bildhübsche Cellistin die realen Möglichkeiten aus, organisiert mit Hilfe von Paul Cassierer eine Ausstellung von Mendelsohns Architekturzeichnung oder verhilft ihm mit Unterstützung von Albert Einstein zu seinem ersten wichtigen Auftrag: dem Potsdamer Observatorium, das die Relativitätstheorie experimentell erhärten soll. Zwar annähernd chronologisch, ordnet die Inszenierung das vielfältige Material aber nicht biografisch, sondern rhapsodisch: als beschwingter, vom Geist der Berliner Bohème inspirierter Versuch, ein exemplarisches Schicksal ins Bewusstsein zu rufen. Die Architektur inklusive der Begegnung mit Frank Lloyd Wright nimmt dabei nur einen, nicht einmal besonders prominenten Platz ein. An Mendelsohns USA-Reise interessiert mindestens ebenso, dass er auf der Überfahrt Fritz Lang kennen lernte und sein „America“-Band zeitgleich mit „Metropolis“ erschien: zwei verwandte, in ihrer Perspektive aber recht konträre Urbanitätsstudien. Von großer Bedeutung ist die wechselvolle Ehegeschichte, die durch Luises langjährige Affäre mit Ernst Toller in erhebliche Turbulenzen geriet; auch hier genügen pointierte Momente, um das emanzipatorische Ringen einer ganzen Epoche in den Raum zu stellen. Selbst die Flucht über Amsterdam nach England und Palästina, ehe 1941 die USA und insbesondere San Francisco zur neuen Heimstatt wurden, verwandelt sich durch die beherzte Skizzenhaftigkeit in eine (zunehmend melancholischere) Bewegung, die vom epochalen Verlust der vitalsten europäischen Energien erzählt. In den ausgebombten Resten des 1928 eröffneten Universum-Lichtspielhauses residiert heute zwar die Berliner Schaubühne, was dem Geist der Architektur durchaus angemessen ist; die Spuren ihres visionären Erbauers aber verlieren sich wie die die blühende Kultur der Weimarer Republik im Nirgendwo.
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